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Wasserstoff ist wie Champagner: Er ist leer, bevor die Party beginnt

Forscher warnen: Es gibt für lange Zeit nicht genug sauber hergestellten Wasserstoff. Die Berechnungen der Bundesregierung seien Makulatur. Was Klimapolitikern damit Sorge bereitet, macht Anleger glücklich: Wasserstoffaktien machen immer wieder Kurssprünge nach oben. Wie nachhaltig ist der Hype?

Was Ingenieuren und Klimaaktivisten Kopfzerbrechen bereitet, freut Anleger und Aktionäre: Wasserstoff, eine der entscheidenden Energiequellen der Zukunft, ist ein extrem knappes Gut, zumindest wenn er „grün“, das heißt unter Einsatz von Sonnen- und Windenergie hergestellt sein soll. Diejenigen, die sich in dieser Branche tummeln, sind deswegen gefragt wie sonst keiner - was wiederum die Investoren und Aktionäre dieser Unternehmen freut. Das jüngste Beispiel für diesen Trend war in dieser Woche zu besichtigen: Allein das Gerücht, dass der in die Jahre gekommen Mischkonzern ThyssenKrupp seine Wasserstoffsparte abspaltet und an die Börse bringt, ließ die wie im Keller festgeschmiedete Aktie des ehemaligen Stahlkochers die ketten sprengen und nach oben schießen.

Wasserstoff, seit Jahrzehnten als Energieträger gepriesen, bisher aber nicht aus dem Versuchsstadium herausgekommen, erfuhr im vergangenen Jahre in Deutschland ungeahnten Auftrieb, als die Merkel-Regierung diese Energiequelle als Kern ihrer neuen Klimapolitik pries und die Förderschatulle öffnete. Vom „Champagner unter den neuen Energiequellen“ war die Rede. Das Dumme: Wie beim Champagner gibt es wenig davon. Und manchmal ist die Flasche leer, bevor die Party beginnt.

Inzwischen hat die Bundesregierung 62 Wasserstoff-Projekte vom Automotor bis eben zur Wasserstoffproduktionsanlage beim lange abgewirtschafteten Stahlkonzern ausgewählt, die mit insgesamt acht Milliarden Euro vom Staat unterstützt werden sollen. Damit könnten in diesem Bereich weitere Investitionen „für ungefähr den vierfachen Betrag“ ausgelöst und in den nächsten Jahren „viele Millionen Tonnen CO2“ eingespart werden, rechnet Noch-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor.

Doch die Euphorie hat einen wesentlichen Haken, auf den das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) in einer aktuellen Studie aufmerksam macht. Die beiden Energieexperten Malte Küper und Thilo Schaefer stellen darin fest: Die Versorgung mit grünem Wasserstoff in Deutschland wird auf absehbare Zeit nicht funktionieren. Hierzulande wird viel zu wenig hergestellt und selbst durch Importe kann nicht gedeckt werden, was alles an grünem Wasserstoff gebraucht würde, schreiben die Experten. „Da die nationale Erzeugung in Deutschland nicht sicher ausreichen wird, setzt die Bundesregierung auf umfangreiche Importe aus wind- und sonnenreichen Regionen wie Nordafrika oder Chile.“ Doch: „Selbst wenn die betrachteten Exportländer ihre Wasserstoffproduktionen nur nach Deutschland liefern würden, könnte der Bedarf an Wasserstoff bis 2030 nicht vollständig gedeckt werden.“ Solange der Bedarf über Importe nicht gedeckt werden kann, muss die inländische Wasserstoffproduktion aus erneuerbaren Energien massiv erhöht werden, rechnen die Wissenschaftler mit zwingender Logik vor. „Dafür wiederum bräuchte es in den nächsten Jahren viel grünen Strom, dessen Erzeugung in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde.“

So oder so gilt: Wer grünen Wasserstoff erzeugen kann, sitzt auf einer modernen Goldader. Das wissen auch die Investoren. Sie sind derzeit auf der Suche nach einem Tesla des Wasserstoff-Sektors. Und es geht dabei zu, wie bei Kryptowährungen oder einst zu Dotcom-Blasen-Zeiten mit dem Internet. Allein die Nennung des Schlüsselwortes Wasserstoff reicht aus, um an den Märkten ein Tohuwabohu auszulösen.

Wie eben bei Deutschlands wohl prominentestes Alt-Industrie-Sorgenkind ThyssenKrupp. Der in die Jahre gekommene Stahlschmelzer, der heute eher ein Mischkonzern ist, plant möglicherweise den Börsengang seines Wasserstoff-Elektrolyseuren-Geschäfts. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, prüfen die Konzernbuchhalter die Notierung von Uhde Chlorine Engineers für das erste Quartal 2022. Das Unternehmen wurde erst 2015 als Joint Venture mit der italienischen Industrie De Nora gegründet. ThyssenKrupp äußerste sich selbst nicht zu den Gerüchten. Fakt ist aber, dass der Konzern gemeinsam mit der Citigroup seit längerem verschiedenen Optionen für die Sparte prüft. Ein Börsengang käme also nicht völlig überraschend.

