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Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik

Branche: Ein Ende der niedrigen Zinsen und einen Verzicht auf unsinnige Regulierungen fordert Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

WirtschaftsKurier: Herr Erdland, das Festhalten an niedrigsten Zinsen ist nicht nur ein Instrument der EZB, sondern offensichtlich politisch gewollt. Haben Sie den Eindruck, dass die Entscheidungsträger der nationalen und der europäischen Politik wissen, welchen Schaden die Niedrigzinsphase bei Sparern, Anlegern und Unternehmen anrichtet?

Alexander Erdland: Ich glaube schon, dass die Politik – zumindest in Deutschland – inzwischen weitgehend verstanden hat, dass die künstlich niedrig gehaltenen Zinsen ganz erhebliche Nachteile vor allem zulasten der Sparer und der Altersvorsorge verursacht. Diese – von der Politik ja gar nicht beabsichtigten, aber zwangsläufigen – Nebenwirkungen einer mehrjährigen Niedrigstzinsphase haben das Potenzial, erhebliche gesellschaftliche und sozialpolitische Verwerfungen zu bewirken. Deshalb fordern unser Verband und unsere Branche dazu auf, unverzüglich eine Strategie zum Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik anzugehen.

EZB und Politik begründen das Festhalten an niedrigen Zinsen mit europapolitischen Notwendigkeiten …

Aber genau diese Rechnung geht ja erkennbar nicht auf! Die Probleme überschuldeter Staaten und nicht wettbewerbsfähiger Ökonomien können nicht geldpolitisch gelöst werden. Im Gegenteil: Eine Fortsetzung dieser Politik der niedrigsten Zinsen verlangsamt eher die notwendigen Reformen, schafft Fehlanreize und fördert die Bildung neuer Verwerfungen.

Die Folgen der dauerhaft niedrigen Zinsen belasten die Versicherungswirtschaft wohl noch mehr als die anderen Zweige der Finanzdienstleistungen. Wie gehen die Versicherungsunternehmen mit dieser Herausforderung um? Wie lange kann die Branche diese Zins-Durststrecke durchhalten?

Wir können – bei aller Hoffnung auf einen „konstruktiven Flankenschutz“ der Politik – nicht damit rechnen, dass sich diese missliche Lage schon morgen ändert. Deshalb müssen wir auf verschiedenen Feldern so besonnen wie entschieden das Richtige tun, um diese Herausforderungen mit langem Atem bestehen zu können. Dies betrifft eine Neuausrichtung der Anlagestrategien, genauso das Kostenmanagement und – nicht zuletzt – die Entwicklung veränderter Angebote.

Die über Jahrzehnte bewährte Anlagestrategie der Versicherungen mit dem Schwerpunkt auf den – bis zur Staatsschuldenkrise – stets als sicher geltenden und gut verzinsten Staatsanleihen muss radikal umgebaut werden. Auf welche einigermaßen rentierlichen Anlagen können die Versicherungen denn derzeit noch setzen, ohne gleichzeitig unvertretbare Risiken einzugehen?


Bei den Kapitalanlagen der Versicherungen gilt nach wie vor der Grundsatz „Sicherheit geht vor Rendite“. Im Lichte der Erfahrungen der jüngsten Krise und der inzwischen zum Teil völlig veränderten Lage an den Kapitalmärkten mussten und müssen die Versicherungen freilich ihre Anlagestrategie neu ausrichten. Früher hatten Lebensversicherer 80 % und mehr in als sicher geltenden Staats- und Bankenpapieren angelegt. Hier ändert sich etwas. Es geht verstärkt um gedeckte Anleihen, um Anleihen erstklassiger Unternehmen, um wertstabile Immobilien, bis hin zu abgesicherten Energie- und Infrastrukturprojekten. Bei all unseren Anlageentscheidungen prüfen wir sehr sorgfältig die angebotenen Produkte – und die potenziellen Partner.

