(Bild: picture alliance / Paul Zinken/dpa | Paul Zinken)



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Mikroapartments: Wenn der Trend zur Miniwohnung zum Höllentrip wird

Die Immobilienbranche preist sie als Lösung gegen zu wenig Wohnraum, gegen hohe Mieten und als attraktives Angebot für Investoren: Mikroapartments. Doch wer drinnen sitzt, merkt: Eng kann aggressiv machen. Und auch Investoren brauchen starke Nerven, denn die Investition ist alles andere als unumstritten.  

Einst war es das Studentenzimmer, die Wohnung für Wochenpendler oder einfach das möblierte Apartment. Weil aber immer mehr Menschen den Drang verspüren, aus welchen Gründen auch immer allein in ihren vier Wänden zu leben, hat die Immobilienbranche einen neuen Trend aus dem alten Thema gemacht: Mikroapartments sagen Immobilienentwickler sind in Großstädten der Trend des Jahrzehnts. Offenbar vermehren sie sich wie anderswo die Fruchtfliegen im weichgewordenen Apfel. Weil aber Mikroapartments irgendwie noch immer nach Enge und ein bisschen ungemütlich klingen, halten findige Immobilienentwickler eine Fülle von Namen bereit, die das Wohnen auf engstem Raum in fremden Möbeln attraktiver macht: Wunderflat, Smartment, Behomie sind nur einige davon. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie versprechen Komfort für ihre Bewohnerinnen und Bewohner, und sie locken mit Renditen für diejenigen, die so ein Mikroapartment als Geldanlage ins Auge fassen. Was ist dran an den Versprechen der Immobilienbranche?

Wenn Lotte S. in ihrem Bett liegt, weiß sie, dass über ihr, unter ihr und auf den beiden angrenzenden Seiten ihres Apartments andere Hausbewohner sich auf genau dem gleichen Bettmodell – zwei 2 Meter lang, 80 Zentimeter breit, helle Buche - räkeln. Dass sie am gleichen schmalen Tisch aus Buchenholz sitzen, der irgendwie aus einem Jugendzimmer entsprungen ist, und sich in der gleichen dunklen Küchenzeile, die sich fast vollständig hinter einer Schranktür befindet, ihre Fertig-Spaghetti-Packung kochen. Bis aufs Selber-Kochen ist das ganze wie im Hotel. Lotte S. will ihr Psychologiestudium in Köln beenden, ein Jahr noch, länger soll es nicht mehr dauern – und so lange hält sie es hier aus, sagt sie. „Es fehlt ja an nichts.“

Nach Angaben der Stadt Köln waren vor der Pandemie 2018 knapp 4000 neue Wohnungen in der Rheinmetropole entstanden, gut 2000 weniger als das durch die Stadtregierung selbstgesetzte mittelfristige Jahresziel vorgibt, die damit rechnet, dass sich die Zahl der Kölner jährlich um etwa 5000 Menschen erhöht. Gleichzeitig steigen durch immer spätere Heirat, mehr Studierende, einen mobileren Lebensstil, die notwendige berufliche Flexibilität und eine steigende, hohe Lebenserwartung die Zahl der Einpersonenhaushalte. Zwischen 1991 und 2019 nahm ihre Zahl laut der Bundeszentrale für politische Bildung von 11,9 auf 17,6 Millionen zu. Der Anteil der Einpersonenhaushalte an allen Haushalten stieg in diesem Zeitraum von 33,6 auf 42,3 Prozent. Köln reagiert wie andere Städte auch: Da es kaum neue Baugebiete gibt, zwingen sich klitzekleine Wohnungen als ein Teil der Lösung geradezu auf. Sie werden den bislang gültigen Trend zu immer mehr Platz, den einer oder eine für sich beansprucht, umkehren: Es geht mit Schwung zurück in die Vergangenheit. Nach Zahlen des Leibniz Instituts für Sozialwissenschaften ist die Wohnfläche pro Person von unter 20 Quadratmetern in den 1960er Jahren auf über 40 Quadratmeter angestiegen. Die derzeit so angesagten Mikroapartments kommen oft wieder mit weniger als 30 Quadratmetern aus.

Und Selber-Kochen muss auch nicht immer sein. Der in Deutschland und Österreich tätige Immobilienentwickler GBI, von dem die Wortschöpfung „Smartment“ stammt, hält für den bequemen Kleinstbehausungs-Bewohner auch maximalen Service bereit: Das Internet funktioniert von der ersten Minute an, ein E-Bike-Service bietet zeitgemäße, großstädtische Fortbewegungsmittel und der Hausmeisterservice reinigt und repariert alles für jeden, der dazu weder Lust verspürt, noch Zeit aufbringen will. Die Übergänge zum Hotel sind dann fließend – auch beim Preis: Er ist abhängig von der Lage schnell vierstellig im Monat.

Kein Wunder: Das Konzept der Mikroapartments stammt auch aus der Hotellerie. Wer als Geschäftsreisender nicht zwei Nächte, sondern zwei Monate in einer fremden Stadt verbringt, sucht eine Alterbnative zum teuren Hotelzimmer, das er aber dennoch nicht putzen muss, und wo er auch etwas zu essen findet. Deshalb haben zunächst Hotels kleine Apartments mit Küchenzeile in ihr Angebot aufgenommen. Immobilienfirmen haben das Konzept gekapert und inzwischen entstehen zwischen Berlin und München tausende dieser Kleinstwohnungen, oft wie bei Lotte S. in einem eigens dafür entworfenen Gebäude.

