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Börseneuphorie: Das kann nicht lange gutgehen

Der Ifo-Geschäftsklimaindex gibt scheinbar Entwarnung für die deutsche Konjunktur. Er ist trotz des Brexit-Votums kaum gesunken. Doch das ist nur eine Momentaufnahme, mehrere Gefahren lauern. Ein Kommentar.

Von Norbert Häring

Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im Juli nur ganz leicht gesunken, trotz des für die meisten überraschenden Votums der Briten für den EU-Austritt. Der vielbeachtete Index des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts sank nur leicht von 108,7 auf 108,3, eine Veränderung im statistischen Unschärfebereich, die kaum der Rede wert ist. Die Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate haben sich zwar merklich von 103,1 auf 102,2 abgeschwächt. Das wurde teilweise kompensiert von einer verbesserten Beurteilung der aktuellen Lage. Doch pessimistisch kann man auch die neue Einschätzung der Perspektiven kaum nennen. Der Erwartungswert ist immerhin der beste seit Januar.

Heißt das, dass es deutschen Unternehmen egal ist, ob Großbritannien in der EU ist und ob das Pfund stark oder schwach ist? Woher kommt dieser Gleichmut gegenüber dem epochalen Ereignis des Austritts eines EU-Schwergewichts? Die Antwort dürfte in der Fragestellung der Ifo-Umfrage liegen. Die Geschäftserwartungen werden für die nächsten sechs Monate abgefragt. Diese sind bereits in starkem Maße durch schon erhaltene Aufträge vorbestimmt. Außerdem dauert es noch lange, voraussichtlich mindestens zwei Jahre, bis die Briten tatsächlich draußen sind. Das ein oder andere Investitionsprojekt auf der Insel wird vielleicht gestrichen oder zurückgestellt, die nötigen Maschinen dafür aus Deutschland nicht mehr bestellt oder abbestellt. Der ein oder andere britische Importeur, dem durch die Abwertung des Pfundes deutsche Waren zu teuer geworden sind, wird auf heimische umsteigen.

Entsprechend sind die Geschäftserwartungen auch etwas gesunken. Doch die wenigsten Investoren und Importeure dürften sich nach dem Brexit-Votum rasch umorientieren. Deshalb wird es ein paar Monate dauern, bis sich die Unsicherheit nach dem Referendum und die Pfund-Abwertung in den Geschäftsklimaumfragen voll bemerkbar machen wird. Bei den harten Daten wie Auftragseingängen und Produktion, Exporten und Importen wird es noch länger dauern.

Die nächste Gefahr ist eine Bankenkrise

Was die Wechselkurse betrifft, sind die längerfristigen Folgen des Brexits unklar. Der Handel mit Großbritannien wird wegen der Pfund-Abwertung gegenüber dem Euro leiden. Doch auch die europäische Währung hat gegenüber Dollar und anderen Währungen abgewertet. Für die übrige Welt werden deutsche Waren damit billiger. Doch je umfassender mögliche Wirkungen der britischen Entscheidung betrachtet werden, desto dunkler wird das Bild. Die Briten könnten ihre vertraglichen Handelsbeziehungen so gestalten, dass sie künftig mehr mit der übrigen Welt und weniger mit der EU Handel treiben.

Wichtiger noch: Der Austritt der Briten könnte die Fliehkräfte im europäischen Gefüge verschärfen. Für einzelne EU-Mitglieder ist die Währungsunion derzeit kein guter Deal. Wenn die EU-Kommission demnächst tatsächlich die Strukturhilfen für Portugal und Spanien einfrieren sollte, weil die Staatsdefizite krisenbedingt nicht genug sinken, dann dürften sich dort viele fragen, ob sich die Mitgliedschaft in einer Währungsunion, die als Zwangsjacke empfunden wird, wirklich noch lohnt. In Italien gibt es diese Diskussion ohnehin schon. Zerfällt die Währungsunion, lässt sich der absurd hohe Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands von über acht Prozent der Wirtschaftsleistung unmöglich aufrechterhalten und eine Rezession ist unumgänglich.

Und es gibt eine weitere Gefahr, die sich in den Geschäftserwartungen für die nächsten sechs Monate noch nicht widerspiegelt: Das Risiko einer neuen Bankenkrise, ausgehend von Italien und anderen Krisenländern, deren Banken aufgrund der schlechten Wirtschaftsentwicklung unter riesigen Summen uneinbringlicher Kredite ächzen.

Fazit: Die deutsche Wirtschaft ist mit ihrer Abhängigkeit von einem auf Dauer nicht durchhaltbaren, extrem hohen Außenhandelsüberschuss sehr verletzlich. Der Überschuss ist so groß, dass eine Korrektur kaum ohne Rezession geschehen kann. Ob der Brexit oder die italienische Bankenkrise oder etwas Drittes die Korrektur auslösen werden, ist offen. Handelsblatt

25.07.2016 | 16:05

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