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Teurer Atomausstieg: Wer zahlt?

Großkonzerne wie RWE und Eon haben schwer mit der Energiewende zu kämpfen. Vor allem der Abschied von der Kernkraft wird teuer - aber wer soll die Risiken tragen? Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und der Energiemanager Werner Müller haben so ihre eigenen Ideen.

„Eltern haften für ihre Kinder“: An diesem Satz hat Sigmar Gabriel Gefallen gefunden. Jeder kennt das Prinzip von den Warnschildern auf Baustellen – übertragen auf die Großbaustelle des SPD-Wirtschaftsministers, die Energiewende, soll er bedeuten: Die Energiekonzerne müssen für die Kosten des Atomausstiegs selbst aufkommen. Die Privatwirtschaft, nicht die Steuerzahler sollen die Milliardenrisiken des Abrisses der Meiler und der Endlagerung des strahlenden Mülls tragen.

Sein Gleichnis vom Haftungsprinzip der Eltern, also der Kraftwerksbetreiber Eon, RWE, Vattenfall und EnBW, erneuerte Gabriel am Donnerstagabend bei einer Diskussionsrunde der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik zur Zukunft der Energieversorgung (Bapp). Das Problem ist nur: Die Konzerne, allen voran Eon und RWE, haben schwer an der Energiewende zu tragen und sind bereits heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Knapp 39 Milliarden Euro haben sie bislang für den Atomausstieg zurückgestellt – es könnte aber deutlich teurer werden.

Atomstiftung als Lösung des Kostenproblems?

Ein Herz für arme Kinder zeigte Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller, der neben Gabriel auf dem Podium saß. „So weit ich weiß, haften sehr reiche Eltern nicht dafür, wenn ihr Sohn Hartz IV bekommt“, entgegnete Gabriels parteiloser Vor-Vorgänger. Im übrigen habe ein Kind normalerweise zwei Eltern: Der Staat sei zum Teil an den Konzernen beteiligt, vor 40 Jahren gehörte ihm die Kernenergie noch vollständig. So viel zur Verantwortung der Steuerzahler. Gabriel entgegnete, man solle „jetzt nicht auch noch versuchen, ein paar Großeltern zu finden“. Es gehe schließlich ums „Gemeinwohl“, sagte der Vizekanzler unter Applaus.

Jenseits der „Ahnenforschung“, wie Moderator und Handelsblatt-Chefredakteur Hans-Jürgen Jakobs einwarf, ging es am Donnerstagabend aber vor allem um die Frage: Wer soll sie bezahlen, die Kosten für den Ausstieg in den nächsten Tausend Jahren? Und in welcher Konstruktion? Müller hat bereits für eine Atomstiftung geworben, die Vermögen anhäuft und über einen langen Zeitraum hinweg den Atomausstieg finanziert: „Sie soll so konstruiert sein, dass der Staat, wenn es planmäßig läuft, nicht in Haftung kommt“, sagte Müller am Donnerstag, „und allenfalls dann in Haftung kommt, wenn er Unsinn macht“.

Die „Kunst des Möglichen“

Müller, der als Wirtschaftsminister unter Rot-Grün den Atomausstieg verhandelte, hat darin schon Erfahrung: Als Chef des Kohlekonzerns RAG hatte er den Ausstieg aus der Steinkohle eingeleitet, er brachte das zukunftsträchtige Chemiegeschäft als Evonik an die Börse und verwaltet nun als Chef der milliardenschweren RAG-Stiftung die Folgerisiken des Bergbaus. Zur möglichen Atomstiftung kann Müller nun einiges erzählen: Der ehemaliger Manager beim Eon-Vorgänger Veba ist für eine Expertenkommission zum Atomausstieg im Gespräch, die Modelle entwickeln und demnächst ihre Arbeit aufnehmen soll. Gleichzeitig ist Müller bei RWE der Wunschkandidat der Kommunen, die 25 Prozent der Anteile halten, für den Posten des Aufsichtsratschefs.

Zu besprechen mit dem Wirtschaftsminister gibt es genug. Das Modell der RAG-Stiftung jedenfalls sei nicht ohne weiteres auf die Kernenergie zu übertragen, sagte Gabriel – weil es die Konzerne, die dafür Gewinne erwirtschaften müssen, in dieser Form bald nicht mehr gibt. Ralf Fücks, Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, schlug „eine Art unternehmerische Stiftungslösung“ vor. Es müsse aber so laufen, „dass man nicht die Unternehmen killt, die dann haften sollen“.

Auch Gabriel sagte: „Wir werden das klären müssen, in einer Weise, bei der wir nicht vier Unternehmen rasieren“. Schließlich stünden auch Zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel, weshalb man auch aufhören müsse, „Bashing“ gegen die Konzerne zu betrieben. Derzeit lässt sein Ministerium Stresstests laufen, die ermitteln sollen, inwieweit die Rückstellungen der Konzerne ausreichen. Erstes Zwischenergebnis: Sie werden nicht reichen. Die Verzinsung, die Eon und Co. zu Grunde gelegt haben, war wohl viel zu optimistisch. Gabriel sagte noch: „Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit“. Bodo Hombach, Bapp-Präsident und einst Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder, fand die passenden Worte für das Gesamtprojekt Energiewende: Es sei die „Kunst des Möglichen“.

Handelsblatt/Nils Rüdel/MM

02.10.2015 | 13:43

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