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Versicherungen: Der ideale Partner?

Versicherungen wollen in die öffentliche Infrastruktur investieren. Sie erwarten sich davon bessere Renditen, als niedrig verzinste Staatsanleihen abwerfen. Doch das Vorhaben ist umstritten. Interview mit Dr. Torsten Oletzky, Chef der Ergo Gruppe.

WirtschaftsKurier: Herr Dr. Oletz­ky, Sie sind Mitglied in der Expertenkommission von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Thema „Stärkung von Investitionen in Deutschland“. Was ist Ihr Anliegen?

Dr. Torsten Oletzky: Ich halte es für richtig, nach alternativen Finanzierungsmodellen für Infrastrukturmaßnahmen zu suchen, auch wenn diese Position nicht überall populär ist. Aber allein die zahlreichen bekannten Beispiele, wo der Verkehr stockt oder ganz erlahmt ist, zeigen: Das deutsche Verkehrsnetz ist im Krankenstand. Viele Lebensadern sind verstopft, die Leverkusener Rheinbrücke ist nur eines von etlichen Beispielen. Und digitale Straßen enden mitunter an den Stadtgrenzen. Der Investitionsstau ist gewaltig, und mit privaten Investoren könnten zusätzliche Projekte effizient umgesetzt werden.

Inwiefern ist die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur für Versicherungen interessant?

Das zentrale Merkmal des Geschäftsmodells der Versicherung ist die Langfristigkeit. Versicherer sind große Investoren und suchen stets nach Anlagemöglichkeiten auf lange Sicht. Damit sind sie ein idealer Finanzierungspartner für Infrastruktur-investitionen. In Zeiten dramatisch niedriger Zinsen können ÖPP-Projekte (ÖPP = öffentlich- private Partnerschaften; Anm. d. Red.) für die Versicherer eine Alternative zu anderen Anlageformen sein. In Deutschland gibt es allerdings noch relativ wenige Projekte, andere europäische Länder sind da weiter.

 

Wären Gesetzesänderungen für die Verwendung von Versicherungsgeldern notwendig?

Eine Anpassung von Anlagevorschriften an die aktuelle Realität wäre in einigen Punkten hilfreich. Ein Schritt ist, dass die Bundesregierung im Februar Änderungen der Anlageverordnung für Versicherungen gebilligt hat. Wenn 2016 das neue europäische Regelwerk Solvency II mit strengeren Regeln zur Kon­trolle der Versicherungen in Kraft tritt, werden Infrastruktur-investitionen aber immer noch benachteiligt. Es macht doch keinen Sinn, dass für solche ­Projekte viel Eigenkapital vorgehalten werden muss, wenn man gleichzeitig ohne jegliche Eigenkapitalanforderung in Staatsanleihen – selbst die von Griechenland – investieren darf.

 

Eine der Hürden solcher Projekte ist das niedrige Zinsniveau, der Bund könnte sie eigentlich über Staatsanleihen zu sehr niedrigen Konditionen finanzieren. Wie kann ein Versicherer vor diesem Hintergrund zu einer attraktiven Verzinsung kommen?

Die Kritik der Öffentlichkeit richtet sich oft gegen angeblich zu hohe Renditeforderung von institutionellen Anlegern. Dem widersprechen aktuelle Ausschreibungen in Europa. Sie zeigen, dass die Renditeforderungen der Investoren in ÖPP im heutigen Zinsumfeld moderat sind.

 

ÖPP haben in der Öffentlichkeit oft ein schlechtes Image. Wie sehen Sie das?

Da ist viel negative Stimmungsmache im Spiel. Kritiker vergleichen meist ausschließlich die ­Finanzierungskosten des Staats und die möglicher privater Investoren. Das ist eine deutlich verkürzte Sicht auf die Gesamtkosten eines Projekts. Übersehen werden die oft dramatischen Kostenüberschreitungen staatlicher Bauprojekte. Durch ÖPP-Lösungen entlasten private Investoren den Staat ganz oder teilweise von diesem Risiko. Durch ihren Beitrag zur Steuerung können Projekte im vorgegebenen Zeit- und Kostenrahmen realisiert werden. Zudem werden bei ÖPP zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung die Kosten und die Leistungen über den gesamten Lebenszyklus transparent. Und die volkswirtschaftlichen Folgekosten des Investitionsstaus – zum Beispiel durch endlose Autoschlangen – werden deutlich reduziert.

 

Experten warnen davor, dass mit ÖPP die Schuldenbremse ausgehebelt wird. Ist das eine Gefahr?

Die Gefahr besteht, aber man kann ihr begegnen. Mit maximaler Transparenz. Diese Anforderung muss für beide Formen der Realisierung gelten, für klassische staatsfinanzierte Infrastrukturmaßnahmen wie für ÖPP. Durch den verbindlichen Vergleich der Alternativen für jedes Projekt werden die Motive der Entscheidung für alle erkennbar. Es gibt bei staatlichen Projekten und bei ÖPP wunderbar laufende Projekte und bei beiden Pleiten, Pech und Pannen. ÖPP sind sicher nicht die Patentlösung für jedes Infrastrukturprojekt, aber sie können einen nennenswerten Beitrag zur Reduzierung des Investitionsstaus in Deutschland leisten. Am Ende geht es darum, dass Deutschland nicht abgehängt wird, sondern eine Infrastruktur erhält, die den Wohlstand fördert und nicht mindert.

Das Interview führte 
Elwine Happ-Frank

13.06.2015 | 08:10

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