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Das globale Erfolgsgeheimnis von VW

Volkswagen: Der Vorstandsvorsitzende des Automobilkonzerns erläutert,
wie sich Heimatverbundenheit und vehemente Internationalisierung gegenseitig stärken.

Das Spannungsverhältnis ist offensichtlich: Jeder Standort und jeder Arbeitsplatz, der in einer anderen Weltregion entsteht, nährt die Befürchtung, dass er auf Kosten der Standorte und Arbeitsplätze in Deutschland geht. Die gute Nachricht lautet: Das Bekenntnis zum Standort Deutschland und die weitere Internationalisierung sind kein Nullsummenspiel. Richtig umgesetzt können sie sich gegenseitig befruchten – und das Unternehmen zusätzlich stärken. Die Philosophie von Volkswagen lautet deshalb auch nicht „China oder Deutschland“, sondern „China und Deutschland“. Ich bin überzeugt: Entscheidend für den langfristigen Unternehmenserfolg ist die richtige Balance von Inter­nationalisierung und Heimatverbundenheit.

Ein Patentrezept für diese Balance kann es nicht geben – dazu sind die Voraussetzungen je nach Branche, Unternehmensgröße und -philosophie zu unterschiedlich. Drei zentrale Fragen muss sich aber jedes Unternehmen stellen. Erstens: Wo liegen mittel- und langfristig die Wachstumsmärkte der Branche? Zweitens: Wie muss sich ein Unternehmen engagieren, um diese Chancen zu nutzen? Und drittens: Welche Rolle übernimmt dabei der jeweilige Heimatstandort? Aus der Perspektive des Volkswagen-Konzerns beantworten sich die Fragen so:

Zur ersten Frage: Die Automobilindustrie ist und bleibt eine Wachstumsbranche. Diese These mag nicht besonders überraschend sein, wenn sie von einem Automanager kommt. Trotzdem will ich es ausdrücklich betonen. Denn wer die aktuelle Bericht­erstattung verfolgt, könnte leicht einen anderen Eindruck bekommen.

EU-Automobilmarkt ist in der Krise

Der europäische Automarkt steckt in einer tiefen Krise. In Frankreich ist der Absatz zwischen 2007 und 2012 von 2,2 Mio. auf 1,7 Mio. Einheiten eingebrochen. In Spanien werden aktuell rund 1 Mio. Fahrzeuge weniger verkauft als vor fünf Jahren (1,6 Mio. versus 650 000). Und in Italien hat sich der Markt von 2,4 Mio. Fahrzeugen auf 1,3 Mio. nahezu halbiert. In Summe ist der Automobilmarkt in Westeuropa seit 2007 um rund 25 % oder um 3,5 Mio. Einheiten geschrumpft.

Zwar sehen wir inzwischen erste Anzeichen einer Stabilisierung. Aber die Nachfrage wird sich nur sehr langsam erholen, ein neuer Boom ist kaum zu erwarten. Natürlich ist und bleibt der europäische Automobilmarkt für unser Geschäft eine tragende Säule. Der Volkswagen-Konzern ist mit rund 3,7 Mio. Auslieferungen im Jahr 2012 nach wie vor die unbestrittene Nummer eins in Europa. Wir verkaufen hier insbesondere viele höherwertige Fahrzeuge – allen voran Premium-Modelle von Audi und Porsche, aber auch voll ausgestattete Volumenmodelle. Und wir erwirtschaften in Europa eine sehr gute Rendite. Aber richtig ist eben auch: Das große Wachstum findet in Zukunft anderswo statt.

