Deutschland stellt die Weichen für Europas Zukunft
Unabhängig vom Resultat der Bundestagswahl Ende September steht bei den Koalitionsverhandlungen der Posten des Finanzministers im Mittelpunkt. Die Besetzung könnte weitreichende Auswirkungen auf die Währungsunion, den europäischen Aktienmarkt, Anleiheerträge und Schlüsselpositionen in der EU haben – die Wahl des EZB-Präsidenten 2019 hängt unmittelbar davon ab.
Von Maximilian Kunkel
Umfragewerten im Vorfeld einer Wahl war zuletzt nicht immer zu trauen – man denke an die Präsidentschaftswahl der USA oder an die letzten Abstimmungen im Vereinigten Königreich. Aus diesem Grund hat UBS zusätzlich zwei statistische Modelle hinzugezogen, welche unter anderem historische Diskrepanzen miteinbeziehen. Daraus ergibt sich folgendes Bild: Die CDU/CSU liegt klar vorn und die Chancen stehen gut, dass Angela Merkel die Rekordamtszeit ihres einstigen Mentors übertreffen könnte. Die kleinen Parteien – FDP, Grüne, die Linke und AFD – sollten die Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Was die exakten Kräfteverhältnisse angeht, ist jedoch mit Überraschungen zu rechnen.
Großes Konfliktpotential zwischen Koalitionspartnern
Die FDP fährt auf europäischer Ebene einen sehr strikten Kurs – plädiert wird unter anderem für die Abschaffung des Rettungsfonds ESM und für eine langsamere fiskalische Integration. Eine schwarz-gelbe Koalition würde daher die konservativeren Strömungen innerhalb der Union stärken und könnte somit Merkels gemeinsame Pläne mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron für Europa gefährden. Bei einer möglichen Regierungsbildung mit grüner Beteiligung tragen deren Forderungen im Bereich der Klimapolitik ein hohes Konfliktpotential.
Die SPD wäre also wieder der geeignetste Koalitionspartner, zumal die vier Jahre des gemeinsamen Regierens die Schnittmenge beider Parteien noch vergrößert hat. Zwar könnte es bei der von der SPD geforderten Reichensteuer Probleme geben, denn die Verabschiedung eines solchen Gesetzes würde die Zustimmung des stark fragmentierten Bundesrats erfordern, mit offenem Ausgang. Auf europäischer Ebene ziehen CDU/CSU und SPD dagegen weitestgehend an einem Strang – beide wollen ganz im Sinne des wieder entdeckten deutsch-französischen Willens zur gemeinsamen Gestaltung eine europäische Verteidigungsunion, eine geltende Verfassung und sogar die Einführung eines europäischen Finanzministeriums vorantreiben.
Deutscher EZB-Präsident unwahrscheinlich
Welche Partei sich in der neuen Regierung den Posten des Finanzministers sichern kann, ist höchst ungewiss. Von der FDP wäre bei Koalitionsverhandlungen zu erwarten, dass Ansprüche auf das Finanzministerium gestellt werden, vor allem nachdem die letzte Regierungsbeteiligung mit der Besetzung des Außenministeriums in einer existenziellen Parteikrise endete. Auch die SPD würde abhängig vom Wahlergebnis auf das Amt pochen. Die Grünen dagegen scheinen ihre Prioritäten anderswo zu setzen.
Dass Wolfgang Schäuble seinen derzeitigen Posten auch bei einem Wahlsieg der Union verlässt, ist also gar nicht mal so unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist auch, dass Schäuble in dem Fall ein hochrangiges EU-Mandat anvisieren würde, allen voran dasjenige des Präsidenten der EU-Kommission, welches 2019 aufgrund des angekündigten Rückzugs von Jean-Claude Junker neu besetzt werden muss. Die Konsequenzen sind weitreichend. Seine Ernennung hätte nicht nur höhere fiskalische Disziplin in der EU-Peripherie zur Folge, sondern gleichzeitig eine Minimierung der Chancen auf einen erstmalig deutschen EZB-Präsidenten.
Auch wenn die Nominierungen vom Europarat, in dem Deutschland durchaus Gewicht hat, ausgehen und die Bundesrepublik vermutlich Ambitionen auf das Amt hegt, wäre zuzüglich zu einem deutschen Präsidenten der EU-Kommission und den deutschen Vorsitzen im Rettungsfonds ESM und in der europäischen Investitionsbank nicht mit einem weiteren zentralen EU-Mandat in deutscher Besetzung zu rechnen – zumal die Bundesregierung, in welcher Konstellation auch immer, sicherlich keine der beiden letztgenannten Positionen aufgeben möchte. Im Bereich des Möglichen wäre es dennoch, allerdings nur auf Kosten der Zusage einer sehr hohen fiskalischen Integration entgegen des Bevölkerungswillens. Eine nicht-deutsche Besetzung der EZB-Präsidentschaft wäre voraussichtlich mit einer weniger disruptiven Geldpolitik verbunden und wäre demnach anlegerfreundlicher als die Alternative.
Keine kurzfristigen Marktveränderungen zu erwarten
Im Hinblick auf die verschiedenen möglichen Konstellationen der zukünftigen EU-Strukturen hat die Deutschlandwahl mittel- bis langfristige Auswirkungen auf die Anlagemärkte. Viel hängt von der Besetzung der EZB-Präsidentschaft und der europäischen Geldpolitik ab. Welche Zinspolitik verfolgt wird und ob Maßnahmen wie die derzeitige quantitative Lockerung beibehalten werden, beeinflussen sowohl die Anleihe- als auch die Aktienmärkte auf lange Sicht erheblich. Für die Entwicklung des Euro besteht – solange die Schuldenbremse intakt bleibt – kein Risiko und wird hauptsächlich von anderen Faktoren wie Macrons Politik, dem Brexit oder auch den anstehenden Wahlen in Italien geprägt. Nur eine Regierungsbeteiligung der FDP könnte durch das Forcieren einer stringenteren Europapolitik den Euro stärken.
Nach einem langen Wahlmarathon im Jahr 2017 bleibt außerdem festzuhalten: Populistische Strömungen feierten zwar überall Erfolge, waren aber an keiner Regierungsbildung beteiligt und werden das aller Wahrscheinlichkeit nach auch bei der letzten anstehenden Wahl des Jahres nicht sein. Damit ist auch das Risiko für politisch getriebene kurzfristige Marktschwankungen stark gesunken. Trotzdem bleibt der populistische Trend bestehen. Wie sich dieser weiterentwickelt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die neu gewählten Regierungen den Ansprüchen ihrer Wähler gerecht werden können.
Maximilian Kunkel ist Chef-Anlagestratege von UBS Deutschland.
05.08.2017 | 14:58