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Banken als Brückenbauer

Die Niedrigzinsen stellen nicht nur die Banken, sondern auch die Unternehmen vor große Herausforderungen. Sie zögern mit Investitionen, außer in einem Bereich: bei der Digitalisierung. Dabei kommt den Instituten eine besondere Rolle zu. Interview mit Markus Beumer, Vorstand der Commerzbank und zuständig für das Mittelstandsgeschäft.

WirtschaftsKurier: Die EZB wirbelt die Finanzmärkte erheblich durcheinander. Liquidität gibt es in nie gekannter Höhe und historisch niedrige Zinsen. Sogar Negativzinsen greifen um sich. Das sorgt für große Unruhe, auch unter den mittelständischen  Firmenkunden. Was haben sie diese bei der Commerzbank zu erwarten?
Markus Beumer: Die Banken sind in der Bundesrepublik erstmals mit negativen Zinsen konfrontiert: Wenn wir bei der Notenbank überschüssiges Geld anlegen wollen, zahlen wir dafür heute Zinsen. Gleichzeitig verfügen unsere mittelständischen Firmenkunden über hohe  Liquidität, die sie bei uns anlegen; die wir aber aufgrund eines schwächeren gewerblichen Kreditgeschäfts immer seltener zu auskömmlichen Margen im Kreditbereich anlegen können. Geben wir es der Zentralbank, dann zahlen wir sogar dafür. Das belastet unser Zinsergebnis erheblich. Und da wir mit einer länger anhaltenden Niedrigzinssituation und Negativzinsen rechnen müssen, wird dieses Geschäftsmodell zunehmend schwieriger.

Und die mittelständischen Firmenkunden müssen mit Negativzinsen rechnen?
Nicht generell. Derzeit zahlen größere mittelständische Unternehmen mit Jahresumsätzen von über 500 Mio. Euro sicherlich Negativzinsen, weil sie auch mit höheren Einlagen zu uns kommen. Zudem stehen uns diese Gelder eher kurzfristig zur Verfügung – eine Fristigkeit, die wir bereits im Überfluss haben, und die wir ergo bepreisen müssen, da sie nur Kosten verursacht.   

Sie erwähnten die EZB, die sich für eine im höchsten Maße expansive Geldpolitik entschieden hat. Das Problem: Die EZB kann in einem wirtschaftlich sehr unterschiedlich strukturiertem Raum nur eine Geldpolitik aus einem Guss fahren. Hätte die Zentralbank auch eine andere geldpolitische Wahl gehabt?
EZB-Präsident Mario Draghi hat mehrfach kommuniziert, dass mit Hilfe der Geldpolitik für die hochverschuldeten südlichen Euroländer Zeit zur Umsetzung von Reformen gekauft werden soll. Doch hier liegt das Problem: Niedrigste Zinsen und Geld im Überfluss üben nicht in jedem Fall auch den Druck aus, der notwendig ist, um oft politisch unangenehme Reformen durchzuführen und Schulden abzubauen. Die Geldpolitik hat ihre Möglichkeiten – um Zeit zu kaufen –intensiv ausgeschöpft, aber die Politik reagiert nicht in jedem der Problemländer in ausreichendem Maße.

Ein nachhaltiger Erfolg der EZB-Geldpolitik ist auch mit Blick auf die Konjunktur und die Inflation insgesamt im Euroland nicht zu erkennen und Draghi wird nicht müde, die Wirtschaft auf eine lang anhaltende Niedrigzinsphase einzustimmen. Wie lange halten die Banken das durch?
Unter der gegenwärtigen Zinssituation leiden nicht alle Banken gleichermaßen, sondern vor allem diejenigen Institute, die auf das kommerzielle Geschäft – wie zum Beispiel das klassische Kredit- oder das Außenhandelsgeschäft – ausgerichtet sind. Diejenigen Institute, die beispielsweise eine starke Investmentsparte haben, sind weniger von der  Negativzinsproblematik betroffen. Sie können ihre Liquidität besser nutzen, da an den Kapitalmärkten nicht die Zinsen das Thema sind, sondern die hohen Risikoprämien, die die Banken heute aufgrund ihrer Ratings zu zahlen haben. Weniger unter Negativzinsen leiden auch Banken in Deutschland, die ausländische Mütter in Ländern haben, die nicht über so reichliche Liquidität verfügen, wie etwa in Italien.

Und was wird sich auf der Ertragsseite ändern?

Über Guthabengebühren bei Einlagen haben wir bereits gesprochen. Andererseits ist der Mittelstandskredit für die Banken meist nicht kostendeckend. Bisher waren wir in der Lage, durch Cross Selling die Geschäftsbeziehung zum Kunden insgesamt lukrativ zu gestalten. Das funktioniert in Zeiten von Negativzinsen nicht mehr: Das Einlagengeschäft – als einziges risikofreies Geschäft, das stets eine wichtige Rolle bei der Optimierung der Geschäftsbeziehung mit dem mittelständischen Kunden spielte – ist heute negativ und kann seiner Rolle nicht mehr gerecht werden. Die Folge: Das Kreditgeschäft wird sich – bei einem Anhalten der fatalen Zinssituation peu à peu verteuern. Solange es negative Zinsen geben wird, ist die Zeit des Cross Selling vorbei.