Wie auch immer: Die  Geschichte hatte einen Kurssprung der Aktie um fast 20 Prozent zur Folge. Nun kommen Optimierungen des Produktportfolios, Aufspaltungen und Börsengänge einzelner Sparten grundsätzlich gut an am Parkett. Aber diese regelrechte Kursexplosion hatten dann wohl doch auch etwas mit der Materie Wasserstoff zu tun.  Es geht in der Branche offenbar vor allem um eine Menge Emotionalität. Ein wenig Licht in die Gefühlsduselei bringt in dieser Woche die US-Investmentbank Jefferies. Ihr Analyst Will Kirkness nennt in einer Studie ITM Power, Nel ASA und Powercell als seine Favoriten am Markt und empfiehlt sie zum Kauf. Alle drei Unternehmen sind, obwohl selbst noch jung, in der Branche vergleichsweise etabliert. Kirkness traut den Aktien ein Kurspotenzial von 70, 30 und 20 Prozent zu.

Der große Jefferies-Favorit ist aktuell ITM Power, das seinen Sitz in Sheffield in Großbritannien hat. Das Unternehmen ist auf Elektrolyseure spezialisiert, also Vorrichtungen, mit denen chemische Stoffumwandlungen herbeigeführt werden können – und damit unter anderem Wasserstoff produziert werden kann. Diesen Anlagen trauen Experten das meiste Wachstumspotenzial zu. Das Wachstum für Vorrichtungen zur Elektrolyse liege beim 800fachen, schreibt Kirkness. Bis 2050 könnte der Markt sogar 1000 bis 4000mal größer sein, als zum aktuellen Zeitpunkt.

Nel Asa aus Norwegen und Powercell aus Schweden sind in der Wertschöpfungskette ein Stück dahinter anzusiedeln. Powercell entwickelt und produziert Brennstoffzellen, Nel ist eine Art Tausendsassa in der Branche und ist an den verschiedensten Projekten, von Tankstellen bis zum Brennstoffzellen-LKW, beteiligt. Beide Werte dürften davon profitieren, dass der Wasserstoff-Markt zwar nicht um den Faktor 800, aber bis 2030 immerhin um das Achtfache wachsen könnte. Bis 2030, schätzt der Jefferies-Analyst, dürften die Kapazitäten den Bedarf nicht decken. Kirkness bläst damit ins gleiche Horn wie das IW, nur dass er eben knappe Güter für lohnenswerte Investitionen hält.
 
Bei solchen Prognosen ist es kein Wunder, das Anleger in eine Art Goldgräberstimmung verfallen und allein beim Wort Wasserstoff hellhörig werden. Analyst Kirkness warnt aber, schon jetzt seien die Bewertungen im Sektor „durchaus anspruchsvoll“. Besonders, da vor 2025 kaum irgendwo mit operativen Gewinnen zu rechnen sei. Anleger schreckt das nicht ab, sie kennen das Spiel von Amazon oder Tesla. Diese beiden an der Börse inzwischen Milliarden schweren Konzerne, haben auch jahrelang Verluste angehäuft, ehe sie es irgendwann doch in die Gewinnzone schafften und seither zu den wertvollsten Unternehmen der Welt zählen.

Die Herausforderung im Wasserstoffsektor aber ist dessen Kleinteiligkeit. Bislang hat sich noch kein Unternehmen als zentraler Player und Technologieführer hervorgetan. Eher ist ein globaler Flickenteppich aus kleinen und kleinsten Start-Ups entstanden, die wiederum über verschiedenste Joint-Ventures und strategische Allianzen versuchen, Entwicklungen voranzutreiben und Märkte zu erschließen. Entsprechend sind Kurssprünge von 1600 Prozent innerhalb von drei Jahren, wie bei der Aktie von ITM Power, alles andere als nachhaltig.

Allerdings ließ sich in den vergangenen Monaten auch eine Konsolidierung im Sektor beobachten. Die Kurse vieler Aktien, unter anderem auch die von ITM, Nel und Powercell sind von ihren Höchstständen Anfang des Jahres weit zurückgekommen. Wer diese Schwächephase zum Einstieg nutzen will, der sollte vielleicht auch einen Blick auf den E-Wasserstoff Europa Index (25 Prozent plus auf Jahressicht) oder ähnliche Indizes werfen. Mit einem ETF können Anleger breit in die Wasserstoff-Branche investieren und würden sich nicht von einem oder wenigen Unternehmen abhängig machen. Letztes erscheint in der aktuellen Phase jedenfalls als risikoreich. Der Wasserstoff-Tesla ist eben noch nicht gefunden – auch nicht von ThyssenKrupp.

Oliver Götz und Oliver Stock

18.11.2021 | 14:15

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