Wirecard: Verpassen Anleger aus Angst ein Schnäppchen?
Die Wirecard-Aktie kommt nicht zur Ruhe. Nun verzögert sich der Konzernabschluss ein weiteres Mal. Unter Investoren gedeiht die Skepsis, manch Analyst wird immer vorsichtiger. Und doch bleibt die Frage: Könnte nicht gerade jetzt der richtige Zeitpunkt sein, um einzusteigen?
Es ist ja nun wahrlich nicht so, als könnte Deutschland mit einer Vielzahl von aussichtsreichen Tech-Unternehmen glänzen. Schon gar nicht an der Börse. Und ganz besonders nicht im Dax. Da gibt es ja überhaupt nur zwei Kandidaten, die in Frage kämen. SAP und Wirecard. Und da die Walldorfer mehr den Fels in der Brandung geben – wenig krisenanfällig, aber für den Moment auch keine wirklich fulminante Wachstumsstory im Köcher – bleibt als großer Hoffnungsträger nur der Bezahldienstleister aus Aschheim. Schließlich boomt die Branche, die Aussichten sind glänzend. Aktien von Konkurrenten wie Adyen aus den Niederlanden oder Paypal haben in der Coronakrise neue Höhen erklommen.
Nicht so das Wirecard-Papier. Im Gegenteil: Auf Jahressicht hat sich inzwischen ein Minus von fast 45 Prozent summiert und mit einem Kurs von rund 86 Euro steht der Kurs niedriger als zum Corona-Crash-Tief Mitte März. Ausgehend von September 2018, als die Aktie den Sprung in den Dax schaffte, hat sich ihr Kurs sogar mehr als halbiert. Die Gründe für diesen bitteren Absturz sind weithin bekannt und wenn die Sache nicht so ernst wäre, müsste man fast schmunzeln. Da liegt endlich mal ein heißes deutsches Tech-Eisen im Feuer und dann ist es ausgerechnet diese Firma, der wiederholt Vorwürfe der Bilanzmanipulation entgegenschlagen – freilich eine Art Todesstoß für eine Rally an der Börse.
Befreiungsschlag lässt auf sich warten
Anstatt sich jedoch um Aufklärung zu bemühen, folgte eine Sonderprüfung von KPMG, die die Vorwürfe nicht entkräften konnte – offenbar mangels Kooperationsbereitschaft. Seither ist die Wirecard-Aktie getrieben von Spekulationen, zeigt sich volatil wie kaum ein Dax-Wert je zuvor, wurde wiederholt zum Spielball von Hedgefonds, die auf fallende Kurse wetten.
Daran hat sich bis dato auch wenig geändert. Zwar reagierte Wirecard auf die an CEO Markus Braun gerichteten Rücktrittsforderungen von der Aktionärsvereinigung DSW und Großaktionär Deka, indem der Konzern Braun zumindest formal etwas an Einfluss im Vorstand nimmt. Hinzu kamen einige weitere Personalentscheidungen, wie beispielsweise die erfahrene Deutsche Börse-Vorständin Hauke Stars in den Aufsichtsrat zu berufen oder Braun den Deutsche Börse-Manager James Freis an die Seite zu stellen. Aber das entkräftet weder die Vorwürfe hinsichtlich einer fehlerhaften Bilanzierung, noch hat es Anleger groß beruhigt. Schließlich folgt bei Wirecard weiter eine Unsauberkeit auf die nächste. Nun wurde zum wiederholten Male der Konzernabschluss und damit einhergehend auch die Hauptversammlung verschoben. So soll die Vorlage der Konzernbilanz nun am 4. Juni stattfinden, statt wie ursprünglich geplant Ende April. Grund dafür sind noch nicht vollständig abgeschlossene Prüfungshandlungen, wie die Ernst & Young-Berater mitteilten.
Anleger trauen Wirecard nicht über den Weg – Übersehen sie ein Schnäppchen?
Die Nachricht schickte den Kurs der Aktie zwischenzeitlich mit mehr als sechs Prozent ins Minus. Anschließend berappelte er sich immerhin recht schnell, blieb zur Wochenmitte aber im roten Bereich. Anleger trauen Wirecard aktuell nicht über den Weg und bleiben entsprechend skeptisch, was den Kauf der Aktie anbelangt. Sicher zurecht, angesichts der jüngsten Kapriolen. Und doch könnte die vorherrschende Unsicherheit auch dazu führen, ein großes Schnäppchen zu übersehen.
Wirecard rechnet trotz Verschiebung des Jahresabschlusses mit keinen wesentlichen Abweichungen gegenüber den vorläufigen Zahlen zum vergangenen Geschäftsjahr, die da einen Umsatz von 2,8 Milliarden Euro und ein Ebitda von 785 Millionen Euro auflisteten. Hinzu kommt ein gutes erstes Quartal mit einem Ebitda-Anstieg um 26 Prozent auf 199 Millionen Euro sowie einem Umsatzplus von 24 Prozent auf 700 Millionen Euro. Da die Krise einige Sparten, wie das Reisegeschäft, stark belastet, ein ordentliches Ergebnis. Dazu ließen die Aschheimer die Prognose für 2020 unangetastet. Für das laufende Jahr erwartet Wirecard so weiter einen operativen Gewinn in Höhe von bis zu 1,1 Milliarden Euro.
Aktie könnte einiges aufzuholen haben
Fakt ist also: Wirecard wächst in der Krise weiter und steigert obendrein seinen Gewinn. Davon findet sich im Aktienkurs rein gar nichts wieder. Und das, wo sich die Märkte gerade insgesamt rasend schnell erholen, obwohl bei vielen Unternehmen genau das Gegenteil der Fall ist und Umsätze wie Gewinne sinken. Hinzu kommt der Tech-Hype, der gerade komplett an Wirecard vorüberzieht. Und natürlich eine Wachstumsstory, die über das laufende Jahr hinaus, intakt ist. Die Deutschen sind zudem gut am Markt positioniert, sind technologisch vorn dabei, haben viele aussichtsreiche Kooperationen geschlossen. Folglich erscheint das Aufhol- wie Aufwärtspotenzial bei einer endgültigen Entkräftung der Vorwürfe riesig. Das sieht auch Baader Bank-Analyst Knut Woller so, auch wenn viele seiner Kollegen deutlich vorsichtiger sind. Er halte das Wirecard-Papier nach wie vor für erheblich unterbewertet, schrieb er in einer Studie und beließ sein Kursziel bei 240 Euro. Das ist bald dreimal so hoch, wie der aktuelle Kurs.
Es hängt also alles an den Vorwürfen der Bilanzmanipulation. So viel ist schon lange klar. Doch nach dem KPMG-Bericht und dem darauffolgenden Kurssturz ist in der Bewertung wieder weit mehr Skepsis bereits enthalten, als noch zu Beginn des Jahres – da hatte sich die Aktie schon mal bis auf 140 Euro erholt. Das Fazit lautet also: Das Risiko bleibt, die Bewertung aber lockt.
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28.05.2020 | 12:28