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Varta geht der Saft aus und Kleinanleger leiden

Der Batteriehersteller Varta hat einen rabenschwarzen September hinter sich – und womöglich das Schlimmste noch vor sich. Die Aktie halbierte sich binnen Tagen. Im Vorstand geht es rund, und er wichtigste Aktionär verkauft, was das Zeug hält.
 
Auch Unternehmen, die in absoluten Zukunftstechnologien unterwegs sind, können wie ein Komet steigen und fallen und müssen aufpassen, dass sie nicht verglühen. Varta ist so ein Fall: Einst eine gefeierte Marke, dann abgestürzt, wieder steil aufgestiegen - als Newcomer mit Vergangenheit in der trubeligen Szene der Batteriehersteller. Und jetzt das: Varta hat seine Prognose kassiert und traut sich nicht, eine neue aufzustellen. Der Chef fliegt mehr oder weniger raus, der wichtigste Investor verramscht seine Varta-Aktien als sei er auf dem Bazar hinterm Bahnhof unterwegs, und Leerverkäufer wetten aufs neuerliche Verglühen der einst so stolzen Marke.
 
Es ging los mit einem allzu positiven Ausblick auf den Verlauf des Jahres, der den Keim des Scheiterns schon in sich trug. Und prompt auch, zuletzt im Juli 2022, relativiert wurde. Denn die hohen Erwartungen fußten hauptsächlich auf einem sicherlich künftig bedeutenden Feld: Mit der „V4Drive“-Batterie wolltel Varta das Geschäft bei der E-Mobilität aufrollen, was aber zunächst einmal heftige Investitionen erfordert. Das positiv-bunte Zukunftsgemälde von 2021 betörte seither vor allem Kleinaktionäre. Varta avancierte in den Onlineforen und den Sozialen Medien schon im vergangenen Jahr zum wohl bekanntesten Geheimtipp des Jahres. Ohne zwar das Hoch von 181 Euro aus 2021 nochmals zu erreichen, hielt sich das Papier doch recht gut - bis vor wenigen Wochen.

Die Geschichte war auch einfach zu gut. Sie stand, wie es die Jury der „Mittelstandspreises der Medien“ formulierte, den Varta noch vor zwei Jahren einheimste „für Pioniergeist, Fleiß und Knowhow in einer zukunftsträchtigen Branche“. Die Jury reagierte auf das, was zuvor monatelang ein Gerücht gewesen war: Angeblich verbaute der Technologiekonzern Apple in seinen Kopfhörern deutsche Batterien. In Asien lachte man darüber – die Deutschen habe man im Batteriegeschäft doch völlig erledigt. Dann schauten sie selber nach und entdeckten in den Ohrstöpseln Kleinstbatterien aus dem schwäbischen Ellwangen, wo Varta seine Fertigung hat.  Varta legte einen der erfolgreichsten Börsengänge der letzten Dekade aufs Parkett, die Aktie schnellte nach oben.

Ausgerechnet Varta. Denn das Unternehmen hatte als AFA Accumulatoren-Fabrik AG eine düstere Nazivergangenheit und schrammte noch vor wenigen Jahren gleich mehrfach am Ruin vorbei. Zerschlagen, verkauft, von der Deutschen Bank mit spitzen Fingern weitergereicht, ein klassischer Sanierungsfall der alten Industrie. Gegen die Konkurrenz aus Asien wirkten die Deutschen chancenlos. Varta kannte hierzulande zwar jedes Kind von seinen Spielzeugbatterien, jeder Autofahrer aus seinem Motorraum. Varta-Batterien waren bei den ersten Nordpolexpeditionen dabei, haben die ersten U-Boote der Welt angetrieben und waren auf dem Mond. Doch in den Neunzigern brach das Autobatteriegeschäft ein, Deutschlands Produktion war zu teuer geworden für den nächsten Innovationszyklus. Varta-Batterien schienen out wie deutsche Telefonzellen. Der schillernde Immobilien-Spekulant Michael Tojner aus Österreich kaufte 2007 die Mehrheit der Unternehmenstrümmer für nurmehr 30 Millionen Euro auf. Die Investition machte ihn zum Milliardär, der es damit sogar aufs Cover des Wirtschaftsmagazin Forbes brachte.

