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Die Inflation ist das Ergebnis scheuer Politiker, gebrochener Verträge und eines Hinterzimmerdeals

Die steigende Inflation entwertet das Geld der Menschen. Die Politik hat alles dafür getan, dass es so kommen musste. Jetzt müsste sie beherzt eingreifen, was jedem Politiker allerdings seine Karriere kosten würde. Niemand wagt es. Dabei gibt es ein Beispiel dafür.

Ein Hinterzimmerdeal zwischen Staatsmännern, ein Vertrag, der das Papier nicht wert ist, auf dem er steht, und Politiker, die sich scheuen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen – das sind die wahren Gründe für die galoppierende Inflation im Euroraum. Diese Geburtsfehler des Euro verbunden mit den Auswirkungen der weltweiten Pandemie und einem Krieg, der die Energiepreise explodieren lässt, ist der Cocktail, der die Inflation gedeihen lässt. Trippelschritte der Europäischen Zentralbank, die die Zinsen nun erhöhen will, um die Inflation einzudämmen, werden nicht ausreichen, um sie zu stoppen.

Der Hinterzimmerdeal war einer, den die Väter des Euro, der französische Staatspräsident François Mitterand und der deutsche Kanzler Helmut Kohl in einer Art Männerfreundschaft, wie sie für die damalige Zeit und insbesondere für Kohl üblich war, einfädelten. Er ging so: Die Hüterin des Euro, die Europäische Zentralbank, sitzt in Frankfurt und ist auf dem Papier unabhängig. Das setzte Kohl durch. Aber ihr Chef oder ihre Chefin durfte schon damals kein Deutscher oder keine Deutsche sein. Das ist bis heute nicht anders und das setzte Mitterand durch. Denn die Deutschen, dass wusste der französische Staatspräsident, haben eine Abneigung gegen Inflation, obwohl sie es ist, die das Schuldenmachen erleichtert, was jeder Politiker braucht, der dank seiner Wohltaten gewählt werden will. Mitterands Kalkül ging auf. Kohl Hoffnung durch die formale Unabhängigkeit und den Sitz in Deutschland genug für eine EZB getan zu haben, die die Geldwertstabilität als oberstes Ziel verfolgen sollte, erfüllte sich dagegen nicht.

Der Maastricht-Vertrag wurde nicht einen Tag eingehalten

Stattdessen geriet die EZB zwischen die Mühlen der nationalen Politik: Hier die Länder vornehmlich im Süden Europas, die gewohnt waren ihre Schulden weg zu inflationieren und da die Länder, vor allem im Norden, die bemüht waren, Haushalte soweit im Griff zu behalten, dass Schulden finanzierbar blieben. Weil klar war, dass beide Systeme nicht unter einen Hut beziehungsweise in eine Währung passten, erfanden die Mitgliedssaaten des Euro die EU-Konvergenzkriterien und schrieben sie im Vertrag von Maastricht 1992 auf. Er besagt vor allem, dass der staatliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen darf. Dieses Kriterium wird seit seinem in Kraft treten ständig gebrochen. Griechenland und Italien waren schon immer fern davon, Spanien und Frankreich sind inzwischen etwa bei einem doppelt so hohen Schuldenstand angelangt. Und Deutschland, wo die Schuldenbremse erst wegen der Corona- und nun wegen der Ukrainekrise ausgesetzt ist, oder – wie im Fall der neuen 100 Milliarden Schulden für die Bundeswehr – umgangen werden darf, hat das Ziel auch aus den Augen verloren.

Ein unterschiedlicher Umgang mit Schulden führt in einem gemeinsamen Währungsraum allerdings zu Spannungen, weil irgendwann die Reichen für die Armen aufkommen müssen. Die Schuldenkrise im Euroraum war geboren, aus der die Länder aus eigener Kraft nicht mehr hinausfanden, weswegen der damalige italienische EZB-Präsident Mario Draghi im Jahr 2012 sein berühmtes „What ever it takes“ schmallippig hervorpresste. Es bedeutete in letzter Konsequenz, dass die EZB solange Euroscheine drucken werde, bis alle in der Lage wären, ihre Schulden im Griff zu haben. Das „What ever it takes“, zu dem sich Draghi der Eurorettung wegen bekannte, war damals die Erlösung. Aus heutiger Sicht ist es der Ursprung einer galoppierenden Inflation.