Die Wohnkonzepte sind oft clever und erinnern an die Einrichtung von Campingmobilen. Kein Zentimeter bleibt ungenutzt. Die Einrichtung als Ausdruck der Persönlichkeit? Da wird es natürlich schwierig. Ob eng gemütlich ist? Auch darüber ragen die Vorstellungen schon immer weit auseinander. Die Hamburger Wohnpsychologin Antje Flade, wurde dazu vom „Spiegel“ befragt und sagte, in Regionen, wo Großfamilien eine wichtige Rolle spielten, werden enge räumliche Verhältnisse eher akzeptiert, als dort, wo dem individualistischen Lebensstil gehuldigt werde. In solchen Verhältnissen „macht erlebte Enge aggressiv“. Sehr kompliziert wird es, wenn auch noch ein Partner für länger als eine Nacht zu Besuch kommt. Dann wird das Leben auf 20 Quadratmetern, das im Immobilien-Katalog eben noch so kuschlig aussah, schnell zur Kampfzone, in der derjenige stört, der es wagt, sein Paar Socken von gestern auf dem Küchen-Arbeits-Esstisch liegen zu lassen. Der Umweltpsychologe Dak Kopek vom Boston Architectural College hält es sogar für unmöglich, dass sich Paare dauerhaft in einem Hotelzimmer großen Lebensbereich verstehen können.

Dennoch ist der Trend ungebrochen. Sebastian Reccius, Vorstandsmitglied der Deutschland Immobilien aus Hannover, schreibt in seinem Rundbrief an Anlagekunden: „Jung, gebildet, alleinstehend, frisch in einer neuen Stadt angekommen" - das seien die Kunden fürs Mikroapartment, und weil die Klientel gut sei, sei auch die Anlageklasse klasse. Anlageexperten wie etwa die Berater vom Finanzdienstleister MLP weisen darauf hin, dass Mikroapartments eine höhere Rendite für Anleger erzielen können als andere Immobilien. Dabei wird klassisch marktwirtschaftlich argumentiert und alle Initiatoren, die derzeit für mehr bezahlbaren Wohnraum protestieren und sogar die Enteignung von Immobilienbesitzern verlangen, müssen sich die Ohren zuhalten: „Weil die Nachfrage das Angebot weit übersteigt, haben Sie als Vermieter ein hohes Maß an Mietsicherheit“, argumentiert der Finanzdienstleister. Das Missverhältnis biete Anlegern eine große Chance ihr Geld „nachhaltig und zukunftsorientiert“ anzulegen. Es könnten höhere Mieten pro Quadratmeter verlangt werden als bei klassischen Eigentumswohnungen. „Der häufige Mieterwechsel schafft die Chance, Mietpreiserhöhungen in kurzen zeitlichen Abständen durchzusetzen.“ Weil es möblierte Wohnung seien, kämen weder Mietpreisspiegel noch -bremse zur Anwendung. Und der Clou: Es gebe sogar KfW-Förderdarlehen. Dagegen spricht eine relativ aufwendige Verwaltung der Wohnungen wegen häufiger Mieterwechsel. Dennoch: Die Anfangsrenditen, so schätzen Investoren, liegen bei vier bis fünf Prozent im Jahr im Vergleich zu drei bis vier Prozent bei herkömmlichen Mietkonzepten.

Städtische Baudezernenten, deren Chefs, die Oberbürgermeister, auch mal eine Wahl gewinnen müssen, sehen Mikroapartments zunehmend kritisch. Anlass sind vor allem die Preise pro Quadratmeter und die These, kleinteiliges Wohnen würde nicht zur Belebung von Städten beitragen, sondern teils gar zur Ghettoisierung einzelner Lagen führen. Studenten und Pendler, so heißt es, seien weniger an Bindungen in ihrer Nachbarschaft interessiert. Das könne der Entwicklung von „Schlafstädten“ Vorschub leisten. Tilman Gartmeier, Geschäftsführer bei Cube Real Estate hält dagegen: Es komme einmal mehr auf die „Nutzungsmischung“ an. Bei größeren Projekten ließen sich Apartments für Studenten mit Seniorenwohnungen, Wohnungsgemeinschaften und regulärem Mietwohnungsbau verbinden.

Politiker müssen allerdings starke Nerven haben, wenn sie sich auf die Seite der Investoren schlagen. In Hamburg kam es vor einigen Wochen zur ersten größeren Demonstration vor einem Mikroapartmenthaus mit dem bezeichnenden Namen „Neue Hühnerposten“. Die dort errichteten 353 Mikro-Apartments werden auf dem freien Markt für bis zu 45 Euro pro Quadratmeter angeboten. Da kann dann für ein kleines Zimmer mit 19 Quadratmetern 790 Euro Miete pro Monat anfallen. „Es ist ein Trugschluss zu denken, dass Projekte wie der Neue Hühnerposten die Wohnungsnot lösen könnten“, sagte Paul-Hendrik Mann vom Mieterverein nach der Demo. „Ohne Privatisierung der städtischen Flächen hätte an dieser Stelle bezahlbarer Wohnraum für alle, statt teure Apartments für wenige geschaffen werden können.“

Oliver Stock

02.11.2021 | 17:16

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