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Wall Street: Snap-Boom mit Risiko

Snap-Boom an der Wall Street! Am Tag des Börsenstarts hatten die Betreiber der Foto-App Snapchat mit einem Zugewinn von 44 Prozent ein Börsenfeuerwerk ausgelöst. Tags drauf legten die Aktie abermals um über 14 Prozent zu. Doch nun sind die ersten Blütenträume geplatzt, und Analysten senken ihre Erwartungen für das Papier teilweise deutlich unter den Ausgabekurs. Träume und Erwartungen – oder doch die große Gier: was treibt die Anleger?

Das Debüt auf dem Handelsparkett wirkte wahrlich grandios. Die Anleger jubelten über den größten Tech-Börsengang seit Alibaba. Trotz hoher Geschäftsverluste startet Snap furios. Der erste Handelstag brachte rund 44 Prozent Gewinn, denn die Snapchat-Aktie sprang von ihrem Ausgabekurs schlagartig auf 24,48 US-Dollar; in Euro waren es mit 24,77 sogar noch etwas mehr. Und am zweiten Tag kamen gleich nochmals 14 Prozent dazu, das Papier notierte am Freitag bei rund 28 US-Dollar. Doch dann kam zur Wochenmitte der große Einbruch. Das Papier sank wie ein Stein in Richtung seines Ausgabepreises, Schweißperlen bildeten sich auf Händlerstirnen. Doch die Snap-Aktie fing sich und pendelt nun um die 20 Euro.

Sollte der Eindruck im Nachhinein nicht noch korrigiert werden, würde das wahrscheinlich bedeuten, dass mit der Aktie im großen Stil gezockt worden ist, dass sie aber einen fairen Preis nunmehr gefunden hat – und der liegt immerhin um gut 15 Prozent über dem Ausgabepreis. Dabei stellt sich aber die Frage, ob die Daten und Zahlen von Snap diesen Preis rechtfertigen. Dazu lohnt ein Blick auf die ganze Geschichte.

Rückblick auf ein Debut

17 US-Dollar. Zu diesem Preis bot der Messaging-Dienst Snapchat seinen Investoren 200 Millionen Aktien an. Alleine das war schon eine Überraschung. Prognostiziert war eine Preisspanne zwischen 14 und 16 Dollar. Doch damit nicht genug: Die Aktie war mehrfach überzeichnet und startete mit 24 Dollar als Anfangskurs an der New Yorker Börse regelrecht durch. Im Handel schoss das Papier von Snap dann sogar noch weiter durch die Decke und verteuerte sich um sagenhafte 41 Prozent. Die Nachfrage hatte die angebotenen Aktien um mehr als den Faktor zehn überstiegen. Wer hätte das gedacht?

Die große Beliebtheit und hohe Bewertung von Snap ist bemerkenswert. Das 2012 gestartete Unternehmen macht aktuell nicht nur keinen Gewinn, sondern hat auch überhaupt noch nie einen gemacht. Im Gegenteil: Einem Jahresumsatz von 404,5 Millionen Dollar steht ein deutlicher Verlust von 514,6 Millionen Dollar für 2016 gegenüber. Im Jahr zuvor betrug der Fehlbetrag knapp 373 Millionen Dollar. Beim Nutzerwachstum auf der anderen Seite geht es da leider deutlich schleppender voran. Im Schlussquartal 2016 wuchs Snapchat gegenüber dem dritten Quartal lediglich um fünf Millionen Nutzer. Und das soll den heutigen Preis der Snap-Aktie wirklich abbilden? Die Zweifel wachsen; ein Blick auf die Stimmung einiger Analysten lohnt.

158 Millionen dürfen nur der Anfang sein

Damit sind derzeit täglich 158 Millionen Menschen beim Messaging-Dienst aktiv. Eine Zahl, über die Konkurrent Facebook mit seinen 1,86 Milliarden aktiven Usern nur müde lächeln kann. Und auch Twitter spielt mit 300 Millionen Menschen, die dort jeden Tag zwitschernd unterwegs sind, in einer ganz anderen Liga. Dennoch glauben die Aktionäre – die im Übrigen auf Stimmrechte verzichten müssen, da die Gründer Evan Spiegel (26) und Bobby Murphy (28) weiterhin Herr im eigenen Haus sein möchten – angesichts des fulminante Börsenstart offenbar felsenfest an Snap. Für sie sind die heute 158 Millionen Snapchatter nur ein Anfang.

