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Bosch entwickelt magische Hand

Intelligente Handschuhe könnten wie derzeit die Roboter die Industrie auf den Kopf stellen. Autozulieferer Bosch hat ein solches Gerät in China entwickelt. Aber kann der Konzern schneller sein als die Konkurrenten?

Der schwarze Handschuh sieht aus wie die Modelle für den alpinen Skisport aus den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die damals hippen Handschuhe hatten einen etwas unförmigen Ventildeckel; bei Bedarf konnte man heiße Atemluft hineinblasen, um die von der Kälte erstarrten Finger wieder zum Leben zu erwecken. In das heutige Modell wird keine Luft gepumpt. Es ist vollgestopft mit Sensoren und Elektronik, kommt aus China und hat eine völlig andere Funktion.

„Die eingebauten Sensoren erkennen die Bewegungen der Handfläche und Finger“, sagt Aria Jiang, Produktentwicklerin von Automotive Electronics bei Bosch in China. Der smarte Handschuh „iGlove“ ist ihr Baby. Und wenn alles klappt, dann könnte dieser die Arbeit am Band revolutionieren.

Danach sah es am Anfang gar nicht aus. Ursprünglich sollte die Erfindung taubstummen Menschen bei der Kommunikation helfen und von Gebärdensprache in gesprochene Sprache übersetzen. „Das hat sich als zu aufwändig erwiesen. Auch waren die Marktchancen nicht groß genug“, sagt die Entwicklerin. Sie war nur kurz enttäuscht und hat dann schnell viel erfolgversprechendere Einsatzmöglichkeiten in der vernetzten Fertigung gefunden. Der intelligente Handschuh kann Einlernphasen von Beschäftigen deutlich verringern, dem Mitarbeiter zu den korrekten Montageschritten anleiten oder Produktionsschritte wie die Entnahme von Bauteilen dokumentieren.

„Die Daten werden dann via Blutooth berührungslos an einen Rechner oder an ein Smartphone übertragen und dort mit vorab gespeicherten Bewegungsabläufen verglichen“, sagt Aria Jiang. Ihr Chef Xiaojian Yang ist sogar noch ein Stück optimistischer: „Wir arbeiten in Suzhou intensiv am Ausbau der vernetzten Fertigung. Und dabei kann der iGlove eine wichtige Rolle spielen.“

Die nötige Präzision der Sensoren ist trotz großer Mühen erreicht. „Die Pilotphase in Wuxi ist abgeschlossen. Wir sind praktisch serienreif. Momentan prüfen wir die Möglichkeiten der konkreten Einführung“, betont Yang. Erstkunde sind wie bei der Industrietechnik üblich erst einmal die eigenen Bosch-Werke, bevor der Konzern an den Markt tritt. Diese Vorgehensweise hat Bosch auch beim Apas, einem Roboter, der mit seiner Sensorik Hand in Hand mit Menschen zusammenarbeiten kann. Künftig könnten diese sensiblen Roboter auf menschliche Kollegen mit intelligenten Handschuhen treffen.

Die Konkurrenz schläft nicht

Aber ob Bosch schnell genug war, ist noch offen. Denn an der Idee intelligenter Handschuhe arbeiten viele. Wettbewerber sind vor allem die Start-ups. Das weiß auch Bosch. Dazu zählt beispielsweise das Gründerunternehmen ProGlove. Das Start-up hat einen Arbeitshandschuh mit Sensoren ausgestattet. Die Mitarbeiter einer Produktion können jetzt mit einem einzigen Daumendruck Teile einscannen. So erfahren sie zum Beispiel, ob sie die richtige Schraube aus dem Regal genommen und an der passenden Stelle verschraubt haben. Bisher greifen sie dafür nach einem Handscanner, was pro Vorgang bloß ein paar Sekunden in Anspruch nimmt. Aber auf Tage, Wochen und Monaten hochgerechnet viel Geld spart.

