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Vorsicht! Nicht zu früh freuen

Zäsur in Europa: Die EZB kündigt an, den zins wieder einzführen und das Gelddrucken zu beenden. Sie kommt damit dem Wunsch insbesondere der Deutschen nach, einen entscheidenden Schritt zur Bekämpfung der Inflation zu unternehmen. Der Kurswechsel ist aber mit großen Risiken verbunden. Viele freuen sich jetzt zu früh.

Endlich. Die Europäische Zentralbank kündigt an, die Zinsen zu erhöhen und die Notenpresse anzuhalten, in dem sie ihre Anleihekäufe beendet. Die Entscheidung ist eine Zäsur: Seit elf Jahren hat es keine Zinserhöhungen mehr gegeben. Und das Erstaunliche daran: Zumindest in Deutschland sind Seufzer der Erleichterung hörbar. Eine Inflationsrate von zuletzt mehr als acht Prozent hat den Deutschen das Gruseln mehr gelehrt, als es jede Zinserhöhung je könnte. Groß ist die Hoffnung, dass EZB-Chefin Christine Lagarde nun endlich zu der entscheidenden Waffe gegriffen hat, um die Inflation zu bekämpfen.
Schulden kosten wieder Geld

Doch mehr als eine Hoffnung ist es nicht. Denn die Zäsur beinhaltet gewaltige Risiken. Für die Menschen, Unternehmen und Staaten bedeuten steigende Zinsen, dass sich Kredite bis hin zum Dispo verteuern. Wer ein Haus finanziert, hat bereits gemerkt, dass das nicht mehr so billig zu machen ist wie vor einem Jahr. Dem Staat ergeht es nicht viel anders: Die 139 Milliarden Euro neue Schulden, die das Parlament gerade beschlossen hat, sind ab jetzt teurer zu finanzieren. Sparer können sich dagegen freuen, weil ihre Guthaben zumindest auf dem Papier dank Zinsen wieder wachsen. Was allerdings ein bis zwei Prozent Zinsen angesichts von acht Prozent Inflation real bedeuten, kann sich jeder denken, der die Grundrechenarten beherrscht.

An den Börsen lösen Zinserhöhungen meistens ein Umschichten aus, was als Schock dargestellt wird: Von volatilen Aktien in festverzinsliche Wertpapiere, die ja nun wieder etwas abwerfen. Aber auch hier gilt: Wer nicht taub und blind war, wusste, dass die Zäsur irgendwann fällig wurde. In die Aktienkurse ist der Zinsschritt deswegen bereits eingepreist. Und wer rechnen kann, stellt fest, dass der Zins noch längst nicht die langfristige Rendite von Aktien schlägt, die deswegen aus Anlegersicht das Mittel der Wahl bleiben.

Die Rezession wird wahrscheinlicher

Für die Politik wird es auch nicht einfacher. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben zwar die Bekämpfung der Inflation als wichtiges Ziel ausgerufen, aber sie stehen nun nach der Zinsankündigung der EZB vor der Situation, dass eine Rezession deutlich wahrscheinlicher wird. Wenn Kredite teurer werden, treten Unternehmen auf die Bremse. Sowieso schon überschuldete Staaten werden in der EU zu Wackelkandidaten, was die Stimmung weiter trübt.

Und die EZB könnte erneut nicht als Prophetin, sondern als Märchentante wahrgenommen werden, wenn die Inflation nicht wie von ihr vorausgesagt nächstes Jahr auf 3,5 Prozent sinkt. Hohe Energiepreise, überteuerte Dienstleistungen wegen mangelnder Arbeitskräfte, und explodierende Kosten für Material, das in China in Containern festhängt, treiben die Inflation, ohne dass das die EZB beeinflussen könnte.
Wer deswegen nach der heutigen EZB-Sitzung „endlich“ ruft, kann schon am Ende dieses Sommers zu denen gehören, für die alles nur noch schlimmer gekommen ist. Für Stoßseufzer der Erleichterung ist es jedenfalls noch zu früh.

Oliver Stock

09.06.2022 | 15:43

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