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Finanzbranche: Wenn plötzlich alles anders ist

HypoVereinsbank-Chef Theodor Weimer über „disruptive changes“: Die Folge der Finanzkrise war eine umfassende Regu­lierung. Aber das ist nur eine Herausforderung für die Bankenbranche. Denn sie hat derzeit mit einem Orkan und einem Erdbeben gleichzeitig zu tun.

Das Bewältigen von zerstörerischem Wandel gehört zu den schwierigsten Management-Herausforderungen überhaupt. Der Angriff auf erprobte Produkte, Verhaltensweisen und auf für unumstößlich­ gehaltene Strukturen ist umfassend, temporeich und vernichtend. Oft lässt er keinen Stein auf dem anderen.

Ein Beispiel: Die Fore River Ship and Engine Building Company in Massachusetts war eine anerkannte, technologisch führende Werft. 1902 lief hier das größte Segelschiff aller Zeiten vom Stapel. Der einzige Siebenmaster der Welt. Ein Meisterwerk der Schiffsbaukunst. Und doch war das Ende der Segelschiff-Ära längst besiegelt. Denn in einer zunächst unscheinbaren Nische war die Dampftechnologie herangereift.

Und es erfolgte das, was vor rund 20 Jahren von Clayton Christensen, Professor an der Harvard Business School, mit einem prä­g­nanten Begriff belegt wurde:
„a disruptive change“. Ein Technologiesprung, der alle bisherigen Technologien und Marktführer in diesem Bereich im wahrsten Wortsinn versenkte. Den führenden Segelschiffwerften gelang es nicht, diesen Technologiesprung erfolgreich zu bewältigen. Das neue Dampfschiff wurde auch von neuen Schiffsbauern kon­s­truiert. Und sie stehen für die andere Seite der Medaille; für den Aufstieg neuer Technologien und Unternehmen, die erst durch den schöpferisch genutzten Wandel möglich werden.

Den stolzen Segelschiffwerften folgten Jahrzehnte später ­Agfa und Kodak als Opfer der Digitalfotografie in den Abgrund. Heute sind es einstige Handy- Weltmarktführer, denen dieses Schicksal droht. Und morgen ist es vielleicht schon ein führendes Unternehmen der gerade boomenden Digitalwirtschaft. Gegenwärtig ist es aber auch die Bankenbranche, auf der enormer Veränderungs- und Anpassungsdruck lastet. Der Druck speist sich aus zwei Quellen.

1. Ein ganzes Geflecht neuer und erweiterter Regulierungen verändert die bisherigen Strukturen, zerstört sie teilweise sogar. Als Konsequenz aus der Finanzmarktkrise wurde und wird die Regulierung der Banken innerhalb relativ kurzer Zeit massiv verschärft. Banken sind an dieser Entwicklung natürlich nicht schuldlos. Ganz im Gegenteil: Das eigene Verhalten hat in Teilen die Regulierungsoffensive erst ausgelöst. Dennoch hat die Branche kaum noch Steuerungsmöglichkeiten. Sie ist verpflichtet, die neue Regulierung mehr oder weniger widerstandslos umzusetzen.

2. Die Finanzdienstleister sind – wie die gesamte Wirtschaft – einer umfassenden digitalen Revolution unterworfen. Der Siegeszug von Internet, mobilen Endgeräten und sozialen Medien verändert auch das Bankgeschäft in atemberaubendem Tempo. Die Kunden haben ihr Verhalten einschneidend verändert. Immer seltener sind sie in den Filialen anzutreffen, dafür werden neue Vertriebswege eingefordert. Gleichzeitig drängen völlig neue Wettbewerber auf den Markt. Im Zahlungsverkehr fordert beispielsweise PayPal die Banken heraus. Start-ups bieten erfolgreich Peer-to-Peer-Lending- und Crowdfunding-Plattformen an und stoßen so in das klassische Kreditgeschäft vor.

Eine doppelte Herausforderung also für die Finanzdienstleister. Eine Herausforderung, die das Bankmanagement vor ganz neue Aufgaben stellt. Denn es gilt, sich einerseits so an die Regulierung anzupassen, dass sie nicht die notwendige Luft zum Atmen nimmt. Andererseits muss die Innovativkraft der Banken gestärkt werden, um die technologisch geprägten Herausforderungen durch Kunden und neue Wettbewerber erfolgreich bewältigen zu können.

