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Die Massen-Enteignung hat begonnen

Die Dumpingzinspolitik der Notenbank ist ein historisches Fanal. Sparer, Lebensversicherer und Kapitaleigner werden systematisch enteignet. Wovon linke Revolutionäre träumten, macht unsere Geldpolitik zur Realität.

Die Europäische Zentralbank wird radikal: Die Notenbanker senken den Einlagenzins für Banken auf minus 0,1 Prozent, der Strafzins ist damit Wirklichkeit. Zugleich wird der Leitzins auf das historische Rekordtief von 0,15 Prozent gesenkt. Und als wäre das alles nicht genug, wird die Notenbank noch in diesem Jahr zweimal die große Geldkanone zünden.

Im September und im Dezember bekommen die Geschäftsbanken jeweils Mega-Milliardenbeträge hingedonnert, für eine Laufzeit von vier Jahren fast geschenkt - ähnlich der beiden Geldspritzen, im Rahmen derer die EZB schon einmal insgesamt rund 1 Billion Euro an die Banken ausgab. Die gigantische Geldschwemme soll für Unternehmenskredite weiter gereicht werden.

Europa wird damit mit Geld geflutet wie nie zuvor in seiner Geschichte. Man kann nur hoffen, dass wir daran nicht ertrinken, denn Draghi kann offenbar gar nicht genug von seinem Meer aus Euros haben und erklärt: „Wenn es notwendig ist, werden wir im Rahmen unseres Mandats mehr tun.“

Mit dieser Entscheidung wird die esklarierende Geldmenge zum Programm. Eine derart massive Entscheidung wäre nur in einer akuten Notlage zu rechtfertigen. Tatsächlich aber gibt es die weit und breit nicht: die Schuldenkrise ist überwunden, die Banken sind gut finanziert und verbessern ihre Bilanzen, die Renditen für Südstaatenanleihen sind massiv gesunken, Krisenländer sind an die Kapitalmärkte zurück gekehrt, die Konjunktur läuft.

Die EZB rettet also nichts und überwindet auch keine Krise. In Wahrheit macht sie sich zum Büttel des Schuldensozialismus. Um die gewaltigen Staatsschulden zu refinanzieren, wird so viel Geld geschöpft, dass die Zinsen auf Null sinken und Schulden leicht zu refinanzieren sind. Den Preis freilich haben alle Sparer zu zahlen.

Damit erfüllt sich der Traum alter Sozialisten. Generationen von Linken wollten Kapitalisten irgendwie enteignen – über Steuern oder Abgaben oder allerlei Sozialverpflichtungen. Der neuartige Schuldensozialismus etabliert nun eine viel drastischere Variante der Kapitalbesitzerschröpfung. Die Dumpingzinspolitik sorgt dafür, dass sie rabiat und systematisch enteignet werden. Mit ihr etabliert die EZB einen negativen Realzins so nachhaltig, dass der zu einer gewaltigen Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern führt.

Bei einem Geldvermögen der Deutschen von 5,2 Billionen Euro bedeutet ein Prozent negativer Realzins 52 Milliarden Euro Verlust – mitsamt der Kapitalertragssteuern steigt die Summe auf mehr als 60 Milliarden Euro im Jahr. Das sind 200.000 Einfamilienhäuser, die den Deutschen nunmehr jedes Jahr einfach mal weg genommen werden. Und zwar Häuser vom mühsam Ersparten. Und wer es lieber automobil handfest haben will – 1,8 Millionen Mercedes-Limousinen werden den Deutschen, ohne dass sich jemand darüber aufregt, freiweg gestohlen.

Die EZB steckt armtief in den Spartaschen der Deutschen


Selbst notorische Kapitalismus-Hasser wie Wagenknecht, Gysi oder Kipping hätten sich eine derartige Massenenteignung nie zu fordern gewagt. Die EZB aber organisiert die dramatische Umverteilung vom Sparer zum Kreditnehmer, vom Bürger zum Staat, von Deutschland nach Südeuropa. Kurzum: Sie ist armtief in den Spartaschen der Deutschen unterwegs.

Wo bleibt eigentlich die politische Debatte darüber? Wer wehrt sich gegen eine sparer-schröpfende Notenbankpolitik? Wie lange soll die Phase negativer Realzinsen anhalten? Bis die deutschen Sparer Europas Schulden getilgt haben? Die deutsche Politik riskiert mit ihrer schweigenden Duldung, dass Eurokritiker wie die AfD weiter Zulauf bekommen. Will sie nicht wahrhaben, dass der Schlüssel zur Überwindung der europäischen

Wettbewerbskrise nur eine Politik nachhaltiger Strukturreformen ist? Oder betrachtet sie die kalte Enteignung wirklich als geräuschlosen, geschmeidigen Ausweg aus der Schuldenklemme?

Das wäre kurzsichtig, denn die eskalierende Geldschöpfung führt zwangsläufig zu steigenden Risiken in der Stabilität des Finanzsystems. Zum einen werden Spekulationsblasen (etwa bei Aktien und Immobilien) direkt befördert, die dann mit großen Verwerfungen zu platzen drohen. Schon beim Blick auf Banken zeigt sich das Dilemma – einerseits sollen die ihr Eigenkapital verstärken, andererseits werden sie zur freigiebigen Kreditgewährung verprflichtet. Die EZB programmiert mit ihrer Kreditblase schon die Bankenkrise der Zukunft. Zum anderen droht irgendwann ein Vertrauensschock in das Geldsystem als Ganzes. Immer neue Billionen neuen Geldes zu schaffen, wirft beim Publikum die ernste Frage auf, ob der Geldillusion in Papier- und Buchwerte wirklich zu trauen ist.

Dieser Kommentar ist Teil der Kolumne "What's right?", die Wolfram Weimer wöchentlich für das Handelsblatt schreibt.

12.06.2014 | 18:39

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