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Höhere Staatsschulden: langfristig der bessere Deal!

Große Verunsicherung und kleine Zinsen beherrschen derzeit die Märkte. – Abwarten ist trotzdem die völlig falsche Strategie. Warum eine höhere Staatsverschuldung aus einem bestimmten Blickwinkel heraus langfristig der bessere Weg ist.

Von Carsten Mumm

In der aktuellen Situation erheblicher Unsicherheit und allgemein hoher Asset-Preise werden wir von Anlegern häufig gefragt, ob nicht im Halten von Liquidität derzeit die richtige Strategie liegt. Darauf eine klare Antwort: Liquidität ist keine Lösung, sie sollte gerade jetzt auf den Notgroschen beschränkt bleiben. Blicken wir zurück auf die vergangenen Jahre: Wir hatten 2009 die Finanzkrise, daraus resultierend die Staatsschulden- und Griechenland-Krise. Wer heute wartet, bis alles ruhiger wird, wird sehr lange warten – vielleicht sechs oder sieben Jahre. Und die ganze Zeit verliert sein Geld an Kaufkraft, denn für Liquidität gibt es keine Zinsen mehr.

Deshalb muss man heute etwas tun, nicht irgendwann. Festverzinsliche braucht man teilweise trotz niedriger Renditen zur Risikostreuung. Letztlich aber müssen Renditechancen in allen Anlageklassen gesucht und genutzt werden – und zwar dann wenn sie sich ergeben und nicht, wenn man sich damit wohlfühlt. Dabei kommen Aktien, Rohstoffe, Immobilien oder sonstige alternative Anlagen in Betracht. Für Anleger und das Asset Management heißt das: Man braucht Strategien, die dynamisch agieren und prognoseunabhängig sind. Dabei gilt es, prozyklisch zu sein, sich ergebende Trends zu nutzen und eng abgesicherte Stopps oder Absicherungs-Systematiken einzusetzen, um die potenziell irgendwann eintretenden heftigen Verluste zu vermeiden. Abwarten hingegen ist die völlig falsche Strategie.

Am großen Einfluss der Geldpolitik und damit einhergehend strukturell niedrigen Zinsen wird sich auf kurze Sicht wenig ändern. Die EZB wird an der Zinsschraube nicht drehen – das gilt auch für 2017. Und sie wird das Wertpapierkaufprogramm letztlich doch über März hinaus verlängern. Möglich ist sogar, dass sie auch Aktien kaufen wird. Wegen der niedrigen Liquidität im Anleihesegment muss sie sich über neue Anlageklassen Gedanken machen. Voraussetzung für eine Normalisierung der Geldpolitik ist dynamisches Wachstum oder eine überschießende Inflation. Das heißt aber, dass es Jahre vielleicht sogar Jahrzehnte dauern kann. Wir werden uns auf eine lange Zeit einrichten müssen, in der das Zinsniveau auf Null oder zumindest sehr niedrig liegen wird.

Der demographische Faktor

Wir brauchen also Wachstum, aber die Konjunktur ist seit Jahren schwach. Ein Grund dafür ist die schlechte Demographie in den Industrieländern, mit einer großen Ausnahme – den USA. Die US-Ökonomie wächst strukturell stärker als Deutschland oder die Eurozone, weil hierzulande die demographische Entwicklung das Wachstum hemmt. Hinzu kommen die spezifischen Probleme in Europa, wie der Brexit, wodurch sowohl die Industriegüter- und Investitionsnachfrage als auch der Konsum zurückgeworfen werden – auf der Insel, aber auch in Euroland. Ein weiterer globaler Aspekt: In den Schwellenländern gehen die Wachstumsraten strukturell zurück. China zum Beispiel hat mittlerweile ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht. Aktuell wird dort die Wirtschaft umgebaut – weg von der reinen Exportorientierung, hin zu mehr Binnenwirtschaft. Da ist es normal, dass die Wachstumsraten zurückgehen. Indien zeigt zwar ein noch höheres Maß an Dynamik, unter anderem wegen einer besseren Demographie, und hat China als Wachstumslokomotive abgelöst. Das Land ist aber noch nicht stark genug, um China zu ersetzen. Zudem leiden viele Schwellenländer unter den niedrigen Rohstoffpreisen.

Gerade in den Regionen, die für die Weltwirtschaft eine besonders große Rolle spielen, gibt es ein Sättigungsproblem. Potentiell gäbe es zwar Nachrücker. In Afrika zum Beispiel könnten einige Staaten von niedrigem Niveau aus stark wachsen. Aber hier gibt es zu viele strukturelle Probleme, die nicht gelöst sind. Es schlummert viel Potential, wird aber nicht abgerufen. Hinzu kommt tendenziell eine Abkehr von der Globalisierung, die über den Freihandel ein wesentlicher Treiber des Wachstums der vergangenen Jahrzehnte war. Diese Entwicklung wird aktuell eher gestoppt und zum Teil zurückgedreht.

Vor diesem Hintergrund können die Unternehmensgewinne im Durchschnitt nicht mehr so stark wachsen. Das spricht einerseits dafür, Branchen zu favorisieren, die von dieser Konstellation profitieren. Wenn die Menschen älter werden, ist zum Beispiel Pharma ein Thema. Doch nur ein Produktivitätsschub könnte einen allgemeinen Trend zu steigenden Gewinnen auslösen. Dieser könnte von der Digitalisierung ausgehen. Das ist ein interessantes Phänomen, hat insgesamt aber noch nicht zu einer deutlich steigenden Produktivität geführt, zumindest noch nicht in der Breite. Trotzdem könnte die Digitalisierung ein Treiber werden. Deshalb hat auch der Technologiesektor relativ gute Aussichten. Um das Wachstum anzuschieben, müssten fiskalische Impulse kommen, also Investitionen in Infrastruktur, Bildung, und so weiter.

Um hingegen grundlegendes zu ändern, müssten Strukturreformen, zum Beispiel am Arbeitsmarkt, angestoßen werden. Strukturreformen bringen langfristiges Wachstum, Konjunkturprogramme kurzfristiges. Deutschland müsste hier eine führende Rolle eingehen, die Nullzinsen nutzen, sich langfristig verschulden und in Infrastruktur und Bildung investieren. Meines Erachtens sollten wir nicht auf Teufel komm raus unsere Schulden reduzieren – zumindest hier bringt der Nullzins erhebliche Chancen, die genutzt werden sollten.

Carsten Mumm ist Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel.

07.11.2016 | 15:09

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