Die Inflation entlädt sich in Immobilienpreisen

Denn die Geldmenge in Europa erhöhte sich sprunghaft. Sie hat sich seit der Schuldenkrise auf rund 8,8 Billionen Euro versiebenfacht. Nur ein kleiner Teil davon ist aufgrund des Wirtschaftswachstums im Euroraum gerechtfertigt. Der Rest kommt aus der Notenpresse und hat zu einer Inflation bei den meisten Anlageklassen geführt: Erst bei den Immobilien, dann bei den Aktien zuletzt auch bei den Rohstoffen. Die Nachfrage stieg sprunghaft, das viele Geld musste irgendwohin. Als jedoch mit der Pandemie die Angebote drastisch knapper wurden, stiegen die Verbraucherpreise und mit einmal wurde die Inflation sichtbar.

Was dann passierte, hätte eine auf Preisstabilität verpflichtete EZB niemals machen dürfen, doch jetzt rächte sich, dass Kohl einst ihre formale Unabhängigkeit geschaffen hatte und ihr jetzt niemand reinreden konnte. Aus zwei Prozent Inflation machte die EZB erst einen „Zielkorridor“ von zwei Prozent und dann ein „symmetrisches Inflationsziel“ von zwei Prozent, was am Ende so viel heißt wie: Es genügt ein paar Jahre unter zwei Prozent zu sein, dann sind ein paar Jahre drüber nicht so schlimm. Dass Inflation zu exponentiellem Wachstum neigt und wie ein durchgehendes Pferd vom gemächlichen Schritt plötzlich in den Galopp verfallen kann, war den EZB-Entscheidern zunächst um Draghi und dann um seine französische Nachfolgerin Christine Lagarde egal.

Verrat an der Preisstabilität

War dies der erste Verrat an der Preisstabilität, folgte der zweite auf dem Fuße. Wieder war es die Politik, die die Richtung vorgab, und wieder war es die EZB, die sich dann durch nichts und niemanden davon abbringen ließ, ihr zu folgen. Als die EU unter Führung ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen den Green Deal ausrief und damit dem Ziel der Klimaneutralität oberste Priorität einräumte, beschloss der EZB-Rat im Juli 2021 sich bei seinen Entscheidungen ebenfalls von Klimaschutzzielen treiben zu lassen. Dass damit ihr einzige Auftrag, nämlich Geldwertstabilität zu garantieren, unter die Räder kam, nahm die EZB hin und die nationalen Regierungen applaudierten sogar. Für sie war damit endgültig klar: Die EZB würde ihre Pläne niemals durchkreuzen.

Seitdem sind milliardenschwere nationale und EU weite Corona-Wiederaufbau-Programme auf den Weg gebracht worden. Das Hochfahren der Militärausgaben in den EU-Mitgliedsstaaten und eine Subvention der Energiepreise, wie sie von den meisten nationalen EU-Parlamenten beschlossen wurde, führen zu weiteren milliardenschweren Belastungen, die solange finanzierbar sind, wie die EZB die Zinsen niedrig hält – aber damit der Inflation freien Lauf gewährt. Die überschaubaren Zinsschritte, die Lagarde jetzt angekündigt hat, sind der Kompromiss in einem Dilemma, wo es in Wahrheit immer nur zwei schlechte Lösungen gibt.

Das Beispiel von Jimmy Carter

Inflationsraten wie sie der Euroraum und auch die USA jetzt erleben, gab es zuletzt Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Der damalige US-Präsident Jimmy Carter setzte als seine letzte Reserve den knallharten Ökonomen Paul Volcker an die Spitze der Zentralbank. Der erhöhte als eine seiner ersten Amtshandlungen die Zinsen drastisch auf bis zu 20 Prozent. Die Inflation, die damals bis zu 15 Prozent betragen hatte, brach sofort in sich zusammen. Die USA allerdings schlitterten in eine Rezession, die am Ende auch Jimmy Charter hinwegfegte. Zu diesem Schritt kann sich in Europa bislang noch niemand entschließen.

Oliver Stock

13.06.2022 | 09:18

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