Das Tiefdruckgebiet der SPD
Die SPD kürt Olaf Scholz frühzeitig zu einem respektablen Kanzlerkandidaten. Sein Hauptziel: Die Grünen wieder überholen. Sein Hauptchance: eine mittige Positionierung. Sein Hauptproblem: Saskia Esken und der Linksruck in der Partei.
Für SPD-Optimisten weht ein Hauch von Helmut Schmidt durch die Partei. Mit dem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz rücke nach 40 Jahren wieder dieser sachlich-staatsmännische Hanseatismus an die Spitze der SPD. Die ersten Reaktionen auf die Nominierung sind weithin freundlich, denn Scholz ist ein solider Sach-Politiker der leisen Töne, bürgerlich anschlussfähig, in Umfragen beliebt und als Vize-Kanzler wie Finanzminister in der Corona-Krise auch eine Vertrauensfigur der verunsicherten Nation. Dass er zugleich den Charme einer Wandelschuldverschreibung versprüht, wahlweise als introvertierter „Herr Dröge“ oder Plattitüden produzierender „Scholzomat“ verspottet wird, schadet seinem Ansehen nicht wirklich. Es untermalt das Seriöse an ihm, eine Kategorie, die in verängstigten Zeiten besonders geschätzt wird.
Meisterstück des Generalsekretärs
Für SPD-Analysten schafft sich die Partei mit der frühen Nominierung des Kanzlerkandidaten eine Aura von Selbstverständlichkeit und Autorität . Ein seltener Genuss für Sozialdemokraten. Es ist ein kleines politisches Meisterstück des Generalsekretärs Lars Klingbeil, dass er nach all den Gemetzeln unter den Parteiflügeln, aber auch zwischen dem Kandidaten und den beiden Vorsitzenden, die Nominierung so geräuschlos eingefädelt hat. Klingbeil kann nun - erstmals nach vielen kurzatmig verstolperten Bundestagswahlkämpfen - den Urnengang 2021 systematisch und ruhig vorbereiten. Das ist ein strategischer Vorteil, denn alle anderen Parteien können das noch lange nicht, haben ihre Machtfragen ungeklärt. In der Union ringen Armin Laschet, Friedrich Merz, Jens Spahn und Markus Söder um die Merkel-Nachfolge. Bei den Grünen ist die Machtfrage zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck eine offene Wunde. Bei der FDP knirscht es zwischen Christian Lindner und seiner Generalsekretärin. Die Linkspartei sucht verkrampft eine neue Führung und die AfD versinkt sogar in einem offenen Machtkampf der Flügel. Da wirkt das SPD-Hoch Olaf beinahe wie eine stabile Sonnenwetterlage inmitten von politischen Sommergewittern bei den anderen.
Für SPD-Pessimisten dräut dem Sommerhoch gleichwohl Ungemach. Zum einen von der Konkurrenz, vor allem von den Klimawechslern rund um Habeck. Denn der eigentliche politische Gegner von Olaf Scholz ist nicht die Union, die ist zu weit voraus, mehr als doppelt so stark in den Umfragen. Er wird sich mit den Grünen einen heißen Kampf um den Platz der zweitstärksten Partei liefern. Die Grünen dürften alsbald mit Attacken auf die SPD beginnen. Ein „Seifenkistenrennen der Kellerkinder“ stehe an, witzelt man in der CDU. Die SPD-Chancen, die grüne Konkurrenz zu überholen, stehen gar nicht schlecht, denn die Grünen schwächeln in der Coronakrise mächtig, der einstige Publikumsliebling Robert Habeck stürzt regelrecht ab und wirkt plötzlich wie ein entrückter Gaukler des politischen Betriebs.
Daher brauen sich die größten Gewitterwolken für Hoch Olaf in der eigenen Partei zusammen. Die SPD-Vorsitzende hat zwar steif lächelnd akzeptiert, dass Scholz der mit Abstand beste Kandidat ist. Aber Rückenwind oder gar Schönwetter kann er von ihr nicht erwarten. Esken ist programmatisch so weit von Scholz entfernt wie schwäbische Maultaschen vom Hamburghering.
Sachwalter des Linksrucks
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sehen sich explizit als Sachverwalter eines Linksrucks der Partei. Sie wollen die erfolgreiche Agenda-Politik der letzten SPD-Kanzlerschaft unter Gerhard Schröder komplett revidieren, Olaf Scholz hingegen weiß, dass Deutschland Aufschwung des vergangenen Jahrzehnts just den Agendareformen mit zu verdanken sind.
Also stellen die beiden Vorsitzenden den populären und mittigen Olaf Scholz ins helle SPD-Schaufenster, streichen aber den politischen Laden dahinter dunkelrot an. So verkündete Esken just einen Tag vor der Nominierung, dass man in der nächsten Legislaturperiode „ein progressives Bündnis“ anstrebe - eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken. Die Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei sei "möglich und denkbar“.
Das ist ein Fanal für die deutsche Politik, bei der bislang der Grundsatz galt, Nachfolgeparteien von Diktaturen von der Bundesregierung konsequent auszuschließen. Auch Olaf Scholz hat diese Position bislang vertreten. Nun startet er aber mit einem riesigen Ballast in den Wahlkampf. Das Thema rot-rot-grüne Regierung hat ihm Esken auf die Stirn geschrieben.
Sie wird es dabei nicht belassen. Schon in den vergangene Monaten waren die beiden SPD-Vorsitzenden eine Belastung für die Partei. Esken schwadroniert von Enteignungen , schwärmt vom Sozialismus und wirkt medial dabei wie eine „sadistische Sozialkundelehrerin“ (Focus). Dass sie in ihrer Sehnsucht nach Rot-rot-grün sogar bereit ist, als Juniorpartner der Grünen in ein solches Linksbündnis einzusteigen, klingt besonders bitter für Scholz. Denn mit dieser Ungeschicklichkeit erklärt Esken zugleich, dass man Scholz den Wahlsieg in Wahrheit nicht zutraue.
Krude Querschläger
Während der Coronakrise ist Esken bereits durch krude Querschläger und plumpe Vorschläge aus ideologischen Mottenkisten aufgefallen. Bei ihr spürt man fehlende politische Erfahrung, sie hat noch nie ein gewähltes Mandat errungen. Ihr höchstes öffentliches Amt war der Vizevorsitz im Landeselternbeirat Baden-Württemberg. Ihren Wahlkreis verlor sie zweimal und erlangte ein Mandat nur über die Landesliste.
Doch hinter Esken und Borjans - und das macht das Problem für Scholz größer - steht eine breite Bewegung innerhalb der SPD, die den Linksruck endlich vollziehen und die Ära der groß-koalitionären Kompromisse beenden will. Ihre Leitfigur ist Kevin Kühnert. Esken und Walter-Borjans wären ohne seine Unterstützung und die Stimmen der vielen Juso-Mitglieder niemals Parteichefs geworden. Esken ist im Schlepptau Borjans ins Amt gekommen und seither ein Alptraum für die Willy-Brandt-Zentrale.
Fazit: Das nordische Sommerhoch Olaf muss man als gefährdet einstufen. Das große Tiefdruckgebiet der Partei liegt über Baden-Württemberg und heißt Saskia Esken.
WW
17.08.2020 | 13:18