
Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), fordert politische Klarheit und stabile Rahmenbedingungen für eine zukunftssichere Gesundheitsversorgung in Deutschland. (Foto: BPI, Kruppa)
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Krise im Gesundheitssystem: BPI-Hauptgeschäftsführer Joachimsen fordert klare Reformen
Wirtschaftskurier: Wie gesund ist das Gesundheitssystem?
Kai Joachimsen: Es bahnt sich eine Krise an. Steigende Zusatzbeiträge, Fachkräftemangel und schleppende Digitalisierung sind hier nur einige Symptome. Zwar haben sich die Probleme innerhalb von Jahrzehnten entwickelt. Die Flickschusterei im Gesundheitssystem hat aber nicht im Geringsten dazu geführt, das Steuer herumzureißen. Obwohl es zuletzt, etwa beim Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz und dem Medizinforschungsgesetz, durchaus richtige -Ansätze in der Gesundheitspolitik gab.
Ansätze sind keine Lösung.
Kai Joachimsen: Es war richtig, zur Verbesserung der Versorgungslage bei der Preisbildung anzusetzen. Allerdings hätten die kurzfristigen Entlastungen nicht nur die medial prominenten Kinderarzneimittel und Antibiotika, sondern alle Arzneimittel der Grundversorgung viel stärker in den Fokus nehmen sollen. Das wäre ein großer Wurf gewesen, der einen wirksamen Beitrag bei der Bekämpfung der Lieferengpässe geleistet hätte. Auch beim Medizinforschungsgesetz hat der Bundesgesundheitsminister grundsätzlich die richtige Richtung eingeschlagen und Anreize gesetzt, indem etwa die von uns als BPI immer wieder geforderten beschleunigten und vereinfachten Genehmigungs- und Anzeigeverfahren für -sichere klinische Prüfungen umgesetzt wurden.
Was ist nötig?
Kai Joachimsen: Ein Umdenken hin zu einem System, das auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet ist und flexibel genug bleibt, um unerwartete Entwicklungen zu meistern. Deswegen haben wir als BPI die -Initiative „Gute Gesundheit 2030 – -Gesundheit zusammen neu denken und dauerhaft besser machen“ ins Leben gerufen. Wir glauben, wir müssen endlich das Sektorendenken überwinden, den notwendigen Paradigmenwechsel aus dem System heraus herbeiführen, um akute Herausforderungen im Gesundheitswesen ganzheitlich zu betrachten.
Was wünschen Sie sich von der -Bundesregierung für die Branche?
Kai Joachimsen: Politische Klarheit – auch mit Blick auf Prioritäten. Es ist entscheidend, dass die Bundesregierung ihre politische Neuordnung nicht in die Länge zieht, sondern schnell für einen zukunftsfesten Wirtschafts- und Wachstumskurs sorgt. Die pharmazeutische Branche braucht dringend verlässliche Rahmenbedingungen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten – das sind wir unseren Patientinnen und Patienten schuldig. Die Überregulierung hat sich in der pharmazeutischen Industrie immer mehr zu einem Schraubstock entwickelt, der den Unternehmen die Luft für Innovation und Forschung und damit die Zukunftsorientierung abschnürt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Produktion. Unsere Industrie braucht Planungssicherheit. Solange jedoch die Preise immer wieder erneut herunterreguliert werden, können Unternehmen keine stabilen Produktionsbedingungen vorfinden.
Heißt im Detail?
Kai Joachimsen: Damit Deutschland wieder als Studien-, Forschungs- aber auch Produktionsstandort attraktiv wird, braucht es mehr Anstrengungen, gerade im Bereich der Erstattungspolitik. Es müssen die Fehlentwicklungen unter anderem bei den AMNOG-Leitplanken und Abschlägen für Kombinationstherapien dringend korrigiert werden. Denn ein politisches Bekenntnis zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten erfordert auch eine faire Honorierung von Forschungsergebnissen. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz konterkariert in seiner jetzigen Gestalt die guten Absichten der Pharmastrategie und des Medizinforschungsgesetzes. Hier muss die neue Bundesregierung nachsteuern.
Geld müsste vorhanden sein im System.
Kai Joachimsen: Allein die Menge an verschiedenen Preisregelungen schränkt Unternehmen enorm ein: Festbeträge, AMNOG-Rabatte, Rabattverträge, Importklauseln, Herstellerabschläge, Kombiabschläge, die dezentralen Regulierungen durch 17 Kassenärztliche Vereinigungen mit Quoten, Leitsub-stanzen sowie Ampelsysteme – um nur einige zu nennen. Dies belastet pharmazeutische Unternehmen jährlich mit mehr als 20 Milliarden Euro. Und die Mittel fehlen dann an anderer Stelle für Innovationen, Forschung, Entwicklung und zukunftsorientierte Industriepolitik in Deutschland.
Wobei Themen der Regulierung ja nicht nur national sind.
Kai Joachimsen: Klar. Auch aus der EU-Politik kommen mitunter kontraproduktive Regelungen, die dem Pharmastandort Deutschland und damit nicht zuletzt auch dem Wirtschaftsstandort Europa massiv schaden können. Ein Beispiel ist die EU-Kommunalabwasser-Richtlinie. Auch wenn wir als BPI selbstverständlich die Umweltziele der EU sowie allgemein den Schutz von Umwelt und Gesundheit unterstützen.
Aber?
Kai Joachimsen: Wir kritisieren deutlich, dass die geplante Regelung zur Finanzierung einer neuen Reinigungsstufe in Kläranlagen für Spurenstoffeinträge im Abwasser zu großen Teilen die pharmazeutische Industrie in die Pflicht nehmen will. Wir sehen die medizinische Versorgung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an und fordern daher, dass auch die Kosten für solche Umweltmaßnahmen solidarisch von allen Verursachern getragen werden.
Was stört Sie besonders?
Kai Joachimsen: Die massive Belastung der Unternehmen steht im Widerspruch zur politisch gewollten Stärkung des Pharmastandorts. Vor allem aber wird sie das Problem der Medikamentenknappheit verstärken und zu Engpässen bislang ungeahnten Ausmaßes führen. Deshalb muss die Bundesregierung auf eine nationale Schadensbegrenzung achten und der einseitigen Belastung der Pharmaunternehmen entgegenwirken.
Was können Sie als Verband tun?
Kai Joachimsen: Der BPI setzt auf gesundheits- und wirtschaftspolitischen Dialog. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Mai 2024 begrüßten wir den damaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sowie Friedrich Merz (CDU) auf der BPI-Hauptversammlung – ein klares Zeichen dafür, dass die Bedeutung stabiler Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie parteiübergreifend anerkannt wurde. Wir haben zudem in zahlreichen wirtschaftspolitischen Gesprächen und dem regelmäßigen Round Table Gesundheitswirtschaft im Bundesministerium für Wirtschaft darauf hingewiesen, dass zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland auch dazugehört, Bürokratie abzubauen. Das Standortthema ist aufgrund zahlreicher bürokratischer Lasten für viele pharmazeutische Unternehmen mit existenziellen Fragen verbunden. Wie die neue Bundesregierung darüber hinaus mit gutem „Pharmatempo“ in die neue Legislatur starten kann, zeigt unser Masterplan Pharma. Er bietet politischen Entscheidungsträgern einen kompakten Fahrplan.
Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
28.04.2025 | 20:25