Finanzkrise führte zu bitteren Erkenntnissen

Die Dynamik der Entwicklung lässt sich nur verstehen, wenn wir uns noch einmal an die globale Bankenkrise von 2007 bis 2009 erinnern. Diese war geprägt von in schneller Folge stattfindenden Bankzusammenbrüchen und Beinahe-Zusammenbrüchen,­ von einer allgemeinen Destabilisierung und Lähmung des Finanzmarkts sowie von einem einschneidenden Vertrauensverlust in den Finanzsektor. Die Folgen dieser historischen Bankenkrise erfasste auch die Realwirtschaft und führte zu massiven Konjunktureinbrüchen. Am Ende der Krisenphase standen dann einige für Bankmanager zum Teil bittere Erkenntnisse:

• Der Staat wurde ohne Kontrakt zum zentralen Rückversicherer des Finanzsektors. Es galt, die Leistung der Politik anzuerkennen. Oft haben Wirtschaftsführer die ökonomische Kompetenz von Politikern bezweifelt und ihnen eine zu zögerliche Entscheidungsfindung vorgeworfen. Dieses Bild musste in der Krise korrigiert werden. Die Politik hat schnell und entschlossen reagiert und die Banken gerettet.

• Die „Too big to fail“-Problematik führt zu Moral Hazard und gefährdet damit das gesamte System. Größe und Systemrelevanz wurden zu Schutzparametern für Banken, die es einigen Hochrisikospielern erlaubte, hemmungslos zu zocken.

• Nur Naive glauben heute noch an die Selbstheilungs­kräfte der Märkte. Auch Marktgläubige mussten erkennen, dass die Kapitalmärkte temporär versagt haben. Selbst kerngesunde Banken konnten sich zeitweise nicht mehr an den Märkten Liquidität und Eigenkapital besorgen.

Die Finanzkrise führte weltweit zu einer raschen Übereinkunft darüber, die Finanzdienstleister und die Finanzmärkte schärfer und besser zu regulieren. Nie wieder sollte die Finanzbranche die gesamte Wirtschaft und ganze Staaten an den Rand des Abgrunds bringen. Nie wieder sollten Staaten massiv Steuergelder einsetzen müssen, um Banken zu retten. So wurde eine Fülle von zusätzlichen und verschärften Maßnahmen zur Re-Regulierung des Finanzsektors auf den Weg gebracht. Anzahl, Umfang und Tempo der zusätzlichen Regulierungsmaßnahmen waren – und sind – mehr als beeindruckend.

Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont: Eine bessere Regulierung ist ohne jeden Zweifel richtig und notwendig. Banken brauchen mehr und qualitativ hochwertigeres Eigenkapital. Die „Too big to fail“-Problematik muss gelöst werden. Und auch der Derivatehandel kann mehr Transparenz gut gebrauchen. All das verbessert die Stabilität und die Sicherheit des Finanzsystems. Aber natürlich ist Regulierung – zumal die national betriebene – auch eine Waffe im Wettbewerb. Längst wird die Regulatorik auch eingesetzt, um der eigenen Finanzindustrie Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen.

Was bedeutet dies nun für das Bankmanagement? Einerseits wird ein Großteil der Managementkapazitäten heute durch die Umsetzung der Regulierung und Monitoringaufgaben gebunden – diese fehlen dann an anderer Stelle. Andererseits schränken deutlich gestiegene Eigenkapitalkosten die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle der Banken ein. Darüber hinaus muss ein ungeheurer Extra-Kostenblock verkraftet werden, der aus den Regulierungsanforderungen erwächst. Von der Bankenabgabe bis zu extrem steigenden Personalkosten in den Bereichen Recht, Compliance und Ähnlichem entstehen Zusatzkosten, die derzeit nur schwer zu verdienen sind. Sie müssen an anderer Stelle eingespart werden und schwächen die Kapazitäten der Banken für eine erfolgreiche und innovative Marktbearbeitung.

Parallel zur Re-Regulierung sind die europäischen Banken mit den Folgen der Staatsschuldenkrise konfrontiert. Diese führte allen Beteiligten die enge Verflechtung zwischen Banken und Staaten vor Augen. Die nationalen Banken waren letztlich mit ihren Heimatländern in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden. Der EU-Finanzbinnenmarkt war gestört. Das Rating und damit die Refinanzierungsbedingungen der Banken sind in hohem Maße von ihrem Sitz/Heimatland abhängig und weniger von ihrer Bonität und ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft. Banken in den Krisenstaaten refinanzieren sich erheblich teurer als Banken in weniger stark von der Krise betroffenen Ländern.

