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Italien ist das XXL-Griechenland

Italiens Wirtschaft kommt nicht in Schwung, die Staatsverschuldung wächst hingegen rasant. Premier Renzi weiß, dass sein Land in einer labilen Verfassung ist. Sein Reformschwung ist verflogen. Nun warnen Analysten vor einer gewaltigen Schieflage.

Es sind 8 866 Euro, so viele Neuschulden macht Italien derzeit – und zwar jede Sekunde! Die Zahlen sind nicht bloß schlecht, sie sind dramatisch. Nach Angaben der ita­lienische Notenbank hat das Land allein im Mai 23,4 Mrd. Euro neue Schulden aufgenommen. In den ersten fünf Monaten des Jahres sind damit die Staatsschulden um sagenhafte 83,3 Mrd. Euro emporgeschnellt. Analysten erwarten, dass inzwischen die Marke von 100 Mrd. Euro Neuschulden fürs laufende Jahr klar überschritten ist. Damit hat Italien in einem Halbjahr mal eben das gesamte neue Rettungspaket für Griechenland auf seinen eigenen Schuldenberg draufgepackt. Und der ist inzwischen so gewaltig, dass dadurch die Stabilität der Eurozone langfristig mehr gefährdet werden könnte als durch Griechenlands Überschuldung.

Italiens Schuldenberg ist auf 2 218,2 Mrd. Euro angestiegen. Das sind 133 % des Bruttoinlandsprodukts – mehr als doppelt so hoch, als das Maastricht-Kriterium der Eurozone eigentlich erlaubt. Italien ist zusammen mit Griechenland das prozentual am höchsten verschuldete Land Europas – nur dass die absoluten Summen in Italien dramatisch viel größer sind. Mit den neuen Zahlen entlarvt sich die Rhetorik der Regierung Renzi, die gern von einer „Sparpolitik“ schwadroniert, als glatte Irreführung. Italien spart kein bisschen, es haut vielmehr die Schuldenmilliarden raus wie nie.

Das Schuldenmonopoly, das Rom derzeit betreibt, wird dadurch heikel, weil zugleich die Wirtschaft schwächelt und das Land unter schweren Strukturproblemen leidet. Italien sei ein kranker Mann, „the sickest man in Europe“, schreiben Analysten der Schweizer Großbank UBS. Verglichen mit der Zeit vor dem Beginn der globalen Finanzkrise 2008 ist Italiens Industrieproduktion um ein Viertel gesunken. Das Pro-Kopf-Einkommen ist auf dem niedrigsten Niveau seit 1997, die Arbeitslosigkeit hat sich verdoppelt. Kurzum: Italien erleidet die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone hat eine lange Durststrecke ohne Wachstum in 14 aufeinanderfolgenden Quartalen ertragen, jetzt geht es minimal nach oben.

"Finanziell mit dem Rücken zur Wand"

Doch der schwache Aufschwung wird wesentlich von EZB-Maßnahmen und Sondereffekten getragen – von niedrigen Zinsen, vom schwachen Euro, vom niedrigen Ölpreis. Dagegen kommt Rom bei den heiß umstrittenen Reformen nur mühsam voran. Renzis Arbeitsmarktreform war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch die Wettbewerbslage Italiens wird kaum besser. Das entscheidende Problem ist die zu geringe Produktivität. Diese liegt heute sogar unter dem Niveau zur Zeit der Euro-Einführung 1999. In keinem vergleichbaren europäischen Land ist eine solche negative Entwicklung zu beobachten.

Die Analysten der Helaba warnen: „Die Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre haben damit zu einem Lohnstückkostenschub und zu einer erheblichen Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt.“ Die italienische Wirtschaft hinke dem europäischen Wachstumspfad um mehr als 15 Prozentpunkte hinterher. Mittlerweile nähert sich das Bruttoinlandsprodukt, bereinigt um die Inflationsrate, wieder dem Niveau von 1999. Forschung und Entwicklung sind viel zu schwach ausgeprägt. Außerdem wird das Wirtschaftsleben durch Korruption, ein langsames Rechtssystem und Überbürokratie behindert. So bleibt die Investitionsneigung gering.

Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, schlägt nun Alarm: „Italien, immerhin drittgrößte Volkswirtschaft im Euro-­Raum, macht mir mehr Sorgen als Frankreich. Italien hat gewaltige und fundamentale Pro­bleme, nicht nur im Arbeitsmarkt, sondern auch im Justizsystem: So ist es beispielsweise sehr schwierig, vor Gericht vertragliche Ansprüche durchzusetzen. Arbeitnehmer sind derart geschützt, dass junge Leute kaum zum Zug kommen. Reformen kommen nur sehr langsam voran. Das Land generiert seit 15 Jahren kaum Wachstum. Die Verschuldung ist entsprechend hoch. Ich denke mit Schrecken an die nächste Rezession, denn Italien steht finanziell mit dem Rücken zur Wand und verfügt über wenig Manövriermasse.“

Schlechte Noten beim Banken-Stresstest

Die Renzi-Regierung versucht, die lahmende Wirtschaft durch staatliche Aufgabenmilliarden anzuschieben, doch das verfängt kaum, erhöht aber die Schieflage der öffentlichen Finanzen immer weiter. Zugleich sind auch die Bankbilanzen angeschlagen. Beim jüngsten Stresstest der EZB hatten Italiens Banken am schlechtesten abgeschnitten. Geldinstitute wie Monte ­Paschi und Carige müssen noch immer große Kapitallöcher stopfen. Wegen der Rezession der vergangenen Jahre und der Firmenpleiten ist die Summe der faulen Kredite weiter gestiegen. Laut Bankenvereinigung ABI beliefen sich die notleidenden Kredite im Mai auf 193,7 Mrd. Euro, 25,1 Mrd. ­Euro mehr als im Vergleichsmonat 2014. Notleidende Kredite machen 10,1 % aller von Italiens Geldhäusern gewährten Kredite aus.

Renzis Ruf als Reformzauberer ist inzwischen verflogen. Er kommt mit seinen Projekten politisch kaum mehr durch und sieht höhere Schulden offensichtlich als das kleinere Übel an. Insofern ist die Rhetorik über die vermeintliche „Austerität“, die man von Deutschland derzeit aufgezwungen bekomme, eine groteske Verdrehung der Wirklichkeit. „Jetzt reicht es!“, donnerte Italiens Premier Wolfgang Schäuble entgegen, als der von Griechenland endlich verläss­liche Reformzusagen und Haushaltsdisziplin verlangte.

Matteo Renzi fiel Deutschland damit in der entscheidenden ­Verhandlungsnacht sogar offen in den Rücken. Er entlarvte damit vor allem seine eigene Angst – davor, dass Italien ein ähnliches Schicksal droht wie Griechenland. Die Angst ist leider berechtigt.

18.09.2015 | 08:19

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