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Volkswagen geht in die Offensive

Der Autokonzern VW plant ein Musterverfahren. Aktieninhaber können mögliche Ansprüche kostengünstig klären lassen, wenn das Gericht zustimmt. Anwälte sehen gute Chancen für ihre Mandanten.

Nach dem Kursverfall der Volkswagen-Aktie im Zuge der Dieselgate-Affäre werben Anwälte um Mandanten. Nun geht VW selbst in die Offensive und strebt vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ein Musterverfahren an. Ein entsprechender Antrag der Kanzlei Göhmann, der dem Handelsblatt vorliegt, weist eine Musterklage einer Anlegerrechtskanzlei als „irrelevant oder schlicht unzutreffend“ zurück.

Der VW-Anwalt Dirk Beddies erklärt in dem Schreiben, dass „wir einen eigenen Musterverfahrensantrag gemäß Paragraf 2 KapMuG stellen werden“. In dem Verfahren sollen „sinnvolle und für die Ausgangsverfahren entscheidungserhebliche Feststellungsziele“ geklärt werden. Einer Verletzung der Ad-hoc-Pflicht widerspricht VW. Dem Vorstand sei kein Vorsatz oder keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten, der Kapitalmarkt sei nicht „grob unrichtig informiert“ worden. Es gebe kein „vorsätzliches, sittenwidriges Handeln“.

Das Wertpapierhandelsgesetz verpflichtet börsennotierte Unternehmen dazu, Aktionäre in sogenannten Ad-hoc-Mitteilungen über wichtige Ereignisse zu informieren, die Einfluss auf den Aktienkurs haben. VW wird vorgeworfen, dies zu spät getan und Aktionären Informationen vorenthalten zu haben. Eine publizitätspflichtige Insiderinformation lag laut VW-Kanzlei aber erst vor, nachdem die US-Umweltbehörde EPA am 18. September 2015 mögliche Strafzahlungen öffentlich gemacht hatte.

Erst ab diesem Zeitpunkt hätte der Vorstand die kursrelevanten Folgen belastbar einschätzen können, die entsprechende Insiderinformation sei „unverzüglich am 22. September 2015 veröffentlicht“ worden. Der Konzern hatte an diesem Tag zugegeben, dass weltweit bei rund elf Millionen Dieselfahrzeugen eine Manipulationssoftware eingesetzt worden war, die den Stickoxid-Ausstoß im Testbetrieb als zu niedrig ausgewiesen hatte. In Anleger-Prozessen ist es unüblich, dass die beklagte Firma selbst ein Musterverfahren initiiert.

Wie verteidigt sich VW?

Die Verteidigungsstrategie von VW sei simpel, es gehe gar nicht mehr darum, den Betrug zu bestreiten, erklärt Anwalt Thorsten Krause von der Kanzlei KAP, die einige Kläger vertritt: „Im Kern argumentiert der Konzern, das Problem für beherrschbar gehalten zu haben. Aus meiner Sicht hätte VW aber klar sein müssen, dass es gewaltige Folgen haben kann, wenn der Betrug bekannt wird."

Andere Anwälte sind siegesgewiss. „Der Vorstoß von VW dürfte eher aus prozessökonomischen Gründen erfolgt sein“, erklärt Julius Reiter von der Kanzlei Baum Reiter & Collegen. Ein Schuldanerkenntnis sei darin nicht zu sehen. „Die Chancen für einen Sieg der Aktionäre sehen wir weiterhin als gut an“, sagt Reiter. Ob der Antrag von VW Erfolg hat, steht noch nicht fest. Das Prozessgericht entscheidet über die Zulässigkeit und würde dann den Antrag im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichen. Das ist bisher nicht geschehen. Innerhalb von sechs Monaten müssen mindestens zehn Musterkläger einen Antrag stellen.

Der Vorteil eines Musterverfahrens liegt im geringen Prozesskostenrisiko, das auf alle Beteiligten anteilig umgelegt wird. Ende 2005 wurde das Kapitalanlager-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) als Reaktion auf Massenklagen insbesondere gegen die Deutsche Telekom eingeführt. Mit diesem Verfahren soll die Klärung von für Einzelprozesse entscheidungsrelevanten Musterfragen erleichtert werden, das Ergebnis dieser Verfahren hat Bindungswirkung für die Einzelprozesse aller Beteiligten.

Was müssen Anleger beachten?

Zur Einleitung des Musterverfahrens muss zunächst der einzelne Geschädigte bei dem für ihn zuständigen Zivilgericht der ersten Instanz nach Klageerhebung einen sogenannten Musterfeststellungsantrag stellen. Soweit dann innerhalb von sechs Monaten neun weitere gleich gerichtete Musterfeststellungsanträge von anderen Geschädigten gestellt werden, wird die Musterfrage dem zuständigen Oberlandesgericht vorgelegt. Darüber hinaus ermöglicht die Beteiligung an einem KapMuG-Verfahren die Hemmung der möglichen Verjährung.

Rechtsanwalt Andreas Tilp, dessen Kanzlei VW-Anleger vertritt, begrüßte den Vorstoß des Konzerns: Der Vorteil durch ein Musterverfahren sei für Kläger „besonders hoch, er erhöht die Siegchancen“, sagte Tilp. In Musterverfahren habe seine Kanzlei bereits gegen die Telekom und HRE vor Gericht gewonnen.

„Wir begrüßen diesen Schritt ausdrücklich. Bisher hat sich VW ja eher wenig anlegerfreundlich gezeigt“, sagte Klaus Nieding, Vorstand der Nieding+Barth Rechtsanwaltsaktiengesellschaft. „Noch vor kurzem wurde unserem Antrag, zu erfahren, wie viele Musteranträge bereits am Braunschweiger Landgericht gegen VW wegen einer Verletzung der Ad hoc-Meldepflicht anhängig sind, seitens des Unternehmens widersprochen“. Daniel Vos, Partner bei der Kanzlei Müller Seidel Vos ergänzte: „Die Investoren werden langsam ungeduldig. Da ist jeder Schritt des Unternehmens, der uns einer Klärung näher bringt, positiv zu bewerten.“ Handelsblatt / Jens Hagen

08.03.2016 | 11:41

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