Bis 2018 könnte der Weltautomobilmarkt um rund 20 Mio. Einheiten auf über 100 Mio. Fahr­zeuge pro Jahr wachsen. Allein China legt nach aktuellen Pro­gnosen um rund 10 Mio. Einheiten zu – ein Plus von über 50 %. Der Automarkt in Südamerika könnte bis 2018 um rund 30 % wachsen. Und auch Indien hat großes Potenzial, wobei konkrete Pro­gnosen aufgrund der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zurzeit schwierig sind. Aktuell sehen wir zwar in vielen Schwellenländern einen Rückgang der wirtschaftlichen Dynamik. Fundamental gesehen haben die BRIC-Staaten in Sachen Mobilität aber unverändert großen Nachholbedarf. So kommt China derzeit auf eine Autodichte von 30 Autos pro 1 000 Menschen. Zum Vergleich: In Deutschland sind es mehr als 500 Autos.

In Asien entscheidet sich die Zukunft


Der Trend ist eindeutig: Das Kraftzentrum im Automobilgeschäft verlagert sich – weg von der „Triade“ hin zu den „neuen“ Märkten in Asien, Russland und Südamerika. In diesen Regionen wird sich mittel- und langfristig entscheiden, wer im weltweiten Wettbewerb um die Spitze der Automobilin­dustrie vorn liegt. Der Volkswagen-Konzern ist darauf gut vorbereitet: Wir verkaufen unsere Fahrzeuge inzwischen weltweit in 153 Märkten, rund 60 % unseres Absatzvolumens erzielen wir außerhalb Europas. Wir betreiben mehr als 100 Werke, davon ein Drittel außerhalb Europas – unter anderem in China, Indien, Russland, Brasilien und den USA. Und wir beschäftigen weltweit über 550 000 Mitarbeiter, davon rund 140 000 Mitarbeiter außerhalb Europas. Mit dieser globalen Aufstellung können wir nicht nur Zwischentiefs einzelner Märkte ausgleichen, sondern vor allem auch Wachstumschancen überall auf der Welt nutzen. Und diese Chancen sind unverändert groß.

Damit zur zweiten Frage: Wie muss man sich engagieren, um diese Chancen zu nutzen? Ich bin überzeugt: Internationalisierung mit „angezogener Handbremse“ funktioniert nicht. Die deutsche Automobilindustrie gilt ja bekanntlich als Exportmotor. Allerdings reicht der Export allein heute bei Weitem nicht mehr aus. „Internationalisierung“ heißt in unserem Geschäft nicht nur, seine Produkte international zu vermarkten. „Internationalisierung“ heißt heute, wortwörtlich alles international zu machen: von der Entwicklung über die Beschaffung bis zur Produktion. Insbesondere im Volumengeschäft ist dabei die Präsenz vor Ort praktisch unerlässlich. Nur dann versteht man nur wirklich, wie Märkte und Menschen in den jeweiligen Regionen „ticken“.

Südamerika fährt mit Ethanol

Dieses grundlegende Verständnis ist aus meiner Erfahrung un­gemein wichtig. Denn das glo­bale Automobilgeschäft ist extrem ­heterogen, die Unterschiede zwischen den Weltregionen sind frappierend. Um hier nur einige Beispiele zu nennen:

Je nach Region braucht es heute ganz unterschiedliche Tech­nologien. In Europa dominieren Benzin und Diesel, in Südame­rika überwiegt dagegen Ethanol. Je nach Region nutzen die Kunden das Auto zudem unter ganz unterschied­lichen Bedingungen. In Europa verfügen wir über ein gut ausgebautes Autobahnnetz, aber in Russland oder Brasilien sind viele Straßen in desolatem Zustand. Und schließlich muss das Auto ganz unterschiedliche Emotionen bedienen. In China steht das Statussymbol im Vordergrund, in den USA dagegen zählt „German Engineering“, allerdings bitte „made in America“.

Volkswagen hat den Schritt ­hinaus in die Welt deshalb schon sehr früh und sehr konsequent gemacht. In Brasilien zum Beispiel sind wir seit über 60 Jahren vor Ort: Mit heute insgesamt sechs Werken und 24 000 Mitarbeitern, mit speziell für diesen Markt entwickelten Fahrzeugen wie dem Volkswagen Gol – quasi dem „Golf Südamerikas“ – und auch mit ganz eigenen Techno­logien.