Kirchturmdenken der Finanzaufsicht

Bei grenzüberschreitend tätigen Instituten kommt es zu einem Ringfencing der nationalen Aufseher. Banken werden von nationaler Aufsicht national abgeschirmt. Dies verhindert unter anderem die Optimierung der Liquidität innerhalb von europäischen Bankengruppen und führt zur Re-Nationalisierung der Bankenmärkte. Banken wie die Uni- Credit sind davon besonders betroffen. Die UniCredit ist zwar eine europäische Bankengruppe mit gut diversifizierter Ertragsstruktur, aber eben mit Hauptsitz in Mailand/Italien. Dies führt dazu, dass keine optimale Liquiditätssteuerung möglich ist. In Italien holt sich UniCredit beispielsweise Geld von der Zentralbank, in Deutschland legt die HVB gleichzeitig überschüssige Liquidität bei der Bundesbank an. Die Bankenunion, die auf EU-Ebene gerade gesetzlich umgesetzt wird, ist das richtige Gegenmittel, um die Störung des Binnenmarkts zu beheben.

Auf den Punkt gebracht: Durch die Regulierung verändert sich die Steuerung des Bankgeschäfts und erhält eine politische Dimension. Während das Bankgeschäft früher weitgehend vom Markt bestimmt war, ist es heute stark von Politik und Aufsicht getrieben. Geschäftsmodell und -strategie werden in Abhängigkeit von regulatorischen Vorgaben angepasst. Die Regulierung greift dabei einerseits indirekt ein: Geschäfte werden nicht mehr vorrangig nach Profitabilität mit anschließender Eigenkapital­unterlegung bewertet. Heute wird vielmehr überlegt, ob Geschäfte unter Berücksichtigung von Liquiditäts-, Eigenkapital- und Funding-Anforderungen überhaupt noch wirtschaftlich dargestellt werden können. Die Bilanz und nicht mehr die Gewinn- und Verlustrechnung ist das entscheidende Kriterium. Andererseits greift Regulierung direkt in die Steuerung ein: beispielsweise durch das deutsche Trennbankgesetz, das zwingend einen Umbau der betroffenen Banken nötig macht.

Banken sehen sich aber noch einer ganz anderen Front mit wahrlich disruptiven Veränderungen konfrontiert, die nichts mit der Finanzkrise zu tun haben. Die Veränderungen durch die Digitalisierung der Welt entsprechen in ihrer Entstehung und ihrem Verlauf ganz den klassischen disruptive innovations. Das Internet bildet die Basis, die „allgemeine Mobilmachung“ durch Smartphones und Tablets sowie die damit verbundenen Verhaltensweisen der Nutzer liefern den „Beschleunigungskick“: Das Prinzip des „immer vernetzt und always on“ revolutioniert den Vertrieb in vielen Branchen. Die Netzgemeinde ruft nach einfachen Lösungen und simplen Anwendungen. Gleichzeitig sollen die Produkte möglichst individuell sein. Die Folge: Ein verändertes Kundenverhalten und neue Wettbewerber üben massiven Druck auf die Geschäftsmodelle und -strategien der etablierten Banken aus. Die Filialen werden von immer weniger Kunden genutzt, immer mehr Bankgeschäfte werden online abgewickelt. Liefen im Jahr 2000 noch rund 70 % der Kundenkontakte über klassische Filialen, waren es 2010 noch 30 %. 2015 werden es voraussichtlich nur noch 5 % sein. Gleichzeitig ist die traditionelle Bankenbranche mit einer Vielzahl neuer Wettbewerber konfrontiert, die über das Internet in immer mehr Teil- und Nischenmärkten mit ihnen konkurrieren. Entlang der gesamten Produktpalette, vom Kreditgeschäft über den Zahlungsverkehr und den Wertpapierhandel bis zur Vermögensverwaltung, gibt es mittlerweile Angebote von Nicht-Banken.

