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Der Präsident taumelt mit Frankreich bergab

Frankreichs Sozialisten erleben bei den Wahlen ein Debakel. Das Land vollzieht einen Rechtsruck. François Hollande tauscht seine Regierung aus, doch seine Bilanz ist verheerend und Frankreich sackt ab.

Wenn Europas Staatschefs eine Familie wären, dann käme Merkel die Rolle der strengen, alleinerziehenden Mutter zu, Putin (Russland) wäre der grimmige Onkel mit der dunklen Waffenkammer und dem großen Gasanschluss, Cameron (Großbritannien) spielte den isolierten Bruder mit Midlife-Crisis, Renzi (Italien) wäre der pubertierende Neffe im Probiereifer, Rajoy (Spanien) käme als würdig verarmter Großvater daher und Hollande (Frankreich) wäre der spießige Vetter, dem misslingt, was immer er anfängt. Kurzum: Frankreichs Präsident wirkt im Moment wie der traurige Looser Europas.

Das Ergebnis der jüngsten Kommunalwahlen bedeutet für ihn und seine Partei ein Desaster. Und doch dürfte es bei den anstehenden Europawahlen noch schlimmer kommen. Denn der französische Präsident gilt für viele Franzosen inzwischen als Sinnbild für die nationale Krise. Selten ist ein Präsident im Ansehen so spektakulär abgestürzt. Hollande war mit einer Zustimmungsquote von 64 % aller Franzosen gestartet und ist nun mit unter 20 % der unbeliebteste Präsident, den die fünfte Republik in Frankreich je hatte.

Tiefer Frust über den farblosen Mann

Das politische Beben entspringt daher einer tief greifenden Frustration der Franzosen über diesen farblosen Mann und seine fahrige Politik. Schon die niedrige Wahlbeteiligung zeugt von der Entfremdung der Wählerschaft von den regierenden Sozialisten. Doch die Ergebnisse in mehreren wichtigen Städten wurden geradezu Demütigungen: „Sozia­listen bestraft“ titelt­ „Le Monde“, „Die Missbilligung“ urteilt der „Figaro“. „Die Wähler haben die Linke an der Macht und ihre Bilanz bestraft“, kommentiert das Wirtschaftsblatt „Les Echos“. Selbst die linke „Libération“ spricht von einer „Ohrfeige“ für Hollande.

Der spektakuläre Aufstieg von Marine Le Pen mit ihrem rechtsextremen und anti-europäischen „Front National“ ist ein Fanal. Hollande steht zwei Jahre nach seinem Wahlsieg nicht nur vor den Trümmern seiner gescheiterten Politik. Es droht eine tiefe innere Verwerfung in Frankreich. Und für Deutschland wie Europa dürfte ein taumelnder Präsident zum schwierigen Partner werden.

Die Lage des Präsidenten ist so verfahren, dass selbst sein Gernegroß-Vorgänger und Testosteron-Präsident Nicholas Sarkozy allen Ernstes das politische Comeback vorbereitet. Sarkozy kämpft zwar gegen allerlei Affären. Trotzdem bastelt er offen an seiner Rückkehr in den Élysée-Palast.

Die Enttäuschung der Franzosen hat einen guten Grund: Während sich das übrige Europa langsam aus der Krise herausarbeitet, schlingert Frankreich immer tiefer hinein. Während die deutsche Industrie blendend läuft, kommen die Geschäfte in Frankreich einfach nicht in Fahrt. Während selbst Spanien seinen Staatshaushalt langsam saniert, findet Frankreich einfach keinen Ausstieg aus der Schuldenpolitik. Während von Italien bis Irland der wachsende Export die schwächelnde Binnennachfrage zusehends ausgleicht, sackt Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit immer weiter ab. Lohnstückkosten und Sozial­abgaben des Landes zählen zu den höchsten der Welt. Der Arbeitsmarkt ist verriegelt und überreglementiert, der Mindestlohn zählt zu den höchsten der Welt. Nicht nur die Ratingagenturen werden immer skeptischer.

Frankreich bräuchte – so fordern es die Forschungsinstitute, der IWF und auch die OECD – dringend marktwirtschaftliche Reformen. Doch die bleiben aus. Hollande und seine Sozialisten scheinen mental in uralten Genossenstaatsträumen hängen geblieben. Sie wähnen sich als Sozialarbeiter, Umverteiler und Planwirtschaftsbürokraten eines überdehnten Staates. Ihr Ges­tus ist der des verbeamteten Gönners.

