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Das größte Geschenk

Die Digitalisierung und das Internet bergen immense Chancen für unsere Generation. Warum die aktuelle Debatte um Big Data Zukunftschancen verbaut und Wohlstand verhindert, erläutert Telekom-Chef Timotheus Hottges in einem Gastbeitrag.

Wer könnte etwas dagegen haben?“ Diese Frage hat Mark Zuckerberg gestellt, als er seine Pläne präsentierte, Indien mit freiem Zugang zu Facebook zu versorgen. Er konnte gar nicht verstehen, dass es ein Problem sein könnte, Menschen, die bislang überhaupt keinen Zugang zum Internet haben, zumindest Facebook anzubieten. Wo doch wenig immer noch mehr ist als nichts. Und vielleicht hat er sogar Recht. Auf einem freien Markt müsste es selbstverständlich sein, Kunden Zugang zum eigenen Produkt zu ermöglichen, ohne dass jemand verlangt, auch den Zugang zum Produkt der Wettbewerber sicherzustellen.

Andererseits hat sich Mark Zuckerberg vermutlich nicht intensiv mit Gatekeeper-Theorien auseinandergesetzt. Und mit der Tatsache, dass die Ansprüche der Gesellschaft an das Internet und die Digitalisierung weiter reichen als die Ideen eines Menschen, der Gutes will, aber dessen Internetzugang de facto eine Werbeoberfläche ist, die auf Basis der Nutzerdaten vermarktet wird. Und dass inzwischen ein großes Unbehagen herrscht, wenn große Internetkonzerne das Internet quasi unter sich aufteilen.

Ich selbst teile dieses Unbehagen nur bedingt. Denn für mich sind die Digitalisierung und das Internet die größten Geschenke, die der heutigen Generation gegeben wurden. Weil sie neue Teilhabe versprechen. Neue Technologien, die das Leben von Menschen vereinfachen werden. Neuen Wohlstand und Wohlfahrt. Darum ist mir wichtig, dass wir der Digitalisierung positiv begegnen. Dass wir sie nicht als Bedrohung definieren, sondern als Chance. Sonst, so fürchte ich, findet der Wohlstand der Zukunft in Asien und Nordamerika statt. Nicht hier bei uns in Europa. Und damit womöglich nicht dort, wo Digitalisierung und Verantwortung eine fruchtbare Verbindung eingehen können.

Die Digitalisierung umfasst bereits heute fast alle Lebensbereiche. Darum macht es Sinn, dass wir uns über Regeln verständigen. Viele Aspekte sind dabei wichtig und diskussionswürdig. Dieser Text erhebt also keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Stattdessen soll es hier um einen kleinen Ausschnitt gehen.

„Die digitale Revolution ist vorbei.“ Diese etwas steile These hat der Medienwissenschaftler Nicholas Negroponte schon 1998 in der Zeitschrift „Wired“ aufgestellt. Die wirklich überraschen- den Veränderungen – sagt Negroponte – liegen nicht nur in der Technologie. Sondern darin, „wie wir gemeinsam unser Leben auf diesem Planeten gestalten“. Negroponte lenkt den Blick also auf eine soziologische Betrachtung der mit der Digitalisierung verbundenen Auswirkungen. Seine Aussage bewahrt uns letztlich davor, in falschen Kategorien zu diskutieren. Es geht bei der Digitalisierung eben nicht nur um Ö̈konomie. Um neue Arbeitsplätze und neuen Wohlstand. Um Joint Ventures und Kooperationen auf der einen oder Monopole und Kartelle auf der anderen Seite. Es geht nicht nur um die Freiheit von Märkten. Es geht immer auch um die Freiheit von Menschen. Gleichzeitig hilft Negropontes Diagnose dabei, die Digitalisierung nicht zu überhöhen. Natürlich ist die Kraft der Digitalisierung anders, vielleicht sogar umfassender als die anderer Technologiesprünge. Andererseits jedoch hat es ähnliche Sprünge immer wieder gegeben. Das Rad. Den Buchdruck. Die Dampfmaschine.

Was bei diesen Technologiesprüngen mit dem Menschen passiert, hat Marshall McLuhan in einem sehr plastischen Modell zu erklären versucht, das vielleicht etwas in die Jahre gekommen, aber immer noch sehr anschaulich ist. Ihm zufolge sind neue Technologien „Erweiterungen des Menschen“. Sobald der Mensch an physische Grenzen gerate, so McLuhan sinngemäß, amputiere er sozusagen den überforderten Körperteil und ersetze ihn durch eine leistungsfähigere Technik. Das Rad ist demnach eine Erweiterung der Beine. Der Buchdruck ist eine Erweiterung der Hand. Der Computer und das Internet sind eine Erweiterung des zentralen Nervensystems.

