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Ein Hauch von Schröders Wahlnacht

Die Bürgerlichen haben die Europawahl klar gewonnen. Trotzdem mimten Sigmar Gabriel und Martin Schulz lange noch die Wahlsieger. Nun wird nur noch ein Versorgungsposten gesucht - doch das wird schwierig.

Die SPD hätte gewarnt sein müssen. Der legendäre Elefantenrunden-Auftritt Gerhard Schröders in der Wahlnacht von 2005 hat sich in das Fremdschäm-Gedächtnis der Nation tief eingeprägt. Testosteron-Gerd schwadronierte damals trotz seiner Niederlage (sieges-)trunken: "Ich bleibe Bundeskanzler. Niemand außer mir ist in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden." Das Publikum war erstaunt, irritiert, aber auch ein wenig beeindruckt ob der verblüffenden Siegerpose des Verlierers.

Sigmar Gabriel und Martin Schulz wandelten nach der Europawahl auf ähnlich bizarren Pfaden. Sie feierten sich am Wahlabend so donnernd und wundersam, als sei Willy Brandt höchstselbst wieder auferstanden. Nur hatte der bei seiner Wahl 1972 satte 45,8 Prozent der Stimmen für die SPD erreicht. Doch am Sonntag brachte es die Partei nur auf magere 27,3 Prozent. Die CDU blieb so weit vor der SPD, dass man sogar die gesamte CSU abziehen könnte, und es wäre immer noch ein deutlicher Wahlsieg für Angela Merkel. Während die aber ganz leise und zielstrebig schon personelle Weichen für Europa stellte, gab sich die SPD einer Gerhard-Schröder-Gedächtnis-Nacht hin.

Schon in der Wahlnacht wunderten sich erste SPD-Spitzen hinter vorgehaltener Hand: "Früher hätten wir uns für so ein Ergebnis geschämt." Und: "Der Sigmar verkauft uns noch 'ne tote Maus als Riesen-Elefant." Denn die Niederlage der Sozialdemokraten war nicht nur in Deutschland deutlich, in weiten Teilen Europas obsiegten am Ende die Bürgerlichen. Das starke Abschneiden von Rechtspopulisten kam gar einem politischen Erdbeben gleich. Dagegen erlebten die Sozialdemokraten von Griechenland über England und Belgien bis Frankreich gleich mehrere Debakel. Und dass der Deutsche Martin Schulz nicht einmal in seinem Heimatland einen Vorsprung herausholen konnte, machte die Chance auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zunichte. Eigentlich gab es haufenweise Gründe für Zerknirschung. Nur Sigmar Gabriel merkte das ziemlich spät, vor allem wollte er nicht, dass die anderen das merkten.

Bizzel-Wasser statt Siegerchampagner

Martin Schulz bekam im Morgengrauen immerhin die Kurve. Er erkannte in Anbetracht der Wahlergebnisse, dass er chancenlos ist, selbst wenn er hier und da von kleineren Gruppierungen im neuen Parlament noch mitgewählt werden würde. Nun beginnt das große Zurückrudern, und die verzwickte Aufgabe muss gelöst werden, aus dem Siegerchampagner wenigstens noch ein Glas bizzelndes Wasser heraus zu destillieren.

Denn die eitle Art, mit der Martin Schulz die Wahlnacht begangen hat, fällt ihm nun auf die Füße. Gerade die Sozialdemokraten anderer Länder, die sich mit bitter schlechten Ergebnisse zu plagen haben, sind irritiert und sehen die uralte Kritik an der Selbstgefälligkeit des Deutschen bestätigt. Da Schulz die Wahl verloren hat, ist die Bereitschaft nun selbst in den eigenen Reihen eher gering, ihn mit einem herausragenden Posten auch noch zu belohnen. Für Gabriel und Schulz hingegen heißt es nun just, noch etwas Großes herauszuholen. Man sei bereit, Jean-Claude Juncker ins Präsidentenamt zu wählen, wenn Schulz ein mächtiges Kommissarsamt bekäme - so lautet die Verhandlungsposition der SPD. Selten zuvor ist ein feiernder Schein-Wahlsieger so rasch zum Versorgungspostenanwärter geschrumpft.
Ehemals jüngster Bürgermeister in NRW

Der denkbare Deal wird aber nicht so einfach werden wie in früheren Jahren, denn der Ausgang der Europawahl mit zum Teil erdrutschartigen Siegen von Rechtspopulisten hat gezeigt, dass die EU ein tiefes Legitimationsdefizit hat und dass viele Europäer Reformen des Brüsseler Klüngelsystems wünschen. Schulz aber gilt vielen geradezu als Inkarnation der alten EU, die sich mit Sondersitzungsgeldern ihren Bevormundungspaternalismus gut bezahlen lässt.

Außerdem hat seine Wahlkampfstrategie manche Herzenseuropäer irritiert. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit wirft ihm sogar vor, einen "nationalistischen Wahlkampf" geführt zu haben. "Martin Schulz sollte sich schämen", sagt Cohn-Bendit dem "Spiegel": "Er hat in seinem Machthunger alle europäischen Prinzipien verraten und einen nationalistischen Wahlkampf geführt." Cohn-Bendit spielt dabei auf das Plakat an mit dem Text: "Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden." Gerade die Grünen aber bräuchte Schulz nun zu seiner Unterstützung.

Andererseits verfügt Schulz über jede Menge Erfahrung und große Steherqualitäten. Er hat schon ganz andere Niederlagen erstaunlich überstanden. So wollte der Polizistensohn nach der Schulzeit Fußballspieler werden, musste aber aufgrund einer Verletzung seine Karriere jäh beenden und verfiel daraufhin für einige Jahre dem Alkohol. Andere wären auf finale Abwege geraten, doch Schulz kam zurück, absolvierte eine Buchhändlerlehre und gründete sogar eine eigene Sortiments- und Verlagsbuchhandlung in Würselen. Mit 31 Jahren wurde er schließlich in seiner Heimatstadt damals der jüngste Bürgermeister Nordrhein-Westfalens. Zum jüngsten EU-Kommissar wird er es nicht mehr schaffen. Aber aufgeben wird er nach dieser Niederlage bestimmt nicht - vor allem wenn Sigmar Gabriel ihm noch ein paar Abende lang erzählt, dass das in Wahrheit ein historischer Sieg gewesen ist.


Dieser Kommentar ist Teil der Reihe "Person der Woche", die Wolfram Weimer für n-tv.de schreibt.

29.05.2014 | 09:34

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