Schäuble, der eiserne Sparer
Der Bundesfinanzminister kämpft um solide Haushalte. Doch mit der schwächelnden Konjunktur wollen viele den Geldhahn wieder aufdrehen. Damit steht Wolfgang Schäuble plötzlich im Feuer.
Wolfgang Schäuble wird derzeit bestürmt wie ein Wiesnwirt auf dem Oktoberfest, von dem plötzlich alle Freibier wollen. Der Finanzminister hat für 2015 einen Haushalt vorgelegt, der endlich einmal ohne neue Schulden auskommt. Eigentlich sollte das normal sein - nur so viel auszugeben, wie man einnimmt. Der Bund aber hat das seit 1969 nicht mehr hinbekommen, und die deutsche Staatsschuld ist mit den Jahrzehnten der Schuldenpolitik auf bedrohliche 2,2 Billionen Euro angewachsen.
Schäuble will endlich raus aus der Schuldenspirale, doch seine seriöse Haushaltsplanung wird ihm nicht gedankt. Kaum schwächt sich die Konjunktur ein wenig ab, da wird der Finanzminister von allen Seiten bestürmt, er möge doch das Schuldenfreibier wieder ausschenken. Die "schwarze Null" sei ein "sinnloses Prestigeprojekt". Vor allem das linke Spektrum von Politik, Publizistik und Wirtschaftsforschern ruft nach mehr Ausgaben und neuen Krediten als gäbe es die 2,2 Billionen nicht. Die "Zeit" fleht: "Herr Schäuble, geben Sie nach". Die "Süddeutsche" mahnt: "Warum Schäuble handeln muss". Im "Spiegel" wird gar allen Ernstes gefordert: "Wir brauchen jetzt ein Billionen-Aufbauprogramm für den ganzen Euroraum".
Wo bislang nur französische und italienische Sozialisten von Berlin den Marsch in die weitere Neuverschuldung verlangen, stimmt inzwischen auch die SPD-Linke in den Freibier-Tenor ein. Deren wirtschaftspolitischer Vordenker, Marcel Fratzscher (Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung) formuliert im Ton eines Oppositionsführers: "Die Politik der schwarzen Null ist kontraproduktiv und sendet ein falsches Signal an Europa und die deutsche Wirtschaft. Die Bundesregierung sollte umdenken und umlenken, und mit einem klaren Bekenntnis zu einer expansiveren Finanzpolitik einer konjunkturellen Abschwächung entgegenwirken. Nur eine Regierung, die signalisiert, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt hat, kann das Vertrauen in die deutsche und europäische Wirtschaft stärken."
Feuer unterm Koalitionsdach
Für die Bundesregierung wird die "Schwarze-Null-Debatte" zusehends zur Koalitionskrise. SPD-Vize Ralf Stegner fordert im Gefolge Fratzschers lauthals ein Öffnen der Geldschleusen ("Die schwarze Null ist eben keine sozialdemokratische Null"), woraufhin ihn CDU-Generalsekretär Peter Tauber in unmissverständlicher Deutlichkeit ("Die rote Null ist Herr Stegner") abkanzelt. Doch Stegner & Co. bleiben bei der Forderung nach "Investitionen in Bildung und Infrastruktur"; dafür müsse man neue Milliardenkredite aufnehmen: "Das rechnet sich unter dem Strich." Das seien "gute Schulden".
Kurzum: Es ist Feuer unter dem Dach der Koalition. Und in der Mitte des Brandherds sitzt Wolfgang Schäuble. Doch der wird immer dann besonders stark, wenn es knistert und kracht. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass er Kurs halten und sich die schwarze Null nicht nehmen lassen wird. Und das aus drei guten Gründen:
Erstens sei der ausgeglichene Haushalt ein Gebot seriöser Staatsführung. Deutschland versuche seit einiger Zeit, Europa auf den Weg der Stabilitätspolitik zu führen, da wäre eine Abkehr von diesem Kurs - ausgerechnet in Berlin! - ein fatales Signal. Die Schuldtürme Europas hätten in der Krise bereits bedenklich gewankt, so dass es ein Akt stabilitätspolitischer Verantwortung sei, hier nicht weiter hoch zu stapeln. Europa müsse sich Strukturreformen unterziehen, müsse seine Wettbewerbsfähigkeit zurück erlangen und sich vom süßen Gift der Schuldenpolitik endlich befreien.
Zweitens ist der ausgeglichene Haushalt eine Frage der Selbstachtung der Union in dieser Regierung. CDU und CSU haben in der Großen Koalition der SPD eine Reihe von umstrittenen Projekten (Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse, Energieplanwirtschaft) zugestanden. Im Gegenzug gibt es fast kein erkennbares Projekt der Union - nur eben den ausgeglichenen Haushalt. Das ist Merkels und Schäubles Hauptziel dieser Legislatur. Ihre Strategie war es, die SPD über den Haushalt zu disziplinieren. Daher versteht die CDU auch keinen Spaß bei der Schwarze-Null-Debatte. Denn es geht dabei um nicht weniger als die Grundbalance dieser Koalition. Schäuble kann darum in dieser Frage nicht einknicken - zumal es unter Wirtschaftsliberalen und Konservativen schon genug Frust über die Agenda-Revisionspolitik der Großen Koalition gibt.
Drittens ist Schäuble ein zuverlässiger, sparsamer, zuweilen sturer Badener. Sein ganzes Naturell steht einem Umfallen in der Schuldenfrage entgegen. Seine politische Glaubwürdigkeit als gefühlter Sparkanzler Deutschlands steht auf dem Spiel. Es geht bei der schwarzen Null also auch um ein Zentralstück seines Lebenswerks. Er steht kurz davor, dass ihm endlich gelingt, was viele Finanzminister vor ihm nicht vermochten. Sie alle strebten nach einem ausgeglