(Bild: Deutsche Börse)



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Börsenreform: Dax saugt MDax aus

Der Dax ist auf 40 Werte angewachsen. Dafür muss vor allem sein kleiner Bruder, der MDax, büßen.
 
Wäre der Dax ein Mensch, so wäre er das, was derzeit als „alter weißer Mann“ beschrieben wird: altindustriell, konservativ und reich an Dividenden. Große Überraschungen liebt er nicht. Wenn um ihn herum, die Stimmung einbricht, geht es ihm auch nicht gut. Und Technologie liebt er allenfalls in kleinen Mengen. Value statt Wachstum, Sicherheit statt Risiko, Tradition statt Innovation. Und wie beim „alten weißen Mann“ kann das durchaus eine richtige Strategie sein. Oder, wie Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank für Privat- und Firmenkunden gegenüber dem WirtschaftsKurier sagt: „Das müssen keine Makel sein.“ Denn: „Der Dax 40 wird aufgrund der qualitativen und quantitativen Anpassungen sicherlich mehr Aufmerksamkeit bei internationalen Investoren an sich ziehen.“ Zwar behalte der Industrie-Sektor die höchste Gewichtung, aber er legt auch an bisherigen Problemzonen etwas zu: Immobilien-, Technologie- und Finanz-Branche sind stärker gewichtet. Konsumwerte und Gesundheit spielen eine geringere Rolle. Einen Schub für den Dax auf dem internationalen Finanzmarkt erwarten nicht alle Experten. „US-Aktienindizes sind viel attraktiver als ihre europäischen Pendants, weil sie einen sehr hohen Anteil in zukunftsträchtigen Branchen wie Technologie und Kommunikation haben“, moniert Manfred Schlumberger, Portfoliomanager bei StarCapital.
 
Blickt man durch die Brille des Mittelstandes, ist die Lesart allerdings kein Einerseits-Andererseits, sondern klar ein: Wir sind der Verlierer der Reform. Denn der kleine Bruder des wichtigsten deutschen Leitindex schrumpft und wird damit unwichtiger. Insgesamt büßt er 300 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung ein – ein sattes Minus von etwa 30 Prozent. Das schmerzt. „Der MDax dürfte an Liquidität und Aufmerksamkeit einbüßen“, erklärt Stephan. Das bedeute aber nicht, dass er zukünftig schlecht performe.

Bislang ist der Wertezuwachs des MDax doppelt so hoch wie der des Dax. Ob diese Entwicklung so weiter geht, wird kontrovers diskutiert. „Ich bin zuversichtlich, dass der MDax weiter ein gutes Investment bleibt“, sagt die Chefin des Deutschen Aktieninstituts (DAI) Christine Bortenlänger. „Die Vielfalt der repräsentierten Branchen und die Innovationskraft der dort vertreten Mid Caps sprechen für sich“, so die DAI-Chefin weiter. Gleichzeit zeige sich im Zuge der Verkleinerung des MDax eine allgemeine Schwäche des deutschen Kapitalmarktes: „Im Fußball würde man sagen, die mangelnde Nachwuchsarbeit. Die Zahl der börsennotierten Unternehmen in Deutschland ist generell zu gering, um eine starke erste Börsenliga und dazu ebenso starke weitere Spielklassen zu stellen.“ Grund seien die Rahmenbedingungen, die schlicht zu unattraktiv seien. So gebe es beispielsweise zu wenige finanzstarke Kapitalgeber in Deutschland. Reformbedarf bestehe auch im Aktienrecht, das nicht auf die Bedürfnisse von Wachstumsunternehmen zugeschnitten sei. Viele deutsche Unternehmen flüchten deshalb beispielsweise in die Niederlande, weil sie dort größere Freiräume beim Bezugsrechtsausschuss und bei der Höhe des genehmigten Kapitals genießen.

Dabei zieht es 2021 immer mehr deutsche Unternehmen aufs Börsenparkett. Dieses Jahr waren es so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Allein im ersten Halbjahr sammelten 15 Unternehmen frisches Geld an der Frankfurter Börse ein. Und so soll es offenbar auch weitergehen. „Die Pipeline sieht sehr gut aus“, befindet Joachim von der Goltz, IPO-Experte der Credit Suisse. Den größten deutschen Börsengang 2021 hat bisher Vodafones Funkturmsparte Vantage Towers AG hingelegt. Insgesamt erzielte das Unternehmen beim Debüt 2,2 Milliarden Euro und übertraf damit den Börsengang von Auto1 (1,8 Milliarden Euro). Jahresdritter ist bisher der Nürnberger Softwareentwickler Suse (1,1 Milliarden Euro).
 
Dass die deutsche Börse eine Reform des Dax angestoßen hatte, hängt mit dem Skandal um Wirecard zusammen: Vor wenigen Monaten hat der mittlerweile insolvente Zahlungsabwickler Wirecard das Vertrauen in den deutschen Leitindex Dax brutal zerstört. Und als dann Wirecard wieder verschwand, zog stattdessen der Essenbestelldienst Delivery Hero in den deutschen Börsenolymp ein. Der Neuling sitzt in Berlin, macht jedoch keine Umsätze hierzulande und wirft auch keine Gewinne ab. Ein Betrugsunternehmen wurde durch eine Luftnummer abgelöst, lautet die Kritik. . Also musste der Chef der Deutschen Börse Theodor Weimer die Ärmel hochkrempeln und die wohl umfangreichste Dax-Reform seit der Gründung 1988 organisieren.
 
Einige Marktteilnehmer hatten vorgeschlagen, auch das Thema Nachhaltigkeit bei der Reform zu berücksichtigen. Doch diese Idee fand keine Mehrheit. Immerhin basiert die deutsche Wirtschaft fast flächendeckend auf fossilen Brennstoffen. Würde man auf Nachhaltigkeit setzen, schafften es nur wenige Unternehmen in den Dax – das konnten sich die Befragten nicht vorstellen. Anlagestratege Stephan hat ein weiteres Argument parat: „Vor einiger Zeit wurde ein Dax 50 ESG eingeführt. Hier wollte man wahrscheinlich Doppelungen vermeiden und klar Alternativen schaffen.“
 
Strengere Regeln, wenn auch nicht zugunsten der Umwelt, gelten trotzdem. So müssen alle Dax-Kandidaten vor Aufnahme in den Index ein positives Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) in den letzten zwei Finanzberichten vorgelegt haben. Kurzum: Unternehmen müssen Gewinn machen. Zudem müssen sie testierte Quartalszahlen vorlegen und einen funktionierenden Prüfungsausschuss besitzen. Wirecard soll sich nicht wiederholen. Und Delivery Hero bleibt zwar noch im Dax, aber einen vergleichbaren Fall soll es so schnell nicht wieder geben. „Viele Investoren gehen davon aus, dass sie mit einem Dax-Investment in Unternehmen anlegen, die am Markt etabliert sind und Gewinn erwirtschaften. Daher ist dieses Aufnahmekriterium sinnvoll“, lobt Bortenlänger die Notwendig, Gewinne zu erzielen. Sie relativiert gleichzeitig: „Sollte sich irgendwann einmal eine große Zahl von Wachstumsschwergewichten im MDax tummeln, die noch keine Gewinne erwirtschaften und deswegen nicht in den Dax aufgenommen werden können, muss über diese Regel noch einmal nachgedacht werden.“ Davon sei man aber noch „meilenweit“ entfernt.

Florian Spichalsky

04.10.2021 | 13:51

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