Gabriel gibt nur den Pfau – der Fuchs ist Schäuble
Sigmar Gabriel lässt sich gerne Vizekanzler und Superminister rufen. Doch die Große Koalition folgt einer anderen, informellen Hierarchie. Und danach ist Finanzminister Wolfgang Schäuble die stärkste Figur im Kabinett.
In einem Kabinett ist es wie in einer Schulklasse. Es braucht einige Wochen bis klar ist, wer das Sagen hat und wer Außenseiter bleiben wird. In der Großen Koalition kann man die wahre Hierarchie nach der ersten Etappe zwischen Regierungsbildung und Europawahl klar erkennen. Entgegen des offiziellen Scheins, dass der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als „Superminister” und „Vizekanzler” die klare Nummer 2 nach der Kanzlerin sei, sieht die Wirklichkeit anders aus. Die mächtigste Figur im Kabinett ist nämlich Wolfgang Schäuble.
Der Finanzminister braucht keine Vize-Epauletten, um seine Macht zu demonstrieren. Er hat sie auch so. Schäuble verfügt in vielen Sachfragen der Regierung über das letzte Wort, schon weil er die Kasse der Nation mit einer Selbstverständlichkeit verantwortet wie seit Jahrzehnten kein Finanzminister mehr.
Ob ein Minister neue Planstellen braucht oder eine neue Wohltat unters Volk bringen will, er muss bei Schäuble vorsprechen und ihn überzeugen. Und Schäuble steuert durch seine Finanzhoheit und der gewaltigen, mit allen Wassern gewaschenen Erfahrung hinter den Kulissen der Bundesregierung viel mehr als man ahnt. Mit mehr als 41 Jahren Parlamentszugehörigkeit ist er der dienstälteste Abgeordnete in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Auch im Schuldenkrisen-Europa avanciert er inzwischen zur Schlüsselfigur, die deutsche Interessen in den Verhandlungen markiert und europäische Linien definiert. „Für uns ist er der operative Kanzler. Merkel die dekorative Regierungschefin”, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Brüssel. Mit ihm will es sich keiner verderben. Denn Schäuble hat bei der Kanzlerin nicht nur ein offenes Ohr, er hat bei ihr völlig freie Hand.
Während Gabriel den Pfau dieser Regierung gibt, ist Schäuble der Fuchs. Seine Schläue und Erfahrung haben ihn zu einem bemerkenswerten Rollentausch bewogen. Schäuble lässt Gabriel und der SPD viele Bühnen und manch strittige Reform – wie die Rente mit 67 oder den flächendeckenden Mindestlohn. Die wichtigste Entscheidung dieser Regierung aber hat er sich festschreiben lassen – den ausgeglichenen Haushalt und das Ende der Neuverschuldung. Damit beschränkt er die Spielräume der Sozialdemokraten und besetzt die Strategie, während Gabriel nur die taktische Ebene bleibt.
Gabriels Rückhalt bröckelt
Schäuble sucht inzwischen kaum noch von sich aus die Öffentlichkeit. Er regiert in Berlin wie einst Kardinal Richelieu in Frankreich – mit diskreter, absolutistischer Effizienz, und ohne viele Worte. Während andere Spitzenpolitiker jedes Mikrofon und jeden roten Teppich suchen, weiß Schäuble, dass er die Fäden auch so in der Hand hält.
In der CDU ist er mittlerweile – wenn schon nicht wirklich beliebt, so doch – unumstritten und respektiert, manchmal auch gefürchtet. Würde Angela Merkel morgen zurücktreten, das Kanzleramt fiele nicht in die Hände Ursula von der Leyens, schon weil die CSU das nach allen Regeln der Kunst verhindern würde. Er wäre der Mann, den die Unions-Fraktion zum Kanzler machen würde. Wahrscheinlich ist Schäuble heute so mächtig wie noch nie.
Dass Schäuble also der wahre Vizekanzler ist, dräut im politischen Berlin zusehends auch den Hinterbänklern der SPD. Das aber schwächt Gabriels innerparteiliche Position. Denn der SPD-Vorsitzende ist nicht so fest im Sattel wie es einige Monate schien. Seine geschickte Verhandlungstaktik in den Koalitionsgesprächen hat das bitterschlechte Wahlergebnis vorübergehend vergessen und den Eindruck erwecken lassen, dass Gabriel bei den Genossen nun unumstritten sei.
In Wahrheit bröckelt sein Rückhalt, die schlechten Umfragen untergraben seine Autorität. Die Attacke der mächtigen NRW-Vorsitzenden Hannelore Kraft auf den intriganten Führungsstil in Berlin hat ihn schlecht aussehen lassen. Olaf Scholz' Einschätzung von Sigmar Gabriel ist näher bei Verachtung als Bewunderung, mit den alten Rivalen Andrea Nahles und Frank-Walter Steinmeier hat er nur Burgfrieden geschlossen. Seine Generalsekretärin ist bislang – anders als ihr ebenfalls junger Kontrahenten bei der CDU – eine schwache Figur.
Einen hundertprozentigen, starken Verbündeten hat er in der eigenen Partei nicht. Wenn nun nach der Bundestagswahl auch die Europawahl mit einem ähnlich miserablen Ergebnis von runden 25 Prozent ausgehen sollte, dann wird die Gabriel-Diskussion beginnen, zumal auch seine Energiewende-Reformen bislang noch unausgegoren sind und für reichlich Ärger sorgen dürften.
Schäuble kann sich das Treiben in Ruhe aus der Distanz anschauen, er plant strategisch den Null-Neuschuldenhaushalt. Und wenn ihm das als erstem Finanzminister seit einer ganzen Generation gelingt, dann ist er ohnedies mehr als der gefühlte Vizekanzler.
Dieser Kommentar ist Teil der Kolumne "What's right?", die Wolfram Weimer wöchentlich für das Handelsblatt schreibt.
03.05.2014 | 13:42