Snapchat unterscheidet sich von anderen sozialen Netzwerken dadurch, dass Fotos nach einer bestimmten Zeit automatisch gelöscht werden. Insbesondere junge Nutzer wissen diese Funktion zu schätzen. Inzwischen wird Snapchat auch stärker für Kommunikationszwecke und als Plattform für Medieninhalte genutzt. Denn die Geschäftsidee könnte, kritisch betrachtet, auch als die Realisierung einer Vision von einer radikal auf das Jetzt bezogenen Weltsicht sein, der totalen Beliebigkeit durch sofortige Auswechslung von Inhalten. Oder auch der totalen Abhängigkeit, denn wer ein Bild sehen möchte, ist an die Vorgabe gebunden, Snapchat schneller wieder aufzuufen, als das aktuelle Bild zerstört wird. Der Reflex, zum mobilen, smarten Telefon zu greifen, wird gnadenlos antrainiert.

Die Foto-App mit den sich selbst auflösenden Bildchen war den Anlegern quasi aus dem Stand 28,3 Milliarden US-Dollar wert.  Viele Unternehmen, in den über Generationen hinweg ausgezeichnete und wertvolle Arbeit geleistet wurde, sind an der Börse nur einen Bruchteil davon wert. Das zeigt die Grenzen, die die Spekulation hat. Zwei davon heißen „Moral“ und „Vernunft“, und bald käme dann auch „Anstand“ in Sicht. Doch den Börsianern, die auf enorme Gewinne oder technologische Fortschritte spekulieren, stört es dabei nicht, dass Snap im vergangenen Jahr nur 404 Millionen US-Dollar Umsatz machte. Durch Umsätze ist die hohe Bewertung jedenfalls noch nicht gerechtfertigt.

Viele Experten bezweifeln, dass dieser große Schritt klappen kann. Die Konkurrenz ist groß: Snap misst sich mit Facebook oder Instagram. Beide integrieren attraktive Ideen von Snapchat einfach selbst in ihre Apps, wodurch es für Snapchat schwierig wird, auf dem hartumkäpften Social Media-Markt Fuß zu fassen. Analyst James Cordwell von Atlantic Equities zum Beispiel warnt dann auch eindringlich: Snap habe noch nicht bewiesen, dass mit den selbstauflösenden Bilder echtes Geld zu verdienen sei. Sein Kursziel: 14 US-Dollar.

Sehr kritisch ist auch das japanische Analysehaus Nomura. Der Zeitpunkt für den Börsengang sei „unglücklich“, so die Experten. Snap habe mit dem Gang an die Börse die Flucht nach vorn angetreten, weil Kundenwachstum und Monetarisierung bereits deutlich nachließen, so Nomura. Ist der Snap-Boom also bald schon Geshcichte? Im vierten Quartal 2016 hatte Snap 148 Millionen User täglich. Das sind zwar fast 50 Prozent mehr als im Schlussquartal 2015, aber gleichzeitgig auch die niedrigste Wachstumsrate seit drei Jahren. Kursziel für Nomura daher: 16 US-Dollar. Kritiker bemerken zudem, dass die vergleichsweise sehr junge Zielgruppe für Werbekunden nicht genügend interessant ist.

Die Frage ist: Möchten die Anleger, die jetzt auf Snapchat fliegen, den Reflex zur schnellen Befriedigung der Neugier und damit die Abhängigkeit vom Mobiltelefon befördern? Oder halten sie die Generation Snapchat für so abhängig, dass sie den sich selbst wieder zerstörenden Bildern einen beispiellosen Siegeszug zutrauen? In beiden Fällen ist es wohl tatsächlich die Emotion der Gier, mit der hier gespielt wird. Gewinner des Börsenganges gibt es indes: die Anleger, die Snapchat-Aktien besitzen. Vorläufig jedenfalls. sig / mit Material von WIM

08.03.2017 | 20:38

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