Immer mehr Kontakte zwischen Finanzdienstleistern und Kunden kommen über Internet-Vergleichsportale zustande. Sie verlangen in der Regel erhebliche Provisionen für erfolgreiche Vertragsabschlüsse. Finanzdienstleister, die sich dem nicht beugen, kommen in den Angeboten dieser Vergleichsportale zumeist gar nicht vor. Ist diese Praxis nicht ein Ärgernis – und ein erheblicher Kostentreiber obendrein?


Die Bedeutung der Kommunikations-Plattformen im Internet wächst auch im Bereich der Versicherungen. Die Vergleichsportale sind ein Teil dieser Entwicklung. Wir haben überhaupt nichts gegen Transparenz und Vergleichsmöglichkeiten. Aber diese Portale sind von sehr unterschiedlicher Qualität und Bandbreite. Deshalb werden wir deren Entwicklung sehr genau beobachten. Die Entscheidung, ob mit solchen Portalen kooperiert wird, muss jedes Versicherungsunternehmen selbst treffen. Die anhaltende Niedrigzinsphase hat bei einem Teil der Versicherungsprodukte schon erhebliche Spuren hinterlassen. So sind die Garantiezins-Zusagen bei Lebens- und Rentenversicherung bereits erheblich reduziert worden. Wird sich dieser Renditeabbau weiter fortsetzen? Die Veränderung der Zinslandschaft konnte und kann nicht ohne Auswirkungen auf die Kalkulation von langfristigen Lebens- und Rentenversicherungen bleiben. Umgekehrt bemüht sich die Branche, durch Flexibilisierung der Verträge auch eine spätere Anpassung der Verzinsung nach oben zu erleichtern. In den vergangenen Jahren wurden Lebens- und Rentenversicherungen überwiegend unter den Aspekten Rendite und Steuerersparnis gesehen. Ich glaube, dass wir künftig auch die Sicherheit dieser Verträge und die Ausgleichsfunktion wieder verstärkt vermitteln sollten.

Mit seinen rund 6 Mio. Kunden zählt das von Ihnen geführte Unternehmen, die Gruppe Württembergische und Wüstenrot (W&W), unter den deutschen Finanzdienstleistern zu den Großen der Branche – international gesehen ist W&W wohl eher Mittelstand. Ist diese noch überschaubare Größenordnung eher Chance als Nachteil im harten, zunehmend international ausgetragenen Wettbewerb?

Die in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen und Kundenbeziehungen der Gruppe W&W und die Konzentration auf den deutschen Markt sollten durchaus auch Vorteile haben: Im Vergleich zu globalen Konzernen kann ein solches mittelständisches Unternehmen näher am Heimatmarkt
sein – auch flexibler auf die Bedürfnisse von Kunden eingehen. Im Übrigen können wir mit unserem Verbund von Vertriebspartnerschaften auch über andere Finanzdienstleister bis zu 40 Mio. Kunden erreichen.

Die Versicherungswirtschaft unterlag und unterliegt einer –
im Vergleich zum Bankensektor – vergleichsweise stringenten Regulierung. Jetzt will die EU-Kommission über Solvency II die Eigenkapitalvorschriften für die Versicherungen weiter verschärfen. Sehen Sie noch eine Chance, diese zusätzlichen Belastungen abzuwehren?


Wir begrüßen eine zweckmäßige, risikoorientierte Regulierung. Zur ausgewogenen Gestaltung setzen wir auf den Begleitschutz der nationalen Politik gegenüber der EU-Kommission. Es gab eine Banken- und es gibt eine Staatsschuldenkrise – aber wir hatten zu keinem Zeitpunkt eine Versicherungs- oder Bausparkassenkrise. Deshalb sollte die Politik einen stabilen Teil des Finanzsektors nicht unnötig belasten.

Das Interview führte

Klaus G. Wertel

28.10.2013 | 09:29

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