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Gelingt Müller der Kulturwandel?

Der neue VW-Lenker steht vor einem Berg von Aufgaben – und wie hoch dieser Berg im Zuge des Abgas-Skandals noch wächst, weiß niemand. Matthias Müller soll als Mann von Außen den kompletten Konzern umkrempeln.

Matthias Müller steht vor einem fast unentwirrbaren Knäuel von Problemen: Der neue Chef von Volkswagen muss nicht nur die Aufklärung der Abgas-Affäre vorantreiben, verlorenes Vertrauen zurückgewinnen und den finanziellen Schaden durch drohende Strafzahlungen und Schadensersatzklagen begrenzen. Der bisherige Porsche-Chef muss nach Ansicht von Konzerninsidern auch die zentralistischen Strukturen im Wolfsburger Machtapparat aufbrechen, die ihm Martin Winterkorn hinterlassen hat. Vor allem die Kultur der Angst, die nach Ansicht vieler Experten den Abgas-Skandal begünstigt hat, muss weg. Und schließlich muss der 62-Jährige den weltgrößten Autobauer fit für die Digitalisierung machen, um gegen IT-Giganten wie Google und Apple zu bestehen.

„Das ist fast eine Mission Impossible“, sagt Helmut Becker, Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse in München. Denn den Konzernumbau zu gestalten und gleichzeitig die immensen Kosten in den Griff zu bekommen, gleicht der Quadratur des Kreises. Doch damit nicht genug: Das Geschäft in den USA, wo VW seit Jahren der Konkurrenz hinterherfährt, ist durch den Abgasskandal noch tiefer in den Schlammassel geraten. Viele Beschäftigten sehen in dem Machtwechsel eine Chance: „Matthias Müller kommt von Porsche und damit von außen, das ist ein gutes Zeichen“, sagt ein Mitarbeiter aus der Projektplanung in Wolfsburg.

Das Klima der Angst

Das dickste Brett für Müller dürfte sein, die unter dem Firmenpatriarchen Ferdinand Piech und später unter Winterkorn in Jahrzehnten gewachsenen Abläufe in dem Riesenkonzern mit zwölf Marken zu erneuern. VW muss alle Fenster aufreißen und frischen Wind hereinlassen, oder, wie Betriebsratschef Bernd Osterloh es in einem Brief an die Belegschaft formuliert: „Volkswagen braucht einen grundlegenden Kulturwandel.“ Osterloh macht die internen Abläufe für das Desaster um manipulierte Abgaswerte in den USA mit verantwortlich. „Wir brauchen für die Zukunft ein Klima, in dem Probleme nicht versteckt, sondern offen an Vorgesetzte kommuniziert werden.“

Winterkorn und vor ihm Piech führten Volkswagen mit eiserner Hand. An ihnen vorbei ging nichts. Von Winterkorn ist bekannt, dass er nahezu alles kontrollierte und sogar in letzter Minute noch Änderungen an neuen Modellen vornahm. Wer aus der Reihe tanzte, aufmuckte oder gar Fehler machte, büßte dies oft mit einem Karriereknick. Zahlreiche Manager haben darüber in den vergangenen Jahren hinter vorgehaltener Hand berichtet. In dieser Stimmung der Angst trauten sich viele nicht, auf Probleme hinzuweisen - vom einfachen Arbeiter am Band bis zum Manager knapp unterhalb des Vorstands.

Doch Müller hat noch viel mehr Baustellen: Weil die Affäre um Abgas-Manipulationen das Image des Diesels massiv beschädigt hat, muss er noch stärker auf Hybrid- und Elektroautos setzen. „Fahrzeuge, die man an der Steckdose aufladen kann, werden für VW immer wichtiger“, sagt der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, Stefan Bratzel. Den Anfang hat Winterkorn gemacht als er auf der IAA vergangene Woche in Frankfurt 20 weitere Elektroautos und Plug-in-Hybrid-Modelle ankündigte. Müller sei nun dazu verdammt, die Abhängigkeit des Konzerns vom Diesel schnell zu verringern. „Mit dieser Affäre hat der Diesel-Antrieb seinen Zenit überschritten.“

VW ist zu abhängig vom chinesischen Markt

Doch Winterkorn hat Müller noch mehr Probleme hinterlassen: zum Beispiel die Abhängigkeit des Konzerns von China. Dort verkaufen die Niedersachsen jedes dritte Auto und fahren einen Großteil des Gewinns ein. Seit die Pkw-Nachfrage schwächelt, sieht es düster aus. Zugleich brechen in Brasilien und Russland die Verkäufe weg, weil in beiden Ländern die Wirtschaft in der Krise steckt. In Südostasien, wo der Rivale Toyota besonders stark ist, hat VW immer noch kein Bein am Boden.

Schließlich muss Müller den Wandel VWs vom Verkäufer in Form gepresster Blechteile mit Motor zum modernen Mobilitätsanbieter meistern. Winterkorn hatte angekündigt, den Konzern „neu zu erfinden“ und Autos bis zum Ende des Jahrzehnts „zum rollenden Smartphone“ zu machen. Müller muss das Versprechen einlösen.

Alles zusammengenommen, könnte Müllers Mission auch ein Himmelfahrtskommando werden. Wie lange er sich an der Spitze hält, dürfte davon abhängen, wie schnell er Erfolge aufweisen kann. Nicht wenige glauben, dass er sich den Höllenjob nur für eine Überganszeit antun wird und den Stab schon in wenigen Jahren an einen Nachfolger übergibt.

Der von BMW nach Wolfsburg gewechselte VW-Markenchef Herbert Diess und der von Daimler gekommene Lkw-Boss Andreas Renschler hätten dann Zeit, sich zu beweisen. Einer der Kronprinzen könnte den umgebauten Auto-Giganten dann ins nächste Jahrzehnt führen. Handelsblatt / rtr

26.09.2015 | 10:12

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