Bei jeder dieser Erweiterungen gerate der Mensch zunächst in einen Schockzustand, konstatiert McLuhan. Die Amputation werde nur durch Narkotisierung bewältigt. Der Mensch ist also zunächst wie betäubt. Doch in dem Maß, wie die Technik Einfluss nehme auf den Menschen, nehme auch die Fähigkeit des Menschen zu, die neue Technik als Erweiterung seiner selbst zu begreifen. Um sie dann im zweiten Schritt als solche sinnvoll einzusetzen. Es gilt die alte Weisheit: Die Zeit heilt alle Wunden.

So betrachtet stellt also auch die Digitalisierung nicht alles auf den Kopf. Sie ist lediglich eine neue Erweiterung des Menschen. Sie stellt Fragen. Manche sind neu. Aber bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass die Digitalisierung an vielen Punkten lediglich alte Fragen neu stellt. Und das beruhigt, weil wir uns dann auch bei der Beantwortung dieser Fragen auf Konzepte stützen können, die wir kennen. Es handelt sich also in vielen Punkten um ein ethisches „Back to the future“. Im 18. Jahrhundert wurde über „Lesesucht“ debattiert. Später wurde dem Tonfilm vorgeworfen, er stehe für „geistige Verflachung“. Das Radio wiederum stand am Pranger, weil es Jugendliche zum stundenlagen Konsum animierte.

Ich behaupte damit nicht, dass wir nicht über die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung reden müssten. Ich warne aber vor einem intellektuellen und kulturellen Fundamentalpessimismus. Der Mensch ist anpassungsfähig. Und Technik ist ambivalent. In Technikfolgen-Debatten ist der Mensch nicht erst seit der Entdeckung der Kernspaltung geübt. Und jedes Mal ist es auch gelungen, Regeln zu finden und Technologien einzuhegen. Dass Regeln missachtet und gebrochen werden, gehört dabei wohl zu unserem Wesen. Leider. Aber auch das bedeutet eben nicht, dass man auf Regeln verzichten müsste.

Natürlich wollen wir nicht, dass uns die Konzerne des Valleys bevormunden. Wir wollen auch nicht, dass uns Apps bevormunden. Wir sollten aber auch nicht wollen, dass eine Elite von Bildungsbürgern der vermeintlich unwissenden Mehrheit diktiert, was gut für sie sei. Aktuell habe ich die Befürchtung, dass durch die Art, wie wir die Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung führen, nicht nur Wohlstand verhindert wird, sondern auch Wohlfahrt.

Wir in Europa haben vor Big Data ja schon allein deshalb Angst, weil darin das Wort big vorkommt. Ich glaube, all das ist Folge eines bei uns tief verankerten Menschenbildes, nach dem der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Mit dieser Idee des „homo homini lupus“ sollten wir uns aber nicht abfinden. Auch wenn die historische und persönliche Erfahrung durchaus dafür spricht, dass der Mensch dem Menschen sehr oft ein Wolf ist. Dass natürlich Freiheit missbraucht wird. Aber dieses Menschenbild des Wolfes zugrunde zu legen, heißt leider auch, der Freiheit des Einzelnen keinen Raum zu lassen. Denn wer den Menschen als Wolf sieht und Menschen als Rudel, wird sich konsequenterweise für einen starken Staat, für starke Regeln, für starke Einschränkungen des Individuums aussprechen müssen.

Wichtiger scheint mir, nicht das Machbare zu beschneiden, sondern das Mögliche zu gestalten. Im Kern müssen wir das Miteinander definieren. Uns darüber verständigen, wie und was wir mit anderen teilen. Denn so wie wir in unseren Sozialsystemen eine Solidargemeinschaft eingehen, könnten wir auch mit Daten und digitalen Diensten Solidargemeinschaften bilden. Gleichzeitig darf diese Solidargemeinschaft aber nie derart ausufern, dass sie die Freiheit des Einzelnen zu sehr einschränkt, wie es in „The Circle“ beschrieben ist.

Das alles ist leicht gesagt, aber schwer umgesetzt. Und es ist nur der Anfang. Denn, um auf Negroponte zurückzukommen: Die Digitalisierung wird unser ganzes Leben prägen – Arbeit und Bildung, Gesundheit, Konsum, menschliche Beziehungen. Jenseits individueller Fragestellungen wie „Gelten Menschenrechte auch für künstliche Intelligenz?“ gibt es in meinen Augen Themen, bei denen wir die Debatte heute schon sehr dezidiert und grundsätzlich führen können. Viele Aspekte sind dabei wichtig und diskussionswürdig, hier soll es um einen kleinen Ausschnitt gehen.