Aber auch andere Industriegiganten versuchen sich an Roboterhandschuhen: Der US-Autokonzern General Motors aus Detroit will in der Fertigung Roboterhandschuhe einführen. Allerdings sollen diese die Arbeiter bei schweren Arbeiten unterstützen. Erste Tests laufen. Der Greifassistent ähnelt einem normalen Arbeitshandschuh. Als sogenanntes Exoskelett umschließt er Hand, Gelenk und Teile des Unterarms und besitzt Hunderte Sensoren und Antriebselemente. Sie unterstützen ihn, indem sie die Arbeit der Muskeln und Sehnen seiner Hand ergänzen. Der Handschuh der an Arnold Schwarzeneggers Filmhelden Terminator erinnert könnte aber auch Schlaganfallpatienten mit Greifschwächen helfen.

Es geht um Industrie 4.0

Laut einer Studie von Roland Berger müssen allein die europäischen Unternehmen innerhalb der nächsten 15 Jahre jährlich 90 Milliarden Euro investieren, wenn sie eine Vorreiterrolle im Industrie-4.0-Zeitalter spielen wollen. Die intelligenten Handschuhe passen in dieses Konzept. Auf der einen Seite werden Roboter immer mobiler und können direkt neben Menschen arbeiten. ProGlove kommt von der anderen Seite und rüstet die menschliche Hand mit technischen Eigenschaften aus. In vielerlei Hinsicht sei auch heute noch ein Roboterarm schlechter einsetzbar als ein menschlicher Arm, sagen die Berger-Experten.

Auf jeden Fall ist das Start-up im Gegensatz zu Bosch schon am Markt. Bosch könnte aber aufholen und der Erfahrung profitieren wenn es in die Massenherstellung geht. Zudem stellen die Schwaben ihre Sensoren selbst her. Und Bosch hat den Handschuh in acht eigenen Werken bereits im Pilot-Einsatz.

Aber es winkt ein noch größerer Markt jenseits der Industrieanwendung. So genannte „Wearables", also als Kleidungsstück tragbare Elektronik, die längst nicht mehr nur Fitnessarmbänder umfasst. Intelligente Jacken kühlen bei Hitze, Schuhe weisen per Vibration den Weg zum Zielort. Noch ist smarte Mode in Deutschland ein Nischenmarkt. Zwar gibt es in der Bevölkerung Vorbehalte, weil die Technik auf der Haut auch die Gefahr von Überwachung birgt, gerade bei medizinischen Fällen, wie Epileptikern, Dementen oder manisch depressiven Patienten, könnten hilfreiche Anwendungsfälle der Technologie die Bahn brechen.

Die chinesischen Boschler sind jedenfalls sehr stolz, dass sie etwas entwickelt haben, das dem gesamten Konzern helfen kann. „Lokalisierung ist keine Einbahnstraße. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir mit dem Handschuh etwas entwickeln, das nicht nur für den chinesischen Markt Bedeutung haben kann, sondern weltweit“, sagt Chefentwickler Yang.

Bislang haben sie vor allem für den chinesischen Markt entwickelt, meist Ableitungen bestehender Boschprodukte wie einen Airbag Light und ein Antiblockiersystem für Kleinbusse. In China wuchs Bosch zuletzt um 19 Prozent und erzielt Bosch inzwischen über elf Milliarden Euro Umsatz in China, über ein Siebtel des Konzernumsatzes von über 70 Milliarden Euro. Über 700 Millionen Euro investieren die Schwaben jährlich in China. „Industrie 4.0 ist dabei ein Schwerpunkt der Investitionen“, wie Bosch-Geschäftsführer Peter Tyroller betont. Rund 5.000 Forscher und Entwickler zählt Bosch bereits in China, 30 Prozent davon entwickeln Software. Der Handschuh war nur eines von vielen Projekten. Handelsblatt / Martin-W. Buchenau

23.08.2016 | 11:02

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