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Volkswagen: Der Monat der Entscheidungen

In den nächsten Wochen wird die Geschichte von „Dieselgate“ weitergeschrieben. Der aktuelle Quartalsbericht zeigt die teils verheerende Wirkung, die der Skandal bereits auf Volkswagen hatte. Mit einigen, neuen Maßnahmen will CEO Matthias Müller den VW-Karren wieder aus dem Dreck ziehen.

In Wolfsburg hört man das Wort Krise nicht gerne. „Dieselgate“ klingt unschön, Abgasskandal noch widerwärtiger. Im Hause VW wurde daher der Terminus „Dieselthematik“ geprägt. Bei welchem Namen man das Kind auch nennt, es ist längst in den Brunnen gefallen. Aus selbigen — so zeichnet sich nach jüngsten Ergebnissen der weitere Verlauf ab — kommt es nur mit Rabattaktionen so schnell nicht mehr heraus. Im kürzlich vorgestellten Quartalsbericht für das erste Jahresviertel des laufenden Geschäftszeitraumes legte Volkswagen durchwachsene Zahlen für den gesamten Konzern und besorgniserregende für die Kernmarke hervor.

Der Umsatz der VW Group ging um 3,4 Prozent auf 51 Milliarden Euro zurück. Das Ergebnis vor Steuern sank von vier Milliarden auf nur noch 3,2 Milliarden Euro. Beim Blick auf die verschiedenen Marken des Konzerns zeigt sich aber ein differenziertes Bild. Eine wirklich negative Abstrahlung des Abgasskandals erfahren Audi, Seat und Co. nicht. Die tschechische VW-Tochter Skoda verzeichnete sogar ein Rekordquartal: Das operative Ergebnis von Skoda stieg um bemerkenswerte 30,2 Prozent auf 315 Millionen Euro. Auch Porsche wird — wenn man sich an den Zahlen orientiert — offensichtlich von den wenigsten als VW-Untermarke wahrgenommen: Die Stuttgarter steigerten das operative Ergebnis um 17 Prozent auf 896 Millionen Euro und lieferten dabei rund 10 Prozent mehr Fahrzeuge aus als im Vorjahresquartal. Die Performance der Stammmarke Volkswagen gleicht aber einem Unfall: VW hat gerade den schlechtesten Monat seit August 2013 hinter sich gebracht. Das spiegelt sich auch an der Börse wider: Binnen eines Jahres hat die Vorzugsaktie fast 40 Prozent eingebüßt.

In den letzten Monaten grüßten die Wolfsburger Manager sich nur noch mit Durchhalteparolen. Und anfänglich sah es auch so aus, als käme der Autobauer durch geschickte Rabattanreize mit einem blauen Auge davon. Selbst in den Vereinigten Staaten, wo die Manipulationen im September aufgedeckt wurden. Die neuen Zahlen beweisen jedoch, dass Dieselgate in den USA für den Hersteller eine tornadoähnliche, verheerende Wirkung hatte. Im Mai sackte der VW-Neuwagenabsatz in Amerika um über 17 Prozent ab. Einen neuzugelassenen VW sieht man auf amerikanischen Highways im Moment ungefähr so selten wie Elektroautos auf deutschen Straßen.  Zwar litten auch andere Hersteller unter der verschlechterten Marktlage, aber die Wolfsburger Krisen-Autos blieben im Mai die größten Ladenhüter. 

Politische Skepsis auf beiden Seiten des Atlantiks

Jede Menge juristische und aufklärerische Arbeit wird freilich nicht nur vonseiten der US-Behörden erwartet, auch deutsche und europäische Institutionen üben Druck auf den internationalen Autobauer aus. So zweifelt die Europäische Kommission schon seit Monaten an den VW-Daten zu den CO2-Emissionen der Fahrzeuge des Autoherstellers. Inzwischen sind das Kraftfahrtbundesamt und der Verkehrsminister Alexander Dobrindt persönlich in den Überprüfungsprozess eingestiegen. Ein Dokument, das dem „Wall Street Journal“ vorliegt, scheint den Konzern dabei aber zu entlasten. Zwar seien die CO2-Daten bei vielen Fahrzeugen höher als angegeben, aber im Flottenverbrauch noch innerhalb der von der EU festgelegten Grenzwerte von 130 Gramm CO2 je Kilometer. Allein damit dürfte das prüfende Staatsauge aber nicht befriedigt sein. Volkswagen könnte dem Verkehrsminister und EU-Kommisaren beinahe schon einen Zweitwohnsitz in Wolfsburg anbieten. 