So haben wir im Jahr 2003 den FlexFuel-Motor auf den Markt gebracht: Er fährt sowohl mit Benzin als auch mit dem in Südamerika weit verbreiteten Ethanol. Inzwischen sind auf brasilianischen Straßen praktisch nur noch Flex-Fuel-Motoren unterwegs. Dieses umfassende Engagement zahlt sich aus: Der Gol ist seit über einem Vierteljahrhundert das meistverkaufte Auto Brasiliens.

Diese Strategie lokaler Produktion und Produkte verfolgen wir letztlich in allen Wachstumsregio­nen: In Russland und Indien, in den USA, wo wir inzwischen viel Boden gutgemacht haben, per­spektivisch auch in der Asean-Region und natürlich ganz besonders in China.

Wir waren Anfang der 80er-Jahre die Ersten, die den großen Schritt ins Reich der Mitte gewagt haben. Heute ist China für Volkswagen und Audi der mit Abstand größte und wichtigste Absatzmarkt. Im Jahr 2012 haben wir dort als Konzern mehr als 2,8 Mio. Fahrzeuge ausgeliefert – ein Plus von 24 %. Und 2013 werden wir aller Voraussicht nach erstmals die 3-Mio.-Grenze übertreffen.

Die chinesischen Kunden sind sehr anspruchsvoll. Design, Innovationen, Qualität und Umweltfreundlichkeit sind auch dort inzwischen die großen Erfolgsfaktoren. Um auf diese Anforderungen optimal eingehen zu können, beschäftigen wir heute schon über 2 000 Forscher und Entwickler in China. Audi hat gerade erst ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Peking eröffnet. Von 2014 bis 2018 investieren unsere Joint Ventures 18,2 Mrd. Euro in neue Modelle, Technologien und Standorte.

Geschäfte in China sind anspruchsvoll

Natürlich will ich an dieser Stelle nicht verschweigen, dass es sehr anspruchsvoll ist, in China gute Geschäfte zu machen. Entscheidend sind dabei insbesondere tragfähige persönliche Beziehungen: Man muss seinen chinesischen Geschäftspartnern vertrauen und langfristig Vertrauen aufbauen. Und man muss auch mit Behörden und Politik eng und verlässlich zusammenarbeiten.

Nicht zuletzt deshalb bin ich regelmäßig selbst in China, unter anderem zu den sogenannten Präsidentengesprächen, die unsere beiden Joint Ventures jeweils viermal pro Jahr veranstalten. Als Mitglied im „China Development Forum“, einem hochrangigen Beratergremium des neuen Premiers Li Keqiang, halte ich zudem engen Kontakt zur chinesischen Regierung. Auf dieser Grundlage bauen wir unser Engagement in China weiter aus.

Allein 2013 haben wir fünf neue Werke in Betrieb genommen. Mittelfristig werden wir unsere Kapazitäten in China so auf 4 Mio. Fahrzeuge pro Jahr ausbauen. Insbesondere mit dem Schritt in die westchinesische Provinz ­Xinjiang übernimmt Volkswagen erneut eine Vorreiterrolle. Xinjiang ist die größte Provinz Chinas, die an Kasachstan, Afghanistan und Pa­kistan grenzt. In den Medien wurde über die Region zuletzt als „Unruheprovinz“ berichtet. Mit dem Werk Urumqi ist Volkswagen der erste Autohersteller, der sich dort engagiert. Was in diesem Zusammenhang wichtig ist: Wir erschließen in Urumqi nicht nur neue Absatzchancen, sondern wollen auch einen Beitrag zur Entwicklung der Region leisten. Unter anderem stellen wir die Integration der lokalen Minderheiten über eine feste Quote bei unseren Mitarbeitern sicher.

VW nimmt Lokalkolorit an

Eines zeigt das Beispiel China sehr deutlich: Mit angezogener Handbremse wird man im globalen Wettbewerb kaum erfolgreich sein. Es braucht immer ein hundertprozentiges Bekenntnis zur jeweiligen Region. Das prägt letztlich auch das Profil von Volkswagen: Wir sind in den vergangenen Jahren ein ganzes Stück chinesischer, brasilianischer, russischer und amerikanischer geworden.