Denn in Ellwangen besann sich der Überlebensrest des einstigen Batterie-Imperiums auf beste schwäbische Tüftlertugenden und suchte fleißig einen neuen technologischen Vorsprung. Bei wiederaufladbaren Mikrobatterien wurden sie fündig. Neuartige Kleinstbatterien mit ungewöhnlich hoher Energiedichte brachten den Durchbruch. Dazu haben die Schwaben gleich eine hochautomatisierte Produktionsstraße gebaut – Lohnkosten spielen kaum mehr eine Rolle und so wird alles wieder in Deutschland gefertigt. Nagelneue Roboter wickelten bis zu drei Meter Batteriefolien in winzige Gehäuse, bevor medizinische Injektionsnadeln Batterieflüssigkeit hinzufügen. Das global boomende Mikrobatteriegeschäft machte Varta plötzlich zum neuen Weltmarktführer. Denn nicht nur Apple verbaut die Wunderbatterien aus Schwaben, alle großen Kopfhörer-Hersteller aus Asien bestellen jetzt die deutschen Zellen, Hörgeräteproduzenten auch. Die Fertigung musste ausgebaut werden. „Wir haben uns als Technologie- und Innovationsführer einzigartige Wettbewerbsvorteile erarbeitet und wachsen daher deutlich schneller als der Markt”, frohlockte Varta-CEO Herbert Schein damals.

Inzwischen ist Schein Geschichte und die Asiaten lachen wieder. Als der Vorstand am 23. September die insgesamt positiven Erwartungen für den Rest des Jahres schlicht komplett einkassierte, die prognostizierten Ergebnisse als nicht mehr erreichbar bezeichnete und noch nicht einmal eine neue Prognose aufstellen wollte, wusste die Börse, was die Stunde geschlagen hatte. Binnen weniger Tage halbierte sich der Wert des Papiers auf noch 28 Euro. Sechs Tage nach der Desastermeldung dann verkündete Varta den sofortigen Rücktritt des Vorstandschefs: Herbert Schein, Typ „deutscher Ingenieur“ und als solcher eine Art Gegenentwurf zu Menschen vom Schlage eines Elon Musk,  hatte immerhin 15 Jahre amtiert. Ganz ausscheiden wird er nicht – Varta will ihn als Verantwortlichen für die E-Mobilität an Bord behalten.

Der in seiner Tristesse offenbar nicht einmal mehr bezifferbare Ausblick auf den Herbst und Winter ist auch der Verschiebung von Großaufträgen geschuldet. Außerdem könne man die stark steigenden Energiepreise nicht so ohne weiteres an die Kunden weitergeben, heißt es vom Unternehmen. Zahlreiche Beobachter sehen damit indirekt ihre Befürchtungen bestätigt, dass vor allem im lukrativen Segment der Kleinstbatterien für die sogenannten „Wearables“, Fitnesstracker zum Beispiel, die Konkurrenz zunimmt. Sollte beispielsweise Varta die Aufträge des Herstellers Apple verlieren, wäre mit zusätzlichem Imageverlust zu rechnen. Die Gemengelage führt erkennbar auch zu zahlreichen Leerverkäufen der Varta-Aktie. Große Investment- und Hedgefonds haben sich Aktien geliehen und diese zum Verkauf gestellt. Sollte der Kurs weiter fallen, würden diese Shortseller die Papiere günstiger zurückkaufen und einen beträchtlichen Gewinn einfahren. Starke Leerverkäufe in der Börsenstatistik jedenfalls sind nicht dazu angetan, das Vertrauen in eine Aktie zu steigern.
 
Ebenfalls kein Vertrauensbeweis sind Millionenverkäufe durch eigene Führungskräfte. Der Varta-Aufsichtsrat Tojner, zu Hause in Wien in Prozesse wegen auffälliger Immobiliengeschäfte verwickelt, braucht entweder Geld oder glaubt nicht mehr an die goldene Zukunft des Unternehmens: Er trennte sich jedenfalls Ende September von Aktien im Wert von gut 57 Millionen Euro. Derartige Geschäfte sind meldepflichtig – die Gründe dafür natürlich nicht. Es darf also eifrig gerätselt werden, warum ein Aufsichtsratsmitglied sich zu einem recht niedrigen Kurs (36,21 Euro) von derart vielen Papieren trennt. Die Varta-Mitarbeiter und Aktionäre dürften seither weniger gut auf den betuchten Aufsichtsrat zu sprechen sein, der ausgerechnet in einer derart schwierigen Situation solch ein Signal aussendet.
 
Die Hoffnung bleibt, dass das zukunftsträchtige Speichergeschäft Varta wieder Oberwasser bescheren wird. Aus unregelmäßig liefernden Stromquellen stammende Energie speichern zu können, das ist mit Sicherheit ein Gebiet mit wachsender Nachfrage. Der wirtschaftliche Erfolg hängt nun davon ab, ob solche Lösungen zu akzeptablen Preisen verfügbar werden. Ein neue Zukunftsspekulation wartet wohl direkt hinter dem Horizont.
 
Reinhard Schlieker

04.10.2022 | 16:13

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