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„Es kommt etwas auf uns zu, das schlimmer sein wird, als die Corona-Pandemie“

Wolfgang Mutter, Geschäftsführer der HYpharm GmbH, über die Rolle des Biotechsektors in Deutschland und warum es dringend eine neue Debatte um die Wertschöpfungsketten bei Medikamenten braucht.

Herr Mutter, worin liegen die größten Herausforderungen der Biotechnologie?


In den Infektionskrankheiten. Dass die Menschen heute länger leben, liegt vor allem daran, dass wir diese durch wirksame Antibiotika in den Griff bekommen haben. Sie stellten kaum noch ein Problem dar. Jetzt aber erleben wir eine Wiederkehr dieser Krankheiten, da die Resistenzen gegen Antibiotika zunehmen. Da kommt etwas auf uns zu, das wesentlich schlimmer sein wird, als die derzeitige CoronaPandemie. In Zukunft werden Infektionskrankheiten aus den Entwicklungsländern wieder zu uns zurück kommen. Davon bin ich zu einhundert Prozent überzeugt. In Indien ist schon jetzt praktisch ein jeder resistent. Die größte Herausforderung ist es also zuallererst vernünftig mit der Verschreibung und Einnahme von Antibiotika umzugehen. Dazu gilt es eine vernünftige Diagnostik zu machen. Heißt: Ob jemand eine virale oder bakterielle Infektion hat, muss eindeutig und schnell identifiziert werden.

Welche Krankheiten bekämpfen Sie denn eigentlich Sie bei Hypharm?


Wir entwickeln Moleküle die ihren Ursprung in Phagen haben, d.h. in Viren, die nur Bakterien infizieren. mit diesen Molekülen können wir sehr spezifisch pathogene Bakterien abtöten. Infektionen mit Propionibacterium acnes und Clostridium difficile sind neben MRSA unsere Hauptziele.  

Werden Biotechnologieunternehmen in Deutschland zu viele Steine in den Weg gelegt?


Die Biotechnologie wird vor allem von Großkonzernen betrieben, weniger von kleinen Firmen. Das ist eindeutig. In Penzberg befindet sich der größte Biotech-Standort Europas. Er gehört zum Roche-Konzern. Von mehr als 6000 Mitarbeitern werden dort  Antikörper und Hormone unter anderem für Krebstherapien produziert. Man kann also nicht sagen, dass die Biotechnologe in Deutschland nicht stattfindet. Wesentliche Entwicklungen werden aber  schlicht woanders gemacht, sprich die Wertschöpfung findet woanders statt. Dadurch, dass wir nicht in der Lage sind, eine ähnliche Biotech-Industrie aufzubauen, wie dies in den USA oder sogar inzwischen in Südkorea der Fall ist, verlieren wir an Wertschöpfung. Und  erfolgreichen  deutschen Start-up Firmen, wie beispielsweise Biontech, gehen in den USA an die Börse. Es ist schon ein Problem, dass wir in den modernen Bereichen, ob nun IT oder Biotech, international hinterherlaufen.

Kann man sagen, dass Deutschland immer erst anfängt aufzuwachen, wenn die Sache schon am Laufen ist?

Ja, sogar eher, wenn sie beinahe schon wieder vorbei ist. Trotzdem gibt es erfolgreiche Ereignisse; einer der ersten Tests für das Coronavirus wurde  in Penzberg entwickelt. Und das innerhalb weniger  Wochen.
 
Wie lange hat es gedauert diesen in die Praxis umzusetzen?


Überhaupt nicht lange, die haben das sofort auf ihre Geräte gebracht. Auch die bürokratischen Hürden für die Zulassung waren aufgrund der  aktuellen Lage schnell überwunden. Die Tests laufen auf dem bestehenden Maschinenpark. Heutzutage ist das wirklich nicht mehr schwierig.

Warum sollte die Pharmaindustrie eigentlich noch in die Entwicklung neuer Medikamente investieren, wenn Forschung und Markteinführung so aufwendig und teuer sind, wie derzeit?
Investitionen in Antibiotika hat die Branche ja weitestgehend schon eingestellt.  


Antibiotika zu entwickeln rechnet sich einfach nicht. Um Kosten einzusparen sind wesentliche Elemente der Produktionskette nach Fernost verlagert worden.  Zusätzlich sind einige Klinikapotheken in die Produktion von Antibiotike eingestiegen. Ganz einfach, um Geld zu sparen. Die Folge der von den Krankenkassen durchgesetzten Rabattverträgen ist, dass pharmazeutische Unternehmen sich aus gewissen Marktsegmenten verabschieden.

Aber es muss doch einen ethischen Aspekt geben? Braucht es nicht irgendein neuartiges Mittel das gegen die von Ihnen angemahnten Resistenzen gefeit ist? Etwas überspitzt formuliert, würden wir sonst ja faktisch das Überleben der Menschheit aufs Spiel setzen.

Ja, in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren werden wir die Resistenzen nicht im Griff haben. Deshalb sollte man sich ein Krankenhaus heutzutage nicht nach der Kunst der Operateurs heraussuchen, sondern nach den hygienischen Gesamtbedingungen. Das ist das Wichtigste, um – ganz brutal gesagt – eine Operation zu überleben.
 
Im Zuge des Coronavirus ist eine Debatte über Lieferketten und Lieferengpässe bei Medikamenten entstanden. Wie stehen Sie zu diesem Thema?


Die Rohstoffe werden hauptsächlich in China und in Indien produziert. Mehr oder weniger unter katastrophalen Produktionsbedingungen. Antibiotika landen dort tonnenweise einfach in der Umwelt, wenn in der Produktion etwas daneben geht. Unter diesen Bedingungen werden dort systematisch  Resistenzen gegen verschiedenste Keime produziert. Umwelttechnisch ist das eine große Schweinerei; und irgendwann werden diese Keime, die dort generiert werden, wieder bei uns landen. Wir sind inzwischen von dieser Art der Produktion abhängig geworden und oftmals nicht mehr in der Lage diese Stoffe bei uns herzustellen. Das alles ist bekannt; wahrscheinlich Bedarf es einer größeren „Vorfalls“ um eine Änderung herbeizuführen.

Themawechsel: Gibt es eigentlich genügend qualifizierte Arbeitskräfte in der Biotechnologie?  

Ja, gibt es. Aber der springende Punkt ist: Es gibt diplomierte, promovierte Biologen wie Sand am Meer, Fachkräfte aber, sprich technische Assistenzen, biotechnische Assistenten, pharmazeutisch-technische Assistenten, Chemikanten, gibt es viel zu wenig. Fakt ist, dass  sich vermehrt promovierte Biologen auf Technikerposten bewerben, nur um eine erste Stelle zu erhalten.  Wir haben also viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, die aber schlicht keine guten Jobaussichten haben.

Was würden Sie sich denn von Jens Spahn, dem deutschen Gesundheitsminister, wünschen?  

Dass er sich mal mit den Krankenkassen zusammen Gedanken über das Vergütungssystem macht. Sinnvolle ärztliche Leistungen oder auch Arzneimittel werden teilweise miserabel vergütet. Besonders gravierend ist dies bei akuten Erkrankungen, bei denen ein sofortiger therapeutischer Ansatz zwingend erforderlich ist. In solchen Fällen ist es notwendig, dass die Diagnostik direkt beim Arzt stattfindet und nicht nach Tagen der Befund eines Labors eintrifft.  Wir haben eine eindeutige Fehlallokation der vielen vielen Milliarden, die wir in unser Gesundheitssystem hineinstecken.

Die Fragen stellte Stefan Groß

28.05.2020 | 12:33

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