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Ins fallende Messer greifen?

Der Aktienkurs von Gazprom ist dramatisch gefallen, die Krim-Krise reißt Russlands größtes Unternehmen weit ins Minus. Die Verluste betragen bereits Milliarden Euro. Für Anleger zeigt sich deutlich, wie stark die Entwicklung des Wertpapiers von politischen Ereignissen abhängt. In mehrfacher Hinsicht ist Gazprom ein sprichwörtliches „fallendes Messer“. Sollen Anleger zugreifen?

Viele Aktionäre haben mittlerweile offenbar erhebliche ethische Bedenken, was den Kauf von Gazprom-Anteilsscheinen betrifft. Und doch bleibt der weltgrößte Gasförderer, der erst kürzlich am Rande des Davoser Weltwirtschaftsgipfels den Negativpreis Public Eye Award von zahlreichen internationalen Nichtregierungsorganisationen verliehen bekommen hat, aufgrund seiner Marktmacht und seiner stabilen Wertschöpfung, die beachtliche Profitraten nach sich zieht, weiterhin im Blickfeld vieler Investoren. Allerdings ist die zukünftige Entfaltung des 1992 gegründeten Konzerns stark an Putins Herrschaftsstrukturen gekoppelt. So könnte ein Machtwechsel in Moskau die Dominanz Gazproms nicht nur gefährden, sondern sogar schlagartig beenden. Die komplette Führungsriege des Gas-Giganten wurde seit Wladimir Putins Regentschaft durch dessen Getreuen neu besetzt und ist somit seiner Marschrichtung ergeben. Zwar sollte der mehrheitlich dem Staat gehörende Konzern vorrangig Russlands Interessen dienen, in Wahrheit aber stützt er unter allen Umständen das System Putin.

Die ethischen Bedenken werden nicht kleiner angesichts der Nachricht, dass Gazprom der Ukraine die bislang gewährten Preisnachlässe streichen will. Laut Gazprom-Chef Alexej Miller habe sich Kiew nicht an die Vereinbarungen gehalten, die mit einem solchen Rabatt verknüpft seien. Mitte Dezember, als der inzwischen abgesetzte ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch überraschend verkündete, ein über Jahre mit der EU ausgehandeltes Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen, räumte Moskau Kiew die Preisermäßigung von 30 Prozent ein.

Die Aufhebung der Verbilligung trifft die ohnehin finanziell arg angeschlagene Ukraine hart. Ihre Abhängigkeit von den russischen Gaslieferungen ist immens. Doch auch zahlreiche weitere europäische Länder sind stark auf Gazprom angewiesen. In Griechenland, Tschechien, der Slowakei, in Bulgarien und in den baltischen Ländern liegt der russische Anteil der Gaslieferungen fast bei 100 Prozent, in Deutschland immerhin bei  50 Prozent. Insgesamt bezieht der europäische Markt momentan etwa ein Drittel seines gesamten Energiebedarfs durch Gazprom.

Im vergangenen Jahr lag das Exportvolumen nach Europa deutlich über den Erwartungen. Durch die Lieferung von 161,5 Milliarden Kubikmeter Gas verzeichnete Gazprom, das zu 50 Prozent dem russischen Staat gehört, ein Plus von 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ausschlaggebend für diese positive Entwicklung ist nicht zuletzt eine geschickte Preispolitik. So hat das Unternehmen den Kunden in Europa Rabatte eingeräumt, diese dankten es Gazprom und fragten mehr nach.

Außerdem profitierte der Energiekonzern von den nachlassenden Lieferungen aus Norwegen und Nordafrika, und füllte diese Lücke. Der Einfluss von Gazprom auf Europa könnte sich in Zukunft noch weiter erhöhen: Bis 2030 wird Gazprom laut Experte Jürgen Roths seinen Marktanteil in der gesamten EU auf 60 Prozent steigern. Die Erpressbarkeit wird also weiter wachsen, durch einen Boykott kann Gazprom in Europa wirtschaftliche Katastrophen herbeiführen.

Die Konkurrenz auf dem innerrussischen Heimatmarkt aber wächst indes stetig. Dort wird Gazprom von aufstrebenden privaten Produzenten sowie dem staatliche Öl-Gigant Rosneft unter Druck gesetzt. Aktuellen Prognosen der  Investmentbanken Sberbank CIB und Uralsib Capital zufolge werden Gazproms Marktanteile von derzeit 73 Prozent bis zum Jahr 2020 auf maximal 57 Prozent reduziert. Besser sieht da die langfristige Prognose für das China-Geschäft aus.

Dort steht der russische Energiekonzern kurz vor Abschluss eines Gasvertrages mit einer Laufzeit von 30 Jahren. In der ersten Etappe will Gazprom jährlich 38 Milliarden Kubikmeter von den ostsibirischen Vorkommen nach China liefern. Zukünftig könnten die Lieferungen auf 60 Milliarden Kubikmeter wachsen. Des Weiteren sollen sich westsibirische Lagerstätten, die derzeit noch Europa mit Erdgas versorgen, teilweise nach China umorientieren. „Mittelfristig können unsere Lieferungen nach Asien Ausmaße erreichen, die mit der Liefermenge nach Europa vergleichbar sind“, blickt Gazprom-Chef Alexej Miller hoffnungsfroh in die Zukunft.

Trotz dieser optimistischen Zukunftsvisionen ist die Aktie derzeit nur für risikofreudige Anleger zu empfehlen. Zu ungewiss ist die politische Situation in der Ukraine, die den Kurs des Gazprom-Papiers, das sich derzeit im Bereich der Fünf-Euro-Marke befindet, stark beeinflusst. Eine Zuspitzung des militärischen Konflikts könnte den Kurs weiter kollabieren lassen. Auf der anderen Seite haben politische Börsen kurze Beine. Im Falle einer Lösung des Krim-Konflikts könnte das Papier daher schnell wieder steigen. Wer jetzt also den Griff ins fallende Messer wagt, könnte sich bald darüber freuen, ein richtiges Schnäppchen gemacht zu haben – das KGV von Gazprom pendelt um die 2,5 Marke.

WCW

13.03.2014 | 16:07

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