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat derweil dem VW-Konzern den Rückruf von mehr als 800.000 manipulierten Diesel-Fahrzeugen gestattet. Das ist die größte Zahl von freigegebenen Autos seit dem Beginn der gesamten Rückrufaktion im Januar. „Mit dem Start der Umrüstung für die Modelle Passat, CC und Eos ist eine große Anzahl an Fahrzeugen verbunden, die nun in die Werkstätten kommen werden“, sagte VW-Vertriebschef Jürgen Stackmann. Seit dem offiziellen Beginn des Rückrufs zum Jahresbeginn durfte Volkswagen bislang nur wenige Fahrzeuge in den hauseigenen Werkstätten von der verbotenen Software befreien. Das KBA hatte zunächst nur für rund 125.000 Dieselwagen die Umrüstung genehmigt. Darunter sind 8.500 VW Amarok, 10.000 VW Caddy, 15.000 VW Golf und etwa 90.000 Audi der Typenreihen A4, A5, Q5 und A6 sowie eine kleinere Anzahl Seat-Fahrzeuge von Typ Exeo.

Der Rückruf aller 8,5 Millionen betroffenen Fahrzeuge des Konzerns in Europa soll, wenn es nach den Verantwortlichen in Wolfsburg geht, noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Innerhalb des Konzerns gibt es aber wegen des monatelangen Zeitverzugs bereits jetzt deutliche Zweifel an der Möglichkeit, diesen Plan ohne Zeitverzug umzusetzen. Doch es gibt auch immer wieder Lichtblicke: Ein besonderes Sorgenkind waren die 160.000 Passat-Modellen mit dem 2,0-Liter-Motor Probleme mit steigenden Verbrauchswerten nach dem Software-Update gegeben haben. Dieses scheint nun gelöst, denn die eigentlich für Ende Februar in den Werkstätten erwarteten Modelle sind in der nun freigegebenen Charge enthalten.

Monat der Entscheidungen

Von einem Sommerloch ist in Niedersachsen noch keine Spur. Im Juni stehen für VW viele Schicksalstermine an. Schon am 16. Juni ist die lang erwartete Strategie 2025 fällig, wenn Matthias Müller der VW Group zwei neue Dinge auf die Fahnen schreiben will: Elektromobilität und Digitalisierung. Die Meldungen um eine geplante Batteriefabrik in Salzgitter waren bereits erste Vorboten dieser neuen Strategie. Im Moment erweisen sich Tesla und andere Elektro-Vorbilder allerdings nur als lausige Ladenhüter. Der niedrige Ölpreis erstickt die Nachfrage nach E-Autos förmlich. Die Investition von 300 Millionen US-Dollar in den israelischen Uber-Konkurrenten Gett lässt zukunftsgewandte Aktionäre momentan schon eher aufmerken. Damit folgt VW den anderen großen Autobauern mit einem entschiedenen Schritt in Richtung Mobilitätsdienstleister. 

Am 22. Juni lädt die Volkswagen Group dann zur Hauptversammlung nach Hannover ein. Bis dahin soll der Dieselskandal eingedämmt und Weichen für die Zukunft gestellt werden. Diese HV wird auch deswegen besonders spannend, weil am Tag zuvor, am 21. Juni in San Francisco, eine Entscheidung über den ausgehandelten Vergleich zwischen VW und den US-Regierungsbehörden getroffen wird. Der Konzern hat für die potentiell anstehenden Kosten bereits 16,2 Milliarden Euro zur Seite gelegt. 

Der Juni ist also ein entscheidender Monat für Matthias Müller und seinen VW-Konzern. Die Analysten und Aktionäre sind gleichermaßen unsicher über den Ausgang dieses Monats. So zeigt sich die Aktie volatil und die Analysen gespalten: Credit Suisse-Analyst Alexander Haissl stufte die Autogruppe auf Underperform mit einem Kursziel von nur 84 Euro ein. Im Moment notiert das Papier noch bei über 130 Euro. Ungefähr in diesen Gefilden sieht beispielsweise Stephen Reitman von der französische Societe Generale die Aktie auch in Zukunft angesiedelt und schreibt ein Kursziel von 140 Euro fest. 


Fazit

Der Quartalsbericht von VW gibt ein gemischtes Bild ab: Die Marke Volkswagen hat durch Dieselgate aber mehr als nur einen Imageschaden erlitten. Es bedarf einiger geschickter Handgriffe, um den Konzern wieder straßentauglich zu machen: An der Digitalisierung, Elektromobilität, Mobilitätsdienstleistungen und vor allem am Vertrauen der Interessengruppen muss Werkstattmeister Matthias Müller arbeiten. Bis zum Abschluss der teuren Reparatur, sollten sich Anleger auf einen volatilen und nachrichtenempfindlichen Aktienkurs gefasst machen. WCW

06.06.2016 | 15:41

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