Datenschutz

Daten sind der Rohstoff der Digitalisierung. Die wesentlichen Fragen, die die Digitalisierung an uns stellt, sind darum eng mit dem Umgang mit den Daten verbunden. Wem gehören Sie? Wer darf sie zu welchen Zwecken nutzen? Dürfen sie weitergegeben und weiterverarbeitet werden? Die Deutsche Telekom ist hier klar: Wir befürworten die Nutzung von Daten. Wir wissen aus der Geschichte, dass die wesentliche Wertschöpfung und damit Wohlstand dort entstehen, wo der Rohstoff veredelt wird. Wir müssen darum verhindern, in Europa zur Datenkolonie zu werden. Deshalb müssen wir gleiche Regeln für alle schaffen. Mit einer Daten-Anonymisierung und Daten-Pseudonymisierung haben wir Instrumente, mit denen wir zugleich ein hohes Datenschutzniveau wahren können.

Cybersicherheit

Die Zahl der Cyberattacken nimmt zu, ebenso die Komplexität. Diese Entwicklung erfordert weiterhin und zunehmend intelligente Analysemethoden und Abwehrkonzepte – speziell zugeschnittene Angriffe benötigen ausgeklügelte Reaktionsmuster. Die Telekom setzt auf Transparenz. Wir werben zum Beispiel dafür, dass Unternehmen Hackeran- griffe nicht geheim halten, sondern anderen Unternehmen bekannt machen, damit solche Angriffe gemeinsam analysiert und bekämpft werden können. Deshalb passt es zur Partnerstrategie der Telekom, mit den besten Technologieanbietern Lösungen und Produkte zu entwickeln, die wir in Deutschland und aus unseren Rechenzentren heraus betreiben – nach strengen deutschen Datenschutzrichtlinien.

Digitale Teilhabe

Der digitale Raum ist eine Verlängerung des physischen Raums. Soziale Interaktion, Bildung, Arbeit, Wirtschaft – all das findet inzwischen zu einem großen Teil im Netz statt. Darum ist eine Spaltung zwischen Onlinern und Offlinern zugleich eine soziale Spaltung, weil sie Teilhabe behindert. Die Telekom investiert durch ihren Netzausbau in die digitale Teilhabe. Mehr als fünf Milliarden Euro allein in Deutschland in diesem Jahr, um die Bevölkerung flächendeckend mit der Bandbreite zu versorgen, die notwendig ist.

Bildung

„Programmiere oder werde programmiert“, so lautet ein berühmtes Zitat des Medientheoretikers Douglas Rushkoff. Die Theorie dahinter ist, dass nur, wer selbst programmieren kann, in der Lage ist zu verstehen, wie die digitale Welt funktioniert. Und damit auch in der Lage ist, die digitale Welt aktiv mitzugestalten. Die Telekom setzt sich seit langem dafür ein, dass Programmieren als „Fremdsprache“ (in Wahrheit ist sie eher eine Methodik) auf den Lehrplan gehört. Aber ich glaube, damit ist es nicht getan. Denn Code ist nie neutral, sondern er verfolgt eine Absicht, ob nun eine politische oder einer wirtschaftliche. Es gehört daher auch das Thema „Digitale Ethik“ auf die Lehrpläne in Schulen und vor allem Universitäten.

Unsere Aufgabe ist es, einen breiten Diskurs zu führen über die lebensverändernden Dimensionen der Digitalisierung. Daraus muss eine zivilgesellschaftliche Vision entstehen, wie die Digitalisierung lebensfreundlich eingesetzt werden kann. Und wir müssen diese Vision auch denen nahebringen, die sie bislang nicht teilen. Die Digitalisierung ist das größte Geschenk für die kommende Generation, denn sie wird neuen Wohlstand sichern. Darum müssen wir sie in unseren Unternehmen umsetzen. Und zwar für die Kunden und für die Menschen, nicht gegen sie.

Nichts ist unbeherrschbar, auch nicht die Digitalisierung. Wir sind kein Spielball. Sondern wir sind das, was wir sein wollen. Wir werden also auch den neuen, digitalen Lebensraum gestalten können, der längst verschmolzen ist mit der analogen Welt. Und darum muss auch eine digitale Ethik mehr kennen als 0 und 1. Sie kann keine Aneinanderreihung kategorischer Imperative sein. Sondern digitale Ethik ist ein ständiges Ausbalancieren. Sie ist eine Definition des Verhältnisses zwischen Menschen und zwischen Mensch und Maschine. Ein Ausloten zwischen den Ansprüchen, die der Einzelne an die Gesellschaft hat und die umgekehrt die Gesellschaft an den Einzelnen stellt.

Und dabei können wir auf eine Ethik zurückgreifen, für die wir in unserer Geschichte immer wieder gekämpft haben. Sie lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die digitale Würde muss es auch sein. Wer könnte etwas dagegen haben?

28.06.2018 | 20:28

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