Die mittelständischen Unternehmen sitzen in der Regel auf einem guten Liquiditätspolster. Das Geld zur Bank zu tragen, lohnt nicht. Was soll der Mittelständler tun – Neuinvestitionen tätigen?
Dazu wäre in vielen Fällen sicherlich zu raten, doch die Unternehmen tätigen derzeit kaum Neuinvestitionen. Unsere Kunden – auch kleinere Unternehmen – denken eher über anorganisches Wachstum, also Übernahmen von Konkurrenten oder über eine Abrundung von Geschäftsbereichen nach. Investitionen diesen Zuschnitts haben den Vorteil, dass sie konkreter über Erfolgschancen Auskunft geben und eine bessere Planbarkeit ermöglichen. Langfristige Neuinvestitionen trauen sich die Mittelständler aufgrund der Volatilität der Rahmenbedingungen nicht mehr zu.

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Welche Rahmenbedingungen werden denn als besonders negativ eingeschätzt?  
In Gesprächen mit mittelständischen Kunden höre ich immer wieder, dass der Negativzins potenzielle Investoren am meisten verunsichert. Unsere Kunden interpretieren mit Blick in die Zukunft negative Zinsen als Gefahr. Das ist insofern besonders beachtlich, weil die EZB meint, mit Negativzinsen zu erreichen, dass  Unternehmer ihr Geld ausgeben, indem sie langfristig investieren. Zumindest in Deutschland ist das Gegenteil der Fall. Aus vielen Kundengesprächen schließe ich, dass die Volatilität der politischen Rahmenbedingungen – siehe das Thema Energiewende – zugenommen hat.

Sie hatten die Digitalisierung bereits erwähnt. Ihr Haus hat die Einstellung der mittelständischen Unternehmen zur Digitalisierung mehrfach eingehend untersucht. Wie aufgeschlossen sind Mittelständler gegenüber der Digitalisierung?
Die Mittelständler stehen der Digitalisierung nach unseren Untersuchungen mittlerweile sehr positiv gegenüber. Stand in den vergangenen Jahren die Kosteneffizienz im Vordergrund, fragen die Unternehmen heute eher nach den sich ergebenden Wachstumschancen: Es interessiert der Nutzen der Digitalisierung bei der Schaffung neuer Produkte und der Erschließung neuer Absatzmärkte. Meine Gespräche mit Kunden bestätigen dies auch durch die Praxis. Mittelständler sind heute auch zunehmend bereit, für die Digitalisierung entsprechende Spezialisten einzustellen. Fazit: Digitalisierung schafft Arbeitsplätze.

Findet das große Interesse an der Digitalisierung schon seinen Niederschlag in einer entsprechenden Investitionstätigkeit ?
Es gibt bereits heute laufende Digitalisierungsprozesse in vielen mittelständischen Betrieben. Überwiegend handelt es sich aber noch um Absichtserklärungen. Digitalisierung ist allerdings auch ein Prozess, der sich über einen langen Zeitraum aufbaut und zur Daueraufgabe wird. Er birgt aber große Chancen für ein dynamischeres Wachstum für die Unternehmen und damit für unsere Volkswirtschaft insgesamt. Eine wichtige Voraussetzung ist aber, dass dies auch die Politik erkennt und für die notwendigen Rahmenbedingungen sorgt.

Sie sprechen von der Digitalisierung als einem sehr chancenreichen und langfristigen Prozess?
So ist es. Die erste Stufe beinhaltet die erste Beschäftigung mit dem Thema Digitalisierung. In der zweiten Stufe geht es um die Umsetzung im jeweiligen Betrieb. Wichtig ist: Digitalisierung lässt sich nicht nur auf ein technisches Thema reduzieren. Sie setzt insbesondere einen Wandel in der Denkweise der Unternehmen voraus. Erfahrungen zeigen, dass es im Kern darum geht, zu überlegen, wie eine Innovationskultur in ein Unternehmen gebracht werden kann. Digitalisierung entsteht von unten nach oben – nicht umgekehrt. Das Management definiert die  Rahmenbedingungen und es muss bereit sein, neue Spezialkräfte an Bord zu holen, auch wenn diese im Unternehmen bislang nicht bekannt sind. Ich erlebe in meinen Gesprächen, dass sich viele Unternehmen hiermit noch schwer tun, denn es muss eine integrale Struktur geschaffen werden, die diese neuen Mitarbeiter akzeptiert und mitnimmt.

Ist dies gerade in eigentümergeführten Unternehmen ein besonderes Problem?

Ja, die Unternehmensspitze muss oft umdenken und ihr Verhalten ändern. Aber Digitalisierung läuft auch in diesen Fällen oft dann sehr gut, wenn die Nachfolge ansteht. Dieser Transformationsprozess befindet sich aber allgemein noch in einer frühen Phase.

Digitalisierung findet nicht nur innerbetrieblich sondern auch betriebsübergreifend statt?

