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Was bleibt von Angela Merkel wirklich?

Die Kanzlerin ist auf der Schlussetappe ihrer Amtszeit. Deutschland zieht Bilanz einer Ära. Was war gut, was ist misslungen, was bleibt?

Die Zitterauftritte im Sommer, der Konjunktureinbruch im Herbst, das Taumeln der Großen Koalition, Wahldesaster bei den Landtagswahlen, Machtkämpfe in SPD und CDU, das Auftrumpfen der AfD in Ostdeutschland – es scheint sich vieles zu einem Endzeitbild um Angela Merkel zu fügen. Es ist ohnedies ihre letzte Legislatur, das gefühlte Ende einer Ära rückt näher. Und so fragen sich viele: Was war das eigentlich für eine Kanzlerschaft?

Die Merkel-Verfechter sagen, sie habe Deutschland anderthalb Jahrzehnte souverän geführt und das Ansehen des Landes gestärkt. Sie sei als erste Kanzlerin der Geschichte vielen Frauen in der ganzen Welt ein Vorbild geworden. Ihre ausgleichende Konzilianz, ihr leiser Pragmatismus und ihre uneitle Art gelten in einer Welt des dröhnenden Neo-Despotismus als wohltuend, ihre schiere Tonlage freundlicher Dezenz wird rund um den Erdball geschätzt. Sie habe Deutschland damit ein sympathisches Gesicht verliehen. Stabilität gehört auch zu ihren Erfolgen, ist Angela Merkel doch so lange im Amt, wie Konrad Adenauer es war. Mehr als 14 Jahre. Von allen Kanzlern der Bundesrepu­blik hat es nur Helmut Kohl noch ein Stückchen weiter gebracht. Auf der Habenseite ihres politischen Kontos liegt schließlich auch ein wirtschaftlich erfolgreiches Jahrzehnt für Deutschland. Die Arbeitslosigkeit ist drastisch verkleinert, die Staatshaushalte sind ausgeglichen, die Deutschen leben so wohlhabend wie noch nie.

Alarmzeichen für wenig Erfolg

Die Merkel-Kritiker verweisen dagegen auf ein schwer verunsichertes Deutschland, eine zusehends polarisierte Gesellschaft, zertrümmerte Volksparteien und den Aufstieg des Rechtspopulismus: alles Alarmzeichen einer erfolgsarmen Kanzlerschaft, die wirtschaftlich bloß von den Agenda-Reformen ihres Vorgängers profitiert habe. Ihre beiden größten politischen Fehler – die Energie- und Klimapolitik sowie das Migrationshandling – hätten reichlich Flurschäden angerichtet. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwinde, die digitale Revolution drohe verloren zu werden, wichtige Schlüssel­industrien wie die Auto- und Chemiebranche würden politisch attackiert. Eine überhas­tete, undurchdachte Energiewende schwäche obendrein mit den höchsten Strompreisen der Welt den Standort Deutschland und habe doch die klimapolitischen Ziele verfehlt. Und die Alleingänge der Kanzlerin in der Zuwanderungsfrage hätten Deutschland wie Europa tief gespalten.

Beide Seiten haben Argumente auf ihrer Seite. Doch im großen Bild der Kanzlerschaft werden womöglich andere Kontraste sichtbar bleiben. Denn ausgerechnet die CDU-Kanzlerin hat Deutschland erstaunlich modernisiert.

Von der Abschaffung der Wehrpflicht bis zur Homo-Ehe, von der Liberalisierung des Busfernverkehrs bis zum Einstieg in die Euro-Armee, vom Schub in Genderfragen bis zur wirtschaftlichen Internationalisierung und umfassenden Digitalisierung zieht sich ein tiefe Spur der Modernisierung auch die Merkel-Jahre.
Der Kanzlerin ist es dabei gelungen, die jeweils umstrittenen Fortschritte so zu moderieren, dass sie sich geschmeidig anfühlten. Kurzum: Sie schaffte ein fruchtbares Klima des Modernisierungs-Biedermeiers. Selten gelangen Deutschland so viele Neuerungen bei gleichzeitig so wenigen sozialen Konflikten. Erst die Migrationskrise und nun die Klimadebatte beenden dieses Biedermeier 2.0.    

Dr. Wolfram Weimer

28.11.2019 | 12:25

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