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Neues aus dem „Isar Valley“

Inkubatoren und Acceleratoren werden für immer mehr Firmen wichtig. Wie der Kunststoff-Konzern Rehau mit seinem Innovationslabor Unlimited X die digitale Transformation vorantreibt.

Der bayerische Mittelstand setzt gerne auf Bescheidenheit. So auch der Polymerspezialist Rehau, der es 2016 auf 3,4 Milliarden Euro Umsatz und 20.000 Mitarbeiter brachte: mit Kunststofflösungen weltweit, vom Fenster über den Gartenschlauch bis hin zur Silikondichtung. 1948 von Helmut Wagner im fränkischen Rehau gegründet, hat die Unternehmensgruppe mittlerweile ihren Verwaltungssitz in der Schweiz, sieht in Bayern aber weiterhin einen Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit. So entstand auch das Innovationslabor der Kunststoffspezialisten in München, im Ideen-Campus „Das neue Balan“ im Stadtteil Ramersdorf. Einst hatte hier die Infineon AG ihren Hauptsitz, heute haben junge, innovative Unternehmer verschiedenster Größe im „Neuen Balan“ ihren kreativen Raum gefunden.

Auch Dr. Stefan Thomas, seit April 2016 Leiter des Rehau-Innovationslabors Unlimited X, ist hier im Sommer 2017 mit seinem kleinen Team eingezogen. Es sind knapp 20 innovationsbegeisterte Teammitglieder aus der Start-up Szene, Universitäten und einem breiten Partnernetzwerk, die vor allem eine Aufgabe haben: vom Kunden her denken – und da­raus praxisnahe Lösungen entwickeln, die das Zeug zur schnellen Marktreife haben.

Der 38-jährige Thomas hat das Innovationshandwerk an der Universität St. Gallen gelernt, hat dort am Institut für Technologiemanagement promoviert, bevor er 2011 zur Rehau Gruppe wechselte. Seit 2017 ist er der kreative Kopf des Innovationslabors Unlimited X in München. „Unlimited X ist keine Denkfabrik. Wir entwickeln marktfähige Lösungen, die für den Kunden in der Praxis gut anwendbar sind“, beschreibt Thomas seine Mission.

Um wirklich bahnbrechende Innovationen zu entwickeln, muss man die richtigen Themen setzen und diese in einem breiten Netzwerk gemeinsam entwickeln. Dafür bekommt die Rehau AG + Co in einer „Capital“-Studie beste Noten. Dr. Stefan Girschik, Vize-CEO, ist im Vorstand für die Themen Innovation und Technologie verantwortlich. Der 48-Jährige hat eine Art Vaterrolle für die „Jungen Wilden“ in München. „70 Prozent unserer Ressourcen gehen ins Kerngeschäft“, zeigt Girschik die Regeln auf, „weitere 20 Prozent stecken wir in die Weiterentwicklung unserer Systemlösungen nahe am Kerngeschäft, und zehn Prozent werden in sogenannte disruptive Geschäfte investiert, zum Beispiel über Unlimited X.“

Der intelligente Gartenschlauch

Girschik hat einen klaren Plan: „In unserem bisherigen Geschäftsmodell nehmen wir konventionelle Materialien, ersetzen diese durch Polymere, standardisieren und vervielfältigen das Produkt weltweit und optimieren dadurch die Wertschöpfung. Damit haben wir seit mehr als sechs Jahrzehnten großen Erfolg. Doch darauf können wir uns nicht ausruhen.“ Rehau biete deshalb seit einigen Jahren nicht mehr nur Einzelprodukte wie ein Kunststoffrohr an, sondern „komplette Lösungen rund um Themen wie Mobilität, Energieeffizienz oder Future Living“, erläutert der Ingenieur und ebenfalls am St. Galler Institut für Technologiemanagement promovierte Ökonom Girschik. Für diese Lösungen ist die Perspektive des Kunden entscheidend. „Der Endverbraucher auf dem Sofa denkt in Bad oder Garten, nicht in Schläuchen oder Sockelleisten“, illustriert es Thomas. Deshalb arbeitet Rehau heute nicht mehr nur an einem Gartenschlauch, sondern an einem ausgeklügelten Gartenbewässerungssystem, das selbst weiß, wann es gießen soll.