Ja. Bei Letzterem schreiben mittelständische Unternehmen gerade uns Banken eine wichtige Rolle zu: Unserer Studie zufolge sollen die Kreditinstitute nämlich die Netzwerke  zu den einzelnen Unternehmen schaffen. Der Grund: Die Unternehmen müssen sich mit ihresgleichen vernetzen, die angrenzende oder gleichartige Geschäftsmodelle haben. Den richtigen Partner zu finden, ist aber schwierig. Banken traut man die Funktion des erfolgreichen Brückenbauers aber zu, da sich in ihrem Kundenportefeuille die unterschiedlichsten Unternehmen befinden und sie diese Unternehmen bestens kennen. Das ist für uns Banker durchaus interessant, weil sich daraus – bei angemessener Honorierung – durchaus ein Geschäftsmodell entwickeln lässt.  

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Was bedeuten diese Netzwerkeffekte aus der Sicht eines Bankers für die Risikobewertung von Krediten?
Wir kommen mit der traditionellen Beurteilung eines Kreditrisikos hier nicht weiter. Im Zeitalter der Digitalisierung geht es nicht darum, zum Beispiel nur eine Lagerhalle zu finanzieren. Die Digitalisierung verlangt ein Umdenken auch der Bank: Es muss darum gehen, die Innovationskraft eines Unternehmens zu stärken und  zu finanzieren, und somit in die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zu investieren. Dies natürlich auch, weil wir dieses Unternehmen möglichst über Jahrzehnte finanziell begleiten wollen. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, die Einzelinvestition zu beurteilen: Die Summe der Investitionen muss stimmen. Gerade für KMU gilt, keine überbordenden Erwartungen in Einzelinvestitionen zu setzen, die dann möglicherweise am Markt keine Akzeptanz finden.

Das erfordert in der Tat ein völliges Umdenken in der Beurteilung von Finanzierungen?
Das stimmt. Daher testen wir derzeit Risikomodelle zur Finanzierung von Investitionen, die nicht mehr im traditionellen Sinn ablaufen – und wo wir all die zuvor genannten Punkte berücksichtigen. Wir probieren verschiedenste Ideen aus, experimentieren und wollen mehr Erfahrungen sammeln.       

Ihre Freude am Test digitaler Möglichkeiten scheint groß zu sein. Da sich unter anderem im Rahmen der Digitalisierung ein hoher Investitionsbedarf ergibt, andererseits aber auch viel Liquidität nach rentabler Anlage sucht, versuchen Sie beide Seiten zusammenzubringen. Die Commerzbank als digitaler Vermittler von Kreditnachfrage und Kreditangebot?

Ja, beim Thema Main Funders, das Sie ansprechen, handelt es sich um einen digitalen Finanzierungsmarktplatz. Die Plattform richtet sich an mittelständische Kunden, mit denen wir bereits zusammenarbeiten und die einen Kreditbedarf von bis zu 10 Mio. Euro haben, sowie an institutionelle Kapitalanleger, wie etwa Versicherungen und Pensionsfonds – allerdings aus gutem Grund nicht an private Anleger. Letztlich fühlen wir uns verantwortlich, und wollen unsere Reputation nicht auf’s Spiel setzen. Von uns bekommt der Investor das Rating des Kreditsuchenden und einen Risikomaßstab. Wir erhalten für unsere Tätigkeiten von beiden Seiten eine Provision.  

Wie kommt diese Kreditplattform am Markt an und haben Sie bereits konkrete Absatzerwartungen?
Für die digitale Kreditplattform Main Funders gibt es keine Absatzpläne. Derzeit testen wir diese Möglichkeit und wollen Erfahrungen sammeln. Möglicherweise können wir sie in unser Geschäft einbinden, weil es sich im Kern um Kredite handelt, die an Investoren weiterverkauft werden – aber durch unser Risikomodell laufen. Dass es für diese Art von Finanzierungen einen Bedarf geben wird, da bin ich mir ganz sicher: Viele Bankkunden sehen es als Vorteil an, sich nicht allein über Banken zu finanzieren, um sich so unabhängiger zu machen.

Und welche Vorteile zieht die Bank aus einer solchen Vermittlungsdienstleistung?   

Für die Bank ist es wichtig – nach den regulativen Verschärfungen für das Eigenkapital –, dieses zu schonen. Zudem ist das neue Angebot auch eine Möglichkeit, das Kreditgeschäft mit dem Mittelstand unabhängiger vom Zinsniveau zu machen, denn die Bank vermittelt nur und erhält dafür eine Provision. Sie stabilisiert so ihre Einnahmenseite.

Der Drang Ihres Hauses nach weiterem Wachstum im Mittelstandsgeschäft ist deutlich kommuniziert worden. Welchen Anteil am Geschäftsvolumen der Gesamtbank nimmt diese Geschäftssparte mittlerweile ein?
Das operative Ergebnis unseres Mittelstandsgeschäftes mit Firmenkunden machte im vergangenen Jahr mehr als 50% des operativen Ergebnisses des Konzerns aus. Und es wächst weiter.

Das Interview führte Dieter Heumann.

30.08.2016 | 10:57

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