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DAX-Werte: China-Gefahr noch nicht gebannt

„Nicht alle Eier in einen Korb legen“, lautet eine alte Börsenweisheit. Sie besagt, dass Anleger ihre Investments breit verteilen sollten – über mehrere Anlageklassen und viele Einzelwerte, Branchen und Länder. Doch deutsche Privatanleger wollen von dieser Risikostreuung scheinbar nichts hören, sie setzen vor allem auf heimische Aktien. Zwei Drittel aller beim Onlinebroker Comdirect verwahrten Aktien sind inländische Titel. Bei anderen Banken dürfte das Ergebnis ähnlich ausfallen.

Die Heimatverliebtheit der Deutschen – Experten sprechen von „Home Bias“ – ist auch an der Börse Stuttgart zu beobachten. „Deutsche Privatanleger sind extrem auf den Dax fokussiert“, sagt Holger Schleicher, Leiter des Handels mit verbrieften Derivaten. Ein ähnliches Bild zeigt sich am Handelsplatz München: Unter den zehn beliebtesten Aktien, die im ersten Halbjahr 2015 dort gehandelt werden, befinden sich neun deutsche, acht Dax-Aktien und nur ein Ausreißer aus den USA. Immerhin 55 Prozent des Handelsvolumens an der Börse München entfallen auf deutsche Titel. „Bei den großen deutschen Einzelaktien dürfte auch die Bekanntheit der jeweiligen Unternehmen eine Rolle für die Anlageentscheidung spielen“, so Schleicher von der Börse Stuttgart. „Und nicht zuletzt schwingt sicherlich auch ein Stück Lokalpatriotismus mit.“

Natürlich ist Deutschland eine der größten Volkswirtschaften und verfügt über viele hoch kompetente, innovative und zukunftsträchtige Kapitalgesellschaften. Doch solche Heimatgewichtungen gehen zu weit. Denn damit hängt ihr Engagement sehr stark von der heimischen Wirtschaft ab. Das ist in den Jahren, in denen die deutsche Exportmaschine läuft wie am Schnürchen, sicher gut. Nur kann sich das auch irgendwann wieder ändern. Gerät der deutsche Wachstumsmotor ins Stottern, dann würgt das auch die Rendite im Depot ab.

Heimatverbundenheit kann Gift fürs Depot sein

Im Weltaktienindex MSCI World kommt Deutschland gerade mal auf einen Anteil von knapp vier Prozent. In den Depots der Privatanleger sieht das ganz anders aus. Dort sind zudem noch einzelne heimische Aktien stark übergewichtet. „Dax-Titel wie BASF, Allianz, Daimler und Deutsche Telekom sind dabei ganz vorne“, sagt Jan Enno Einfeld, Leiter Trading bei Comdirect. „Auf Platz fünf kommt mit Apple der erste Auslandswert.“ Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Börse Stuttgart. Auch die Derivate-Anleger wählen vor allem Zertifikate mit dem Dax und Dax-Einzelaktien als Basiswert. Auch hier stehen BASF und Daimler hoch in der Gunst der Anleger, und auch hier ist Apple die am stärksten nachgefragte Auslandaktie.

Studien zeigen auch immer wieder, dass Anleger häufig verstärkt auf Autowerte setzen. Kein Wunder: Das Auto ist bekanntlich des Deutschen liebstes Kind. Deshalb finden sich auch die deutschen Autowerte in vielen Depots. Aus psychologischer Sicht lässt sich diese Verzerrung hin zu einer Branche – „Sector Bias“ genannt – leicht erklären. Informationen einiger Branchen sind präsenter und einfacher zu interpretieren als Informationen anderer.

Deutschland besitzt verglichen mit anderen Ländern eine außergewöhnlich hohe Dichte an Automobilunternehmen – vom Zulieferer bis zum Hersteller –, was natürlich zu einer relativ hohen Zahl von Beschäftigten in diesem Bereich führt. Unsere Affinität zum fahrbaren Untersatz ist außerdem weltbekannt. All das führt zu einer intensiven Berichterstattung in allen Medien. Diese leichte Verfügbarkeit vieler verschiedener Informationen über die Autobranche verleitet viele Privatanleger dazu, die globale Bedeutung von BMW oder Daimler zu überschätzen. Die Risiken für Volkswagen dagegen unterschätzen sie vielleicht: rund 65 Milliarden Euro setzt der Wolfsburger Autoriese in China um, das ist rund ein Drittel des Konzernumsatzes, der 2014 stolze 201 Millairden Euro betrug.

Wie gefährlich eine solche Übergewichtung sein kann, bekommen sie gerade zu spüren: Autowerte werden durch die schwächelnde chinesischen Wirtschaft besonders heftig durchgerüttelt. Experten warnen grundsätzlich vor Klumpenrisiken im Depot. Das gilt für Branchen, aber auch für einzelne Länder. „Auch wenn der Heimatmarkt traditionell besonders im Fokus steht, sollten Anleger auch über den Tellerrand schauen“, rät Schleicher. „Denn sonst entgehen ihnen interessante Investmentmöglichkeiten, die viele ausländische Märkte mit Blick auf einzelne Unternehmen oder bestimmte Branchen bieten.“ Das Phänomen der Heimatverliebtheit ist übrigens nicht nur in Deutschland zu beobachten, sondern überall auf der Welt. Griechen oder Spanier mussten schmerzvoll erfahren, wie gefährlich der „Home Bias“ sein kann. Die Heimatverbundenheit unserer europäischen Nachbarn in Krisenländern war lange Jahre Gift in den Depots. Handelsblatt / Jessica Schwarzer

25.08.2015 | 23:31

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