Amazon-Aktie: Allzeithoch mit Beigeschmack
Die Schließung vieler Geschäfte hat Amazon weiter beflügelt. Während die Corona-Krise Millionen Menschen ihren Job kostet, sucht der Online-Riese neue Mitarbeiter und verkauft sich dabei als Wohltäter. Wie das Unternehmen Kritiker beseitigt und dabei zum größten Gewinner dieser Krise wird.
Inmitten der Corona-Pandemie hat der Online-Händler Amazon 100.000 neue Mitarbeiter in den USA eingestellt, 75.000 weitere sollen folgen. Der Grund dafür ist denkbar einfach: Weil herkömmliche Geschäfte derzeit geschlossen sind und die Angst vor einer Corona-Ansteckung in weiten Teilen der Bevölkerung kursiert, bestellen Verbraucher alles Notwendige im Internet – und auch alles Überflüssige. Damit die Kunden in diesen „beispiellosen Zeiten“ beliefert werden können, müssten zusätzliche Stellen besetzt werden, teilte der Konzern mit. Und da jetzt zahlreiche Menschen ihren Job verlieren, könnten einige Entlassene bei Amazon unterkommen. Die Aktie schießt auf Allzeithoch.
Was nach einer Wohltat klingt, ist unternehmerisches Kalkül. Während sich die Menschen weltweit in die soziale Isolation begeben, bestellen sie kräftig beim Online-Riesen aus Seattle und sorgen damit für einen bis dato nicht gekannten Nachfrageüberhang. Amazon reagiert, stellt Mitarbeiter ein und beseitigt Kritiker wie Emily Cunningham. Laut „Washington Post“ wurde Cunningham, die als „user experience designerin“ bei dem Logistikriesen arbeitete, kürzlich entlassen, weil sie sich „mehrfach internen Vorgaben widersetzt“ habe, wie Amazon mitteilte. Cummingham hatte ihrem Arbeitgeber mangelnden Klimaschutz vorgeworfen und verstärkt die Arbeitsbedingungen in den Lagern kritisiert. Angelstellte würden aus ihrer Sicht nicht hinreichend vor einer Corona-Infizierung geschützt werden. Inzwischen haben sich in mindestens 74 Lagern und Lieferzentren von Amazon Mitarbeiter mit dem Virus infiziert. Der Online-Händler hat derweil angekündigt, dass das Unternehmen die Mitarbeiter auf Fieber kontrolliere und sie im Falle von erhöhter Temperatur mindestens drei Tage nach Hause schicken will. Außerdem sollen sie während des Ausfalls bis zu fünf Stunden ihrer Schicht bezahlt bekommen und generell etwa 1,80 Euro mehr pro Stunde kassieren - als Extra-Anreiz. Auch andere Mitarbeiter in den USA zeichnen ein kritisches Bild. So zum Beispiel der Lagerarbeiter aus Staten Island Terrell Worm, der gegenüber dem Radiosender NPR sagt, dass er lieber zu Hause sei, seitdem sich ein Kollege mit dem Corona-Virus infiziert hat: „Ich berühre jeden Tag, an dem ich dort arbeite, mehr als 2000 verschiedene Gegenstände. Und ich trage dabei keinen Schutz."
Aktie schießt auf Allzeithoch
Unzureichende Desinfektion und zu wenig Mindestabstand in Warenhäusern schaden dem Aktien-Kurs des Konzerns aber keineswegs. Seit dem Panik-Abverkauf im März greifen die Börsianer wieder ordentlich zu, und bescherten der Aktie seit dem Tief vor knapp vier Wochen ein Kursplus von 36 Prozent, der langfristige Aufwärtstrend ist ungebrochen. Was aus charttechnischer Sicht für ein Long-Investment spricht: Die Amazon-Aktie bewegt sich oberhalb ihrer 200-Tagelinie, die sich Anfang April als Unterstützung behaupten konnte. Der Online-Händler profitiere von den geschlossenen stationären Läden und der Furcht der Menschen, wegen des Coronavirus auf die Straße zu gehen“, schreibt Douglas Anmuth, Analyst US-Bank JPMorgan, in einer Studie und hebt das Kursziel auf rund 2.300 Euro an. Derzeit sind die Anteilsscheine für etwa 2.074 Euro zu haben.
Entwicklung entgegen des Branchentrends
Boomt das Online-Shopping auch bei deutschen Unternehmen? Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh) sagt nein. Nur weil herkömmliche Geschäfte geschlossen bleiben, würden der Onlinehandel nicht pauschal als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Ein Großteil der Onlinehändler leide massiv unter den Auswirkungen der Pandemie, vor allem Händler, die Mode, Schuhe, Elektroartikel, Computer und Bücher anbieten. „Einzig die Kategorien, die auch im Einzelhandel stark nachgefragt wurden, konnten zum Teil deutliche Zuwächse verzeichnen: Lebensmittel, Drogeriewaren, Medikamente und Do-it-Yourself- beziehungsweise Baumarktsortimente, sagt der Verband. Insgesamt lagen die E-Commerce-Umsätze im März um nahezu 20 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
FS
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21.04.2020 | 12:07