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Wie gut ist Merkel wirklich?

3062 Tage im Amt – seit dieser Woche regiert Angela Merkel länger als jeder SPD-Kanzler. Nur Kohl und Adenauer waren noch länger dran. Sie ist national beliebt und international respektiert – und doch fehlt ihr etwas.

Sie nannten sie schon „die Faustische“, weil sie so suchend und zaudernd regierte. Nachdem sie kühlen Herzens aber reihenweise Konkurrenten erledigte, rief man sie „Wallenstein“. Und als man in Berlin beobachtete, wie man ihr eifersüchtig misstraute und sie sich mit ihren Ziehvätern scheinbar naiv überwarf, da witterte man den weiblichen Don Carlos.

Doch all die Vergleiche sind falsch. Angela Merkel taugt für kein Drama. Ihr Naturell entstammt nicht dem Pathos, nicht dem Schicksalsspiel und nicht der Welt der Wallung. Ihr Wesen ist aus einem norddeutschen Klinkerbau erwachsen, kühl und schmucklos und rational und bescheiden. Sie ist in jeder Beziehung protestantisch.

Bundeskanzlerin zum Beispiel ist sie lange gar nicht gewesen. Die Euro-Krise erst hat Angela Merkel dazu gemacht. Davor war sie Darstellerin des Amtes, sie spielte politische Führung, und also wechselte sie die Rollen und Meinungen. Sie wollte oder konnte nicht voran gehen, sondern entschied sich für eine politische Strategie des Moderierens. So wurde sie zur Meisterin von liquid democracy, längst bevor die Piraten das zur Mode machten.

Man nannte sie wahlweise „behutsam“, „opportunistisch“ oder „präsidial“. Sie rief sich selbst als „die Mitte“ aus. Doch die Chamäleonphase der merkelschen Regentschaft folgte bloß ihrer Biografie, hat sie doch schon viele Häutungen vollzogen.

Man sah das unsichere Ost-Mädchen von Helmut Kohl mit sonderbaren Haaren und besonderer Intelligenz. Ihr folgte die generalsekretärende Praktikantin der Macht, die schneller lernt, als andere denken können. Dann trat diese sonderbar mitfühlend-ehrgeizige Krankenschwester der verwundeten Post-Kohl-CDU auf, die einen sicheren Instinkt für die Schwächen anderer hat.

Plötzlich agierte sie als kalte Physikerin der Macht, die ihre innerparteilichen Konkurrenten erledigt wie lästige Bauern in einem Schachspiel. Schließlich triumphierte die großkoalitionär ausgleichende Mutter der Nation, Deutschlands erste Frau im Kanzleramt.

Ihre Strategie, Politik als summierende Nachhutveranstaltung zu organisieren, ist zum Markenzeichen geworden. Damit entfaltet sie immer wieder eine Szenerie des Diffusen, doch irgendwie passt das zum Zeitgeist der Indifferenz. Die Große Koalition wird die große Signatur ihrer Ära. Sie kommt dem Regierungsstil Merkels ebenso entgegen wie ihren mittigen Überzeugungen.

Selbst Hallodri-Kanzler Schröder hat einen historischen Verdienst

Die Union hat Angela Merkel mit ihrem linkslastigen Modernisierungskurs inzwischen weiträumig sozialdemokratisiert: vom Etatismus der Wirtschaftspolitik bis zur radikal-grünen Energiewende, von der Homo-Ehe bis zur Papstkritik – immer weniger wissen Deutschlands Christdemokraten, was an ihrer Regierung noch christdemokratisch ist. Wie auch, da Merkel mit ihrer CDU seit Jahren die Strategie verfolgt, das linke Lager durch systematische Raubkopie zu entwaffnen.

Habituell befriedet sie damit ein Deutschland, das mit sich selbst so im reinen scheint wie noch nie. Nach außen vertritt sie die Nation mit Selbstbewusstsein und Haltung, die selbst ihre Gegner bewundern. Und mit der Bewältigung der europäischen Schuldenkrise hat sie auch staatsmännische Meriten verdient. Und doch fehlt Angela Merkel etwas Entscheidendes, um eine große Kanzlerin zu werden.

Mit 3062 Tagen im Amt hat sie alle SPD-Kanzler zwar an Regierungsdauer überholt, ebenso Kiesinger und Ehrhard. Nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl haben noch länger regiert. In deren Gefilde ist sie nun zeitlich also vorgedrungen. Aber wo bleibt das historische Verdienst?

Adenauer hatte das Wirtschaftswunder, die Republikgründung, die Westbindung. Brandt verbucht Versöhnung nach außen und Demokratisierung nach innen. Kohl steht für die Wiedervereinigung und den Euro. Selbst der Hallodri-Kanzler Gerhard Schröder hat mit seiner Agenda 2010 der Nation einen großen Dienst erwiesen, und dafür sogar sein Amt geopfert. Von dieser mutigen Tat profitieren Deutschland (und Merkel) bis heute mit einem breiten wirtschaftlichen Erfolg. Und die Große Koalition droht gerade mit absurden Rentenreformen und planwirtschaftlichen Vorstößen von Mindestlohn bis Mietpreisbremse diesen strategischen Vorteil Deutschlands zu verfrühstücken.

Was also würde Merkels Erbe sein, wenn sie morgen zurückträte? Es fehlt der Markstein. Die Merkel-Ära wäre eine Wellness-Oase der bundesrepublikanischen Geschichte – nett, behaglich, versöhnlich, eine Entspannungsmassage der Machtpolitik. Unter den Bedrohlichkeiten, was alles schief laufen kann in der Politik, ist das schon eine Menge. Für die Chance aber, was alles möglich wäre, ist es wenig. Aber sie hat ja vielleicht noch einmal 3062 Tage – zuzutrauen wäre es ihr.

Dieser Kommentar ist Teil der Kolumne "What's right?", die Wolfram Weimer wöchentlich für das Handelsblatt schreibt.

13.04.2014 | 14:42

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