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Facebook: auf ein Gesetz gekommen

Tech-Branche weckt zunehmend Interesse der Regulierer. Sie kann nun versuchen, die Regulierung zu beeinflussen. Oder sich unterordnen. Oder, wie Uber, sie ignorieren. Sie kann sich aber auch der Kontrolle entziehen, indem sie auf neue, unregulierte Technologien umsteigt. So gewinnt im Kontext des Netzdurchsetzungsgesetzes die Frage, ob es Facebook in zehn Jahren noch gibt, eine neue Dimension.

Von Aleksandra Sowa

Die Frage, ob es Facebook in zehn Jahren noch gibt, erlangte mit dem erst kürzlich vom Bundestag beschlossenen Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG) eine neue Aktualität. Nicht, weil das neue Gesetz eine wirklich strenge, neuartige oder smarte Regulierung bedeuten würde. Nach Auffassung des Justizministers sollte das NetzDG lediglich ein effektives Beschwerdemanagement ermöglichen, indem es Plattformen wie Facebook Löschpflichten für „offensichtlich strafbare“ Inhalte innerhalb von 24 Stunden – und in Fällen, die gründlicher Prüfung bedürfen, binnen sieben Tagen ‒ auferlegt. Sonst drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Diese Löschpflichten, so der Justizminister, gelten jetzt schon – man möchte mit dem neuen Gesetz nun sichergehen, dass sie durchgesetzt werden.

Kritiker sehen unter anderem die Gefahr des Overblocking – wenn soziale Netzwerke harmlose Inhalte eher löschen, als das Risiko von Bußgeldern in Millionenhöhe einzugehen. Es würde die Entscheidung, was legal ist und was nicht, auf Unternehmen wie Facebook verlagern, wehrte sich die Sprecherin des Unternehmens in Berlin. Der Justizminister widersprach. Da das Beschwerdemanagement andere Plattformen wie Suchmaschinen etc. aus der Löschpflicht ausschließt, verschaffte dies dem NetzDG eine neue Bezeichnung: das „Facebook-Gesetz“.

Es ist nicht das Löschen der Inhalte oder Sperren der Benutzer, was für Plattformen wie Twitter oder Facebook neu ist. Ganz im Gegenteil: „Facebook versteht sich – anders als Google – als ,safe place‘ und nicht als Hüter der Meinungsfreiheit. Löschen passt zum Geschäftsmodell“, erklärte Professor Niko Härting. Im Netz häuften sich auch in den vergangenen Jahren Beschwerden und Hilferufe der Nutzer, die (offenbar) grundlos gesperrt wurden oder von deren Fotos von Geburtstagstorten, Kinderfeiern, Hochzeiten oder Urlauben gelöscht worden sind. Von so manchen wurden vollständige Foto-Galerien inklusive einst online ausgestellter Kunstwerke gelöscht. Gründe? Intransparent. Beschwerden? Hoffnungslos. Widerstand? Zwecklos. Die Löschungen, erklärte Laura-Kristine Krause auf dem Kongress #DigiDemos der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, würden sich am amerikanischen Konsens orientieren – nicht an europäischen moralischen und gesellschaftlichen Wertevorstellungen. So dominiert die amerikanische Weltauffassung das Internet, aus dem Kinderfotos und Nacktbilder alsbald vollständig verbannt zu sein drohen.

Homo ludens

Durch die Löschpraxis des Konzerns sind viele Nutzer verärgert. Und das nicht erst seit dem Beschluss des NetzDG. Könnte die Erweiterung der Löschpflichten auf strafbare Inhalte und das befürchtete Overblocking zum Nutzerschwund führen – oder wenigstens zu einer steigenden Anzahl passiver Nutzer ‒ und so die Abkehr vom Massentrend, zu dem Social Media geworden sind, einläuten? Eventuell hat das NetzDG nicht das Potential, Unternehmen wie Facebook ernsthaft zu schaden, könnte aber, unter bestimmten Bedingungen, das Ende eines Trends beschleunigen.

Denn die Nutzer sind nicht nur genervt. Sie sind auch zunehmend gelangweilt. Dies liegt nicht nur in der Natur des Menschen, der sich mit seinen Gadgets und Spielzeugen immer schneller langweilt und sie wegwirft, bevor sie kaputtgehen, und nach neuem Zeitvertreib sucht. Nachdem das hundertste Foto von einer Mahlzeit gepostet, geteilt und geliked wurde, ist das einzig Aufregende an dem Fooding noch das Blut, das aus dem Steak fließt (Roberto Simanowski).

Das Abflachen des Trends liegt auch in der ökonomischen Natur von Sozial Media begründet. Internetplattformen– wie alle Informationsgüter – unterliegen dem wirtschaftlichen Dictum. Sie verhalten sich sogar geradezu vorbildlich gegenüber den traditionellen Informationsgütern, wie Carl Shapiro und Hal Varian in „Information Rules“ feststellten. Es sind Erlebnisgüter, für die der Konsument nicht mehr zu zahlen bereit ist, sobald sie konsumiert wurden. Was den Nutzer dennoch dazu veranlasst, für etwa das „Wall Street Journal“ 75 Cent zu zahlen, sei sein Brand (Marke) und seine Reputation. Es hat sich in der Vergangenheit bereits als nützlich erwiesen, die Zeitung zu lesen, also wird das „Erlebnis“ wiederholt. Das trifft auf Zeitungen und Magazine zu – und es trifft ebenfalls auf die Erlebnisgüter im kommerziellen Internet zu.