Dabei hat sich der traditionelle Zentralismus Frankreichs mit dem bürokratischen Sozialismus des 20. Jahrhunderts so verwoben, dass sich das Land vor lauter Etatismus kaum noch bewegt. Der Arbeitsmarkt wirkt wie ein Kasernenhof der Gewerkschaften, das Rentensystem wie ein staatssozialistisches Kombinat und Steuern wie ein riesenroter Vielfraß. In Paris protestieren seit Monaten Hunderttausende gegen die weiträumigen Steuererhöhungen Hollandes, und die Wut innerhalb der Gesellschaft nimmt spürbar zu.

Doch anstatt eine mutige Reformpolitik zu starten, will sich Hollande mit seiner neuen Regierung Valls in neue Defizite stürzen. Ein Konjunkturprogramm ist in Planung, das den Staatshaushalt abermals aus den Fugen bringen dürfte. Das alarmiert bereits die Europäische Kommission und die Bundesbank. EU-Währungskommissar Olli Rehn will Frankreich nicht mehr Zeit geben, um das vereinbarte Defizitziel zu erreichen. „Wenn man Frankreich unbegründet mehr Flexibilität zugestehen würde oder einem anderen großen Mitgliedsland, würde dies sofort als Referenz genutzt werden von anderen Mitgliedsländern. Wie wir mit einem Land umgehen, hat eindeutig Einfluss darauf, was wir von anderen Ländern verlangen können. Deswegen ist es ganz besonders wichtig, dass wir die Regeln einhalten und nicht daran rumfummeln“, sagte Rehn im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann zeigt sich besorgt. „Mit Blick auf die Bindungskraft der fiskalischen Vereinbarungen ist es ein gravierender Vorgang, dass die französische Regierung die Einhaltung des Defizitziels nun noch weiter in die Zukunft verschieben möchte“, sagte er. Rehn und Weismann erinnern daran, dass der Termin für die Korrektur des übermäßigen Defizits schon zweimal verlängert worden sei.

Die EU-Kommission hatte Frankreich im vergangenen Mai zwei Jahre mehr Zeit zugestanden, um das Defizit unter die im Euroraum geltende Obergrenze von 3 % des Bruttoinlandsprodukts zu bringen. 2015 darf die französische Neuverschuldung höchstens noch 2,8 % betragen. Weil Frankreich auf dem Weg dahin aber völlig in Verzug gerät, fordert der neue französische Finanzminister Michel Sapin jetzt weiteren Aufschub. Rehn warnt unmissverständlich: „Man kommt aber nicht zu mehr Wachstum durch mehr Schulden, sondern durch Reformen.“

Hollande setzt auf Bonsai-Agenda

In Europa ist Hollande inzwischen weitgehend isoliert. Anfangs versammelte er noch die Südeuropäer hinter sich – wie ein Partylöwe die Schuldenalkoholiker um die leer getrunkene Euro-Bar, um sie darauf einzuschwören, dass man nun mit Eurobonds den Weinschrank des deutschen Nachbarn stürmen möge. Doch mittlerweile haben fast alle vom offenen Verteilungskampf gegen Berlin Abstand genommen. Stattdessen folgen sie – zwischen zähneknirschend und einsichtig schwankend – Merkels Stabilitätspolitik. Und Hollande bleibt mit seinem Dilemma allein. Denn eigentlich müsste er Frankreich nach dem Vorbild der deutschen Agendapolitik reformieren. Andererseits droht ihm dann – wie einst auch Gerhard Schröder – der finale Dolchstoß aus dem linken Lager. Und so versucht er sich durchzuwurschteln mit einer Art Bonsai-Agenda. Doch das reicht bereits, um die Gewerkschaften auf die Barrikaden zu treiben.

Hollande hat sich – von Katholiken bis Bretonen, von Hebammen bis Unternehmern – so schnell so viele Feinde gemacht, dass andere dafür ein ganzes Leben bräuchten. Die Wahlen des Jahres 2014 drohen für Hollande so etwas zu werden wie 2005 für Gerhard Schröder, als die SPD in ihrem Stammland nach 39 Jahren die Regierungsführung verlor: der Anfang vom Ende.

10.05.2014 | 13:57

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