Erst abgeraucht – dann neue Hoffnung: Cannabis-Anleger geben nicht auf
Ein kanadischer Getränkehersteller erhält die Lizenz zum Anbau von Cannabis. Kleinanleger setzen darauf, dass sich sein Kurs mindestens verdoppelt. Und sie gehen erneut in die Offensive gegen die Hedgefonds: Sie werfen ihnen vor, Anlegerforen gezielt als „Crash-Maschinen“ zu missbrauchen.
Es war Freitagabend 23 Uhr, als die auf der Traderplattform Reddit organisierte Schar der Kleinanleger gespannt nach Kanada schaute, und zwar genau auf die Homepage der staatlichen Gesundheitsbehörde Canada Health. Pünktlich zur vollen Stunde geschah dann das, worauf die Anleger gehofft hatten: Der Getränkehersteller BevCanna Enterprises, der sich vor drei Monaten um eine Lizenz für ein Cannabis-Anbaugebiet beworben hatte, erhielt die offizielle Genehmigung. Für den Aktienkurs des Unternehmens bedeutet das voraussichtlich einen Sprung. Die Aktie dümpelt seit Monaten um die 50 Cent. Von welchem Kurs die anderen jetzt ausgehen würden, fragte ein Zocker auf der Anlagerplattform Reddit. „Verdoppelung“ antwortete ein anderer trocken. Diese Woche wird für sie zur Woche der Wahrheit.
Biden soll Cannabis legalisieren
Cannabis-Aktien gehören seit Tagen zu den am meisten gehandelten Aktien deutscher Privatanleger. Laut der Düsseldorfer Handelsplattform Lang & Schwarz wurden mit dem US-Wert Tilray am vergangenen Donnerstag rund 7,7 Millionen Euro umgesetzt und damit, mehr als mit den Dax-Titeln Siemens oder VW. Andere Cannabis-Aktien wie Sundial Growers und Aurora Cannabis gehörten ebenfalls zu den umsatzstärksten Aktien auf der Handelsplattform. Dahinter steht die Erwartung einer landesweiten Legalisierung von Cannabis in den USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden. So hat seit seinem Sieg vor drei Monaten der Cannabis-ETF „Rize Medical Cannabis and Life Sciences UCITS ETF“ seinen Kurs mehr als verdoppelt. Parallel dazu stiegen allerdings die Wetten auf einen Kursverfall bei den Firmen der Branche. Laut der Analysefirma Ortex war zuletzt 37 Prozent des Streubesitzes von Tilray, dessen Aktienkurs sich seit Jahresbeginn nach Ankündigung einer Fusion mehr als verfünffacht hat, in solchen Geschäften gebunden. Offenbar entspinnt sich wieder ein Armdrücken zwischen Leerverkäufern auf der einen Seite und Kleinanlegern auf der anderen.
Dafür sprechen mehrere Indizien. Lang & Schwarz wird von Trade Republic als Handelsplattform genutzt, einem populären Broker für deutsche Kleinanleger. Außerdem haben die Anleger auf Reddit diese Werte für sich entdeckt. In einem Beitrag in dem Forum, das bei den Kurskapriolen um die Aktien des US-Videospielhändlers Gamestop eine zentrale Rolle gespielt hatte, hieß es, dass die Titel von Tilray und Aphira viel Luft nach oben hätten. Diese Nachricht wurde binnen zwölf Stunden rund 10 000-fach geliked. Mit der Eröffnung der US-Märkte am Freitag drehte sich allerdings das Bild. Tilray rutschte um fast 40 Prozent ab. Der ETF für die Branche hat mit einem Minus von fast 25 Prozent den größten Tagesverlust seiner Geschichte verbucht.
Seit 2018 eine Rally der Enttäuschung
Die Entwicklung bei den Cannabis-Aktien erinnert an das Jahr 2018. Deren Kurse hatten damals kräftig zugelegt, nachdem Kanada als erste große Volkswirtschaft den Konsum von Cannabis und Marihuana für den Freizeitgebrauch legalisierte. Der Aktienkurs von Tilray lag damals bei seinem Rekord von 150 Dollar, inzwischen hat er sich von seinem Tief von 3,65 Euro wieder auf rund 30 Dollar erholt.
Für viele endete das Abenteuer an der Börse in der vergangenen Woche also damit, dass ihre Vermögen verrauchte wie der Stoff in der Cannabis-Tüte. Bei Reddit teilten einige Nutzer ihren Frust, in dem sie Fotos ihrer Portfolios veröffentlichten: Tiefrote Zahlen waren darauf zu sehen. Einige witterten eine Verschwörung der Leerverkäufer gegen sie. Ein Nutzer, der fragte, ob das Forum nun von Hedgefonds zu einer „Crash“-Maschine missbraucht werde, erhielt 1800 Antworten zu dem Thema. Die meisten teilten die Befürchtung. Einige zogen Parallelen zum großen Andrang auf Silber in den vergangenen Wochen. Einige Reddit-Autoren weisen darauf hin, dass vor allem neue oder lang still gelegte Accounts auf einmal bestimmte Aktien übermäßig bewerben würden. Sie befürchten, dass dahinter Hedgefonds stehen, die das Forum und vor allem die Kurse einzelner Aktien zu beeinflussen wollen.
Wer sich dennoch den Einstieg in dieses Marktsegment überlegt, sollte die wichtigsten Anbieter kennen. Die größten legalen Cannabis-Produzenten sitzen in Kanada. Dort ist der medizinische Cannabis-Konsum seit 2011 legal. Als erste Nation der G7-Staaten legalisierte Kanada den gesamten Cannabis-Konsum 2018. Seither können Erwachsene auch „Recreational marihuana“, also Marihuana zur Entspannung, straffrei konsumieren. So will die Regierung Schwarzmarkthändlern das Geschäft vermiesen. Die Legalisierung sorgte für einen Boom: Cannabis-Unternehmen schufen große Anbaukapazitäten und gingen an die Börse, 2019 übertraf dann das Angebot die Nachfrage, und die Kurse brachen ein.
Eine Fusion und ein neuer Player
Die wichtigsten Unternehmen der Cannabis-Branche sind seither Aphria, Canopy Groth und Tilray. Aphira aus Kanada hat mit Aphria Germany auch hierzulande ein Tochterunternehmen und einen Teil der Ausschreibung für den Anbau von medizinischem Cannabis in Deutschland gewonnen. Für den Anbau der Pflanzen wurde in Neumünster eine eigene Anlage gebaut. Canopy Growth hat mit Storz & Bickel in Deutschland ein Tochterunternehmen, das medizinische Geräte vertreibt. Tilray beliefert weltweit Ärzte, Apotheken, Krankenhäuser, Behörden und Forscher mit seinen Produkten. Es gehört zu den führenden Unternehmen in der Erforschung, Herstellung und dem Vertrieb von medizinischen Cannabinoiden. Tilray und Aphira haben vor zwei Monaten ihre Fusion angekündigt und steigen damit zum führenden Produzenten weltweit auf. Der neue Lizenzhalter BevCanna setzte bisher überwiegend auf die Weiterverarbeitung von Cannabis für seine Getränke. Die Kanadier steigen mit dem Erhalt der Lizenz nun selbst in die Cannabis-Produktion ein.
oli
15.02.2021 | 10:08