Euer Staat ist einfach zu groß
Die Europawahlen drohen zu einem Erdbeben zu werden. Protestparteien blühen auf. Die Bürger sind aber nicht plötzlich rechts, sie wehren sich bloß gegen den selbstgefälligen Bevormundungsstaat und Big Government.
Es rumort in Europa. In fast allen Länder der EU bekommen die neuen Protestbewegungen massenhaft Zulauf, von “Ukip” in England und "Vlaams Belang" in Belgien über die "Wahren Finnen" bis zur italienischen "Lega Nord". Ob der Front National in Frankreich, die schottischen und katalanischen Separatisten, die neuen Protestparteien in Österreich oder die “Alternative für Deutschland” bei uns – sie werden die Wahlen diesmal mitprägen.
Wie eine indignierte Kaffeetante versucht die etablierte politische Klasse, die neuen Massenbewegung als dumpfe “Rechtspopulisten” und “Neo-Nationalisten” abzuqualifizieren. Doch das greift zu kurz. Und es würde nicht erklären, warum von Piraten in Deutschland bis zu Beppe Grillos “Fünf Sterne” in Italien auch dezidiert nicht-rechte Bewegungen plötzlich erfolgreich sind. Das Unbehagen von Millionen Europäern am Zustand unserer Demokratie ist zu groß, um bloß so zu tun, dass am Tisch Europas eben ein paar hässliche, braune Brösel herumliegen.
Die Volksabstimmung in der Schweiz zeigt, dass der Protest gegen das System Europa selbst in den ältesten und reifsten Demokratien des Kontinents mehrheitsfähig ist. Es macht wenig Sinn die Schweizer für ihre vermeintliche Ausländerfeindlichkeit zu schelten – denn das sind sie in ihrer großen Mehrheit einfach nicht.
Diese Proteststimmung wird aus einer anderen Quelle gespeist. Es geht um das Prinzip Nähe und Identität. Immer mehr Bürger wehren sich gegen die politische Wandlung unserer Demokratien in vermachtete Parteienoligarchien und anonyme Riesenbürokratien des modernen Big Government. Sie vermissen Teilhabe, Autonomie, Lokalität und Kontrolle. Es bahnt sich damit ein Pendelschlag der Geschichte an, mit dem sich das Bürgertum Europas nach dem großen Zentralisierungprozess seine Freiheiten, Autonomien und Identitäten zurück holen will.
Über Jahrzehnte hat die linke Losung Europas Demokratien und Europas Staatenbund geprägt, dass nur der möglichst große Vater Staat die Probleme seiner Bürger löst. Alles wurde vereinheitlicht, sozialisiert, europäisiert. Dieses Konzept stößt nun auf Widerstand von unten. Es verbreitet sich eine Grundstimmung, dass selbstbewusste Bürger ihre Angelegenheiten lieber selber regeln wollen, nach jeweils unterschiedlichen Maßstäben, lokal anstatt zentral bevormundet, bürokratisiert, gegängelt und übersteuert zu werden.
“Brüssel” wird dabei nur zum Synonym einer illegitimen Einmischung in die Freiheitsräume seiner Bürger. Der Grundimpuls der Protestparteien ist darum nicht neo-nationalistisch, er ist neo-subsidiär. Er wehrt sich gegen die Fremdbestimmung durch ferne und schuldentrunkene Regierungsapparate. Schon im Bundestagswahlkampf zeigte sich am Beispiel der Grünen, dass der Staat als Supernanny-Bevormunderin dramatisch unbeliebt geworden ist.
Die Menschen haben den Gouvernantensozialismus satt
Auch in den USA prägt dieser Trend die politische Kultur zusehends. Es begann mit der Tea-Party-Bewegung ist inzwischen formativ für Stimmungsmehrheiten: der Kampf gegen das “Big Government”. In Europa wie Amerika geht es mittlerweile offen um die Frage, wie viel Staat unsere modernen Demokratien wirklich brauchen, sich leisten können und - vor allem - ertragen. Die Überschuldung der westlichen Demokratien ist jedenfalls ein Alarmindikator für die völlige Überdehnung der Staatsfunktionen.
Schlagworte wie “Bevormundungsstaat” und “Verbotsrepublik” machen die Runde, und wenn demnächst das neue Buch von Thilo Sarrazin ("Der neue Tugendterror") über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland herauskommt, dann wird er wieder Zigtausende von Käufern und Millionen von Sympathisanten finden, weil es mittlerweile ein Massenempfinden ist, dass die Räume des Handelns, Redens und Denkens enger werden. Im Bürgertum keimt eine breite Kritik an einer Gesellschaft der Überreglementierung, die bis ins öffentliche Sprechen reicht.
Auch der Umverteilungspaternalismus – über Jahrzehnte eine Heilslosung der politischen Klasse - wird zusehends misstrauisch beäugt, weil die Mehrheit längst erkennt, dass sich eine politische Sozialstaatsindustrie zur eigenen Bereicherung etabliert hat und sich damit vor allem ihre Posten selber schafft.
Dabei stecken uns staatliche Moralapostel wie Neurose-Ärzte in ihre Zwangsjacken: Du sollst weder Autos noch Fleisch mögen, Du sollst klimafreundlich grillen, politisch korrekt denken und bloß nicht nach Leistung beschäftigen, sondern nach Gender-, Inklusions- und Diversity-Vorgaben. Mit Quoten und Verboten verbarrikadieren sie das Leben, die Verbraucher- und Umweltschützer, die Gleichstellungsbeauftragten, Präventionsräte, Sozialpolitiker und Integrationsberater. Sie wissen immer alles besser und werfen mit fremden Geld um sich. Diese Big-Government-Gouvernanten löffeln uns voll mit ihrem Steuer- und Schuldenbrei, obwohl die Staatsfinanzen damit schon fast ruiniert sind.
Von aggressiven Finanzämtern bis zur staatlichen Blitzerindustrie, vom Glühbirnendekret bis zum Rauchverbot reicht die Alltagserfahrung in einem Staat, der zusehends auftritt wie ein Unteroffizier. Die Menschen haben diesen Schulden- und Gouvernantensozialismus ziemlich satt. Sie wehren sich in Wahlen – und das kommt mal regionalistisch, mal basis-demokratisch, mal rechtskonservativ daher. Man sollte das Anliegen besser Ernst nehmen als ihre Wähler brandzumarken. Die Anti-Europa-Stimmung richtet sich in Wahrheit nicht gegen Europa sondern gegen die expansive Art, wie im Europa der fetten, selbstgefälligen Staaten regiert wird – nämlich nicht mehr bürgernah.
Dieser Beitrag ist Teil der Kolumne "What's right?", die Wolfram Weimer jede Woche für das Handelsblatt schreibt.
17.02.2014 | 16:50