Falco Weidemeyer ist Partner und EY Global Turnaround and -Restructuring Leader. (Foto: © EY)



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Europe is great

Gastkommentar

Es ist klar, dass die aktuelle Situation uns fordert: Die USA ziehen uns militärisch die Decke weg, taktieren mit dem Schicksal der Ukraine und drohen mit Zöllen, um einen Handelskrieg auf Europa auszudehnen, den sie mit anderen schon begonnen haben. Die Atmosphäre ist von Herablassung und Bitterkeit geprägt, die alte Ordnung des Westens droht zu zerfallen.

Die Themen sind allerdings nicht neu. Wir wissen seit geraumer Zeit, dass wir Europa in die Lage versetzen müssen, unser kulturelles, soziales und wirtschaftliches Lebensmodell militärisch verteidigen zu können. Wir haben uns zu lange und zu sehr auf die USA verlassen. Uns ist bewusst, dass wir eine entschlossene Finanz- und Wirtschaftspolitik brauchen, wenn wir kein Transformationsverlierer sein wollen. Ebenso ist uns klar, dass wir in dem Maße, wie wir uns an Details innerhalb Europas aufreiben, vom Rest der Welt marginalisiert werden. Nüchtern betrachtet haben wir es um uns herum mit Ländern zu tun, die eine wesentlich aggressivere Politik betreiben als wir. Wir brauchen darüber hinaus Entbürokratisierung, Digitalisierung und ein Klima für Unternehmertum, Investitionen und Konsumzuversicht. Dafür ist es an der Zeit, aus der reaktiv-empörten Haltung herauszufinden und ein neues europäisches Selbstbewusstsein zu entwickeln. 

Wie soll das gehen? Die Europäische Union ist eine Friedensunion, diese Aufgabe hat sie bemerkenswert gut erfüllt, und die Bedeutung eines solchen Friedensraumes ist deutlich gestiegen. Die EU ist zudem ein mächtiger Wirtschaftsraum, der unter anderem für die Amerikaner von großer Relevanz ist. Es ist daher Zeit, dass wir mit Stärke auftreten. Dazu gehört, dass wir eine gemeinsame Agenda für die Unterstützung unserer großen Wirtschaftszweige bei der Transformation, für die Förderung von Zukunftsindustrien sowie die europäische Standortattraktivität entwickeln. Nur auf Basis einer starken Wirtschaft können auch die sozialen und ökologischen Herausforderungen gemeistert werden, von denen im Augenblick so wenig gesprochen wird, weil das in den USA unpopulär geworden ist. Es gehört darüber hinaus dazu, die Macht des europäischen Marktes nüchtern auszuspielen und klarzumachen, dass jede Abschottung anderer Märkte zu Zollmaßnahmen gleichen Umfangs in Europa führen wird, und zwar unmittelbar. Es darf kein Zweifel daran bestehen, dass wir zwar eine Zollauseinandersetzung für erwiesen unsinnig halten, aber ihr keinesfalls aus dem Weg gehen würden. 

Neben der europäischen Verteidigungsfähigkeit, die wir wiedererlangen müssen, und dem wirtschaftlichen Selbstbewusstsein, das wir stärken müssen, ist aber noch etwas anderes wichtig – nämlich das Verständnis Europas als Wertegemeinschaft. Als womöglich einer der letzten Orte, an dem Freiheit – die Freiheit des Andersdenkenden – noch gilt, Entfaltungsräume bestehen, Eigenverantwortung zählt, ein Wertekanon von Frieden und Nächstenliebe gepflegt wird, Meinungsvielfalt ein hohes Gut ist und Demokratie nicht als überkommene Staatsform gesehen wird. Das nämlich wird in einer Zukunft, die zunehmend von Autokraten und selbsternannten Eliten bestimmt wird, von Deals eher als von Prinzipen, ein sehr wertvolles Gut. So wertvoll, dass es vielleicht sogar für Länder außerhalb des geografischen Europas attraktiv sein kann, sich dieser Werteunion anzuschließen. Das würde spannende Linien einer wertebasierten Re-Globalisierung aufzeigen, bei denen deutlich wird, dass Isolationismus, wirtschaftliche und militärische Arroganz langfristig in einer multilateralen Welt nicht funktionieren. 

Die richtige Antwort auf „Make ­America great again“ heißt deswegen: „Make ­Europe great again“. Oder ganz simpel: ­„Europe is great.“ Es wird Zeit, dass wir uns das bewusst machen. 

Falco Weidemeyer ist Partner und EY Global Turnaround and - Restructuring Leader.

Falco Weidemeyer (Gastbeitrag)

05.05.2025 | 09:24

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