„Unsere Lösungen können wir stetig besser machen, wenn wir die Verzahnung zwischen den ,Techis‘ in München und unseren Teams an den internationalen Standorten – von Rehau und Erlangen über Shanghai bis in die USA – konsequent in der Praxis leben“, so Girschik. „Es kommt darauf an, nicht in sogenannten Silos zu denken, sondern einen gegenseitigen Wissensaustausch zu schaffen und aus Kundenperspektive in Zukunftsfeldern zu handeln. Wir lösen das ganz pragmatisch. Unser Digitallabor holt die Kollegen in den Divisionen über konkrete Projekte ab und vice versa. Sie kommen nach München zu Workshops, arbeiten in gemeinsamen Teams an Projekten und so entsteht eine natürliche Vermischung. Die Instrumente der Digitalisierung helfen dabei extrem. Heute geht vieles unkomplizierter und schneller als vor zehn Jahren.“

In jeder der Rehau-Divisionen – von der Möbelsparte bis zum Baubereich – gibt es Innovationsverantwortliche, die mit dem Team in München zusammenarbeiten. Hier wiederum sitzen die Spezialisten für neuartige Geschäftsmodelle wie digitale Plattformen. Zudem werden alle Mitarbeiter des Unternehmens über digitale Innovationsplattformen und Instrumente wie Crowdsourcing und Co-Creation einbezogen. „Erst kürzlich hatten wir einen Ideenwettbewerb, bei dem es darum ging, in welche Start-ups Rehau investieren sollte. Es sind 176 Ideen eingereicht worden“, freut sich Girschik. Auch die Vernetzung außerhalb des Unternehmens ist essenziell. Deshalb gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen, der FAU Erlangen und der HSG in St. Gallen, mit dem Fraunhofer-Institut, mit verschiedensten Wissensdienstleistern der Start-up-Szene und anderen großen Unternehmen, die ähnliche Aufgabenstellungen zu lösen haben. „Wir setzen lieber gezielt auf starke Kooperationen, statt über Venture Capital zu viel Geld zu riskieren“, meint Vize-CEO Girschik.

Bauplanung auf dem Sofa

Inhaltlich konzentriert sich Rehau aktuell auf drei Zukunftssegmente: Smart Home, digitales Bauen und Elektromobilität. Eine der Visionen: die digitale Konfiguration von Bauvorhaben abends auf dem Sofa. Natürlich gebe es auch heute schon Projektmanagementsoftware, aber bestehende Lösungen seien noch nicht agil genug, noch nicht „in Echtzeit“, um für den „normalen Bauherrn“ praktischen Mehrwert zu bieten.

Auch bei Entwicklungen im Segment des autonomen Fahrens steht der praktische Nutzen ganz oben. Stefan Girschik: „Unsere Stärke ist der polymere Schutzmantel um die Sensorik. Das heißt ganz praktisch: Was kann man tun, dass im Winter bei Eis die Systeme nicht piepsend ihren Dienst verweigern?“ Warum all das in München und nicht im Silicon Valley, in London oder Berlin? Girschik: „Rehau hat traditionell große technologische Kompetenzen in Rehau und Erlangen, deshalb wollen wir in Deutschland bleiben. Und da liegt München nicht nur gut auf dem Weg zwischen Franken und der Schweiz, sondern ist für die digitale Transformation bestens geeignet.“

Im „Isar Valley“ gebe es mittlerweile ein höchst interessantes Eco-System, viele Spezialisten, ein tolles Start-up-Umfeld, IBM mit dem Watson IoT Center, das Entwicklungszentrum von Google und die Technische Hochschule mit ihrer zielgerichteten Ausbildung. Nicht zuletzt: einen internationalen Flughafen, um die Anbindung an die weltweiten Hotspots zu gewährleisten. In Shanghai hat Rehau bereits ein zweites Unlimited X Office. Fortsetzung folgt. Kornelia Kneissl

15.01.2018 | 22:16

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