Das führt direkt zur dritten Frage: Welche strategische Rolle übernimmt der Heimatstandort Deutschland? Bei Volkswagen sind Internationalisierung und Heimatverbundenheit keine Gegensätze. Tatsächlich gibt es wohl kein zweites Unternehmen, das so international und gleichzeitig so deutsch ist: mit 28 Werken und 250 000 Arbeitsplätzen im Inland, mit der besonderen Partnerschaft mit dem Land Niedersachsen und mit Auto-Ikonen wie dem Käfer, dem Golf oder dem Porsche 911, die von Deutschland aus die Welt erobert haben.

Wir halten dabei nicht aus Sentimentalität am Standort Deutschland fest. Es gibt dafür ganz handfeste wirtschaft­liche Gründe:

• die herausragende F&E-Kompetenz,

• das engmaschige Cluster von Lieferanten entlang der gesamten Wertschöpfungskette,

• Universitäten und Forschungsinstitute von Weltrang und natürlich

• hervorragend ausgebildete Ingenieure und Facharbeiter, auf die wir hier bauen können.

Das alles macht den Automobilstandort Deutschland stark. Und das alles findet man so nirgendwo sonst auf der Welt. Bei Volkswagen übernimmt der Heimatstandort deshalb die Rolle des technolo­gischen Vorreiters. Das gilt im Übrigen auch für die Produktion: Innovative Fertigungstechnolo­gien wie die Warmumformung – ein Verfahren zur Herstellung von besonders leichtem, crashsicherem Stahl – wären ohne das Know-how unserer Produktionsexperten kaum vorstellbar. Wir müssen in Deutschland bekanntlich so viel besser sein, wie wir teurer sind. Und ich meine: Das gelingt uns.

Hinzu kommt etwas, das nicht mit harten Fakten zu greifen ist: „Heimat“. In unserem Business mag dieser Begriff ein wenig altmodisch klingen. Aber ich bin überzeugt: Für den Erfolg ist eine „Heimat“ unverzichtbar. In der globalisierten Wirtschaftswelt brauchen Unternehmen und Marken nicht zuletzt starke Wurzeln, Identität und Persönlichkeit.

Auch deshalb steht Volkswagen fest zu seiner Heimat in Niedersachsen und Deutschland: Hier entwickeln wir den Großteil unserer Fahrzeuge und Innovationen, hier führen wir Schlüsseltechnologien wie den Modularen Querbaukasten als Erstes ein und hier investieren wir von 2014 bis 2018 rund 37 Mrd. Euro – weit mehr als die Hälfte unserer Sachinvestitionen.

Tausende neuer Jobs in Deutschland

Seit 2007 haben wir in Deutschland so rund 30 000 neue, zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Der Beschäftigungsaufbau erfolgt dabei nicht nur in der Entwicklung, sondern auch in der Produk­tion. So paradox es klingen mag: Für unsere deutschen Werke ist die ­Internationalisierung ein Segen. Allein 2012 haben wir rund 680 000 Fahrzeuge, 345 000 Motoren und 720 000 Getriebe von Deutschland in die außereuropäischen Märkte geliefert.

Man muss nur mal nach Frankreich oder Italien schauen: Dort wurde die Internationalisierung versäumt – mit verheerenden Folgen für die heimischen Werke und Arbeitsplätze. Es wäre deshalb grundfalsch, deutsche und internationale Standorte gegeneinander auszuspielen. Sie gehören untrennbar zusammen.

„Global“ heißt deshalb nicht automatisch auch „heimatlos“. Am erfolgversprechendsten ist es, beides zusammenzubringen. Wir bei Volkswagen wollen und werden deshalb auch in Zukunft die richtige Balance halten – aus Verantwortung für das Unternehmen, für seine Mitarbeiter und für den Standort Deutschland.

Prof. Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG.

10.03.2014 | 10:17

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