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Am 23. Juni will Großbritannien seine Bevölkerung über einen möglichen EU-Austritt abstimmen lassen. David Cameron steht dabei viel auf dem Spiel, zumal der populäre Londoner Bürgermeister nun bekennender EU-Gegner ist. Für die Briten steht viel auf dem Spiel. Noch mehr aber haben die Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals zu verlieren.

In London nennen sie ihren Bürgermeister einfach nur Boris. Er ist chronisch verstrubbelt, nie um einen Spruch verlegen und betritt den Regierungssitz in der Downing Street schon mal mit Fahrradhelm auf dem Kopf. Dass Boris sich - nach scheinbarem Zögern - auf die Seite der EU-Gegner schlägt, nennt das Boulevardblatt „Sun“ treffend eine „blonde Bombe“. Boris Johnson ist von einem Tag auf den anderen so etwas wie das Gesicht der „Brexit“-Kampagne, die vor dem Referendum im Juni für den Abschied aus der Union wirbt.

EU-Feinde jubeln: Kaum einer kann dem „Projekt Drinbleiben“ so gefährlich werden wie der 51-Jährige. Rechtspopulist Nigel Farage schreckt die politische Mitte eher ab, Justizminister Michael Gove gehört zu den unbeliebtesten Politikern. Boris Johnson ist im politisch zu Labour neigenden London als Konservativer zweimal zum Bürgermeister gewählt worden. Und bereits am 23. Juni dieses Jahres dürfen die mehr als 60 Millionen Briten darüber entscheiden, ob sie als erstes Land in der Geschichte der Europäischen Union die Gemeinschaft freiwillig verlassen wollen. Mindestens fünf seiner Minister werden dabei für den Austritt kämpfen.

Last Exit Brexit?

Cameron selbst macht dabei unmissverständlich klar, auf welcher Seite er kämpfen wird. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Großbritannien sicherer, stärker und besser aufgehoben ist, wenn es in einer reformierten EU verbleibt“, spricht er mit fester Stimme in die Kameras vor dem Londoner Regierungssitz. Der erfahrene Tory-Spitzenmann weiß, dass die demonstrative Eile der Regierung auch einem politischen Zweck folgt. Es geht auch darum geht, schnell die Deutungshoheit über den erzielten Kompromiss zu erlangen.  Denn die größte Herausforderung steht dem Premier nun erst noch bevor:  Er muss nun auch seine Bevölkerung von den Vorzügen seines Deals – und noch viel wichtiger - von der EU-Gemeinschaft  überzeugen.

Alles auf eine Karte. Der Kompromiss aus Brüssel soll den Grundakkord liefern, auf dem Camerons Kampagne für die Volksabstimmung aufsetzen will – aber auch die Gegner machen bereits mobil. Denn selbst Camerons Kabinett ist in dieser Frage tief gespalten – und die Sondersitzung ist auch der Startschuss für seine Gegner das Visier zu öffnen. So outet sich unter anderem mit Camerons Justizminister Michael Gove ein Schwergewicht der Tories umgehend als Befürworter eines Verlassens der Gemeinschaft, während die britische Innenministerin Theresa May sich auf die Seite von Cameron schlägt. Der Juni wird damit zum Sommer der Entscheidung – und nicht nur für Großbritannien zu einer Schicksalsfrage.

Der rasche Abstimmungstermin folgt dabei politischem Kalkül: Cameron hofft mit dem Rückenwind des Gipfel-Erfolgs die Briten nun mit einer Pro-EU-Kampagne zum Verbleib zu bewegen. Zudem möchte der Brite unter allem Umständen verhindern, dass die Debatte um einen möglichen Brexit mit der Bundestagswahl in Deutschland und der Präsidentschaftswahl in Frankreich im Jahr 2017 zusammenfällt.

Bleiben oder Gehen?

Es ist eine einfache Frage, auf die die Briten eine klare Antwort finden müssen - aber die Konsequenzen dieser Entscheidung werden weit über das Königreich hinausreichen. Ein Austritt könnte die Gemeinschaft in die schwerste Krise ihrer Geschichte zu stürzen. Denn es steht viel auf dem Spiel. So rechnet die übergroße Mehrheit der Unternehmenslenker in Deutschland und Großbritannien bei einem Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union nach einer Studie mit massiven wirtschaftlichen Einbußen. Die Frage 'Brexit' oder 'Drinbleiben' spaltet jedoch nicht nur die britische Bevölkerung, sondern auch das Kabinett sowie Camerons konservative Tory-Partei.  Es ist ein Bild der Zerrissenheit, das die ganze Insel prägt: Umfragen sagen beim Referendum ein äußerst knappes Rennen voraus. Handelsblatt / Carsten Herz / Bearb.: sig

21.02.2016 | 10:10

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