Wenn man heute den Jugendlichen die Frage nach der Nutzung von Facebook stellt, bekommt man keinen Begeisterungsaufschrei mehr. Facebook? Sie würden kein Facebook nutzen, das sei was für die Alten, also „40 plus“ oder gar noch älter. Die Jugend schwört dagegen auf WhatsApp und Snapchat. Dies drückt sich auch in den aktuellen Nutzerzahlen aus: WhatsApp zählt inzwischen 1,2 Milliarden Nutzer, Snapchat kommt immerhin auf etwas weniger als Twitter: rund dreihunderttausend. In den Sensibilisierungsvorträgen über Social Media in den Schulen bestätigen Schüler, keinem Netzwerk angehören zu wollen, in dem auch ihre Eltern Mitglied sind – und sie beobachten können.

Game over

So erhält man immer öfter auf die Frage, weshalb man überhaupt noch Facebook-Mitglied sei, den Verweis auf die „anderen“. Der gesellschaftliche Druck, das Herdenverhalten, das Gruppenzugehörigkeitsgefühl. Und die Tatsache, dass man, ohne Mitglied zu sein, kaum eine Chance hat, zu erfahren, wann und wo das nächste Volksfest stattfindet, wann die Sauna geschlossen und die Kirche geöffnet hat. Laut aktueller Zahlen hat Facebook mehr als 1,8 Milliarden Nutzer – mehr als die Bevölkerung Chinas oder Indien. Dabei wollen kein Bürgermeister, kein Kiosk, keine Partei und keine Pfarrei, die so Geld für ihre eigene Webseite sparen, fehlen.

Vielleicht heißt es für Facebook dennoch in absehbarer Zeit „game over“. Social Media werden vergehen wie die anderen Trends, wie Hula Hoop, Rubik-Würfel oder Second Life (erinnert sich noch wer?). Und doch wird das Ende von Facebook nicht unbedingt auch das Ende des Unternehmens Facebook oder des Unternehmers Marc Zuckerberg bedeuten. Denn dann kann das neue, große Geschäft mit den Daten beginnen, mit denen die Nutzer das Netzwerk über die Jahre freiwillig versorgt haben. Das Problem mit der Regulierung der Tech-Unternehmen sei, dass diese, konfrontiert mit neuen, strengen Regeln, sich aus der Regulierung herausentwickeln können, was häufig geschieht, indem sie auf neue, unregulierte Technologien umswitchen, kommentierte Evgeny Morozov in The Guardian die schwindelerregende Strafe von 2,42 Milliarden Euro, die die Europäische Kommission dem Alphabet (Google) auferlegt hatte. Es sei nichts leichter für die Tech-Konzerne, als das alte Geschäftsmodell aufzugeben, um die Regulierung umzugehen. Und das Geschäft mit den personenbezogenen Daten bleibt weitgehend unreguliert ‒ auch Bußgelder von bis zu vier Prozent des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes im vorangegangenen Geschäftsjahr bei Verstoß gegen die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) liegen immer noch weit unter den Strafen bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht.

Data lives forever

Das neue Geschäftsmodell von Facebook könnte beispielsweise das kostenpflichtige Löschen von Daten aus dem Internet umfassen, was genauer genommen eine Kommerzialisierung der Umsetzung der Anforderung aus dem NetzDG – und darüber hinaus – bedeuten würde. Jeder hat das Recht darauf, dass beleidigende bzw. rechtswidrige Inhalte aus dem Netz gelöscht werden; niemand sagte, dass es dieses Recht umsonst geben muss. Unsere Zahlungsbereitschaft, Inhalte zu entfernen, die entweder unsere Jugendsünden dokumentieren, peinliche Fotos und Texte beinhalten, würde steigen, sobald diese Inhalte sich zum Nachteil auswirken können oder nicht mehr unseren Wertevorstellungen entsprechen. „In der Vergangenheit habe ich Männer geheiratet, die ich heute nicht mal zum Kaffee einladen würde“, sollte Elisabeth Taylor gesagt haben.

Die Gefahr der digitalen Überwachung liegt weniger in der Tatsache begründet, dass die Daten gesammelt werden, sondern vielmehr darin, was mit diesen Daten passiert, nachdem sie gesammelt wurden, erklärte einer der bekanntesten Hacker der Welt, Kevin Mitnick, in „The Art of Invisibility“: Daten von heute, gesammelt oft ohne Kontext, werden ewig leben. Die Konsequenzen können existenziell sein: bei der Jobsuche, Beförderung, beim Versicherungsabschluss, bei der Einreise in ein anderes Land – oder bei etwas so Selbstverständlichem wie der Ausgabe eines Bibliothekausweises, wozu das neue Bürger-Scoring in China unter anderem verwendet wird.

Kevin Mitnick erinnert an den Hinweis von Moxie Marlinspike, dass der Besitz von kleinen Seekrebsen in den USA eine Straftat ist. Man kann auch ganz unbewusst eine Menge verschiedener kleiner Gesetze gebrochen – und die Spuren im Internet verteilt haben. Das Facebook-Gesetz hilft nur bei dem, was nach den deutschen Gesetzen „offensichtlich strafbar“ ist, und auch nur wenn es in Sozialen Netzwerken zu finden ist. Der Rest des Internet bleibt davon unberührt. Weil wir diese Informationen nicht selbst sehen können, glauben wir, sie sind auch für unsere Ex, Chefs oder Regierungen unsichtbar. Ein Trugschluss. Unschuldig sind wir vermutlich nur solange, bis jemand sie gefunden und gegen uns verwendet hat. Und daraus ein einträchtiges Geschäftsmodell – „etwas mit den Daten“ – gemacht hat.

Aleksandra Sowa leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst-​​Görtz-​​Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Sie ist Autorin diverser Bücher und Fachpublikationen, Mitglied des legendären Virtuellen Ortsvereins (VOV) der SPD und aktuell für einen Telekommunikationskonzern tätig.

06.07.2017 | 14:05

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