Banken als „Diener“ der Bürger

Die HypoVereinsbank hat diese Herausforderung angenommen und entwickelt sich konsequent zu einer echten Multikanalbank. Die klassische Filiale bleibt als zentraler Beratungspunkt zwar bestehen, wenn auch mit einem etwas weitmaschigeren Netz. Hinzu treten aber additive Kanäle. So können Spezialisten per Video beratend zur Seite stehen. Online-Filialen sind jenseits der tradierten Schalterstunden verfügbar. Natürlich ist die HVB auch mobil anzusteuern und vieles mehr. Verknüpft werden die gleichberechtigten Zugangswege zur HVB über ein intelligentes und voll integriertes Kundenmanagement-System. Dieses stellt sicher, dass Kunden auch dann optimal betreut werden, wenn sie mehrfach den Kontaktweg wechseln.

Vieles ist bei den Banken in diesem Bereich derzeit im Fluss. Und vieles wird sich verändern müssen, damit Banken in der digitalisierten Welt ihre Aufgaben erfüllen und erfolgreich arbeiten können.

Banking unter den verschärften regulatorischen und den neuen digitalen Bedingungen ist ein einziger großer Veränderungsprozess. Ein Veränderungsprozess, der extreme Anforderungen stellt. Denn die gesamte Branche muss sich revolutionär verändern, wenn sie in nicht noch schwereres Fahrwasser geraten will. In dieser ­Situa­tion wirkt die massive Vertrauens­krise, mit der die Banken zu kämpfen haben, als zusätzlicher Hemmschuh. Einige Banker und einige Banken haben viel dafür getan, dass die Reputation der ­Finanzwelt schwer gelitten hat. Die dringende Konsequenz: Banken müssen einen Kulturwandel im Denken und Handeln vollziehen – unabhängig vom Druck der Politik und der Regulatoren. Banken brauchen überzeugende, an den Bedürfnissen ihrer Kunden ausgerichtete Geschäftsmodelle. Dazu ist es notwendig, den engen Schulterschluss mit den Kunden zu suchen. Banken sind Intermediäre und dienen Bürgern und der Wirtschaft – und nicht anders­herum. Daher muss die dienende Funktion der Banken (wieder) in den Mittelpunkt gestellt werden.

Gespür für Veränderungen

Die Finanzbranche ist gut beraten, ihre gesellschaftliche Verantwortung auch zu übernehmen. Sie muss die Rückwirkungen des eigenen Handelns auf die Gesamtgesellschaft und -wirtschaft in ihre Entscheidungsprozesse integrieren. Und sie muss ihr gesellschaftliches Engagement als „Seismograph“ nutzen. Es gilt die banale Erkenntnis: Wer nicht im Elfenbeinturm lebt, ist besser vor Fehlern gefeit beziehungsweise erkennt Fehlentwicklungen schneller. Darüber hinaus nimmt er veränderte Kundenwünsche früher wahr und kann innovativer agieren.

Mitarbeiter und Manager von Banken haben in den vergan­genen Jahren bereits sehr viel geleistet, um einen solchen Kulturwandel einzuleiten. Die Arbeiten an den Geschäftsmodellen, internen Kontrollsystemen und an den ethischen Grundlagen unseres Geschäfts waren erheblich. Der gesamte Prozess wird aber erst dann erfolgreich zu einem vorläufigen Ende gekommen sein, wenn Banken wieder ein unverdächtiger Teil der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft sind, dem ohne Vorurteile begegnet wird. Dafür muss unsere Branche weiter hart an sich arbeiten.

Die Banken haben es derzeit mit einem Orkan und einem Erdbeben gleichzeitig zu tun. Mit einer massiven Re-Regulierung und der Digitalisierung treffen sie zwei Disruptive-Change-Entwicklungen gleichzeitig mit voller Wucht. Das erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Flexibilität sowie eine hohe Anpassungsfähigkeit und -geschwindigkeit – insbesondere weil für die notwendigen Entscheidungen in der Regel keine Erfahrungswerte aus vergleichbaren früheren Situationen vorliegen. Eine zu starke Fixierung auf langfristige Strategien ist in einem solchen Fall kontraproduktiv, da sie den Blick auf bestimmte starre Teilziele lenkt und einen davon abhält, den höchst dynamischen Prozess im Auge zu behalten. Ohne Manager, die früher als andere neue Trends erkennen und dann schnell, risikobereit und gestaltungsstark reagieren, ist die Aufgabe nicht zu bewältigen. Unternehmerisches Denken im besten Sinne ist erforderlich.

 

14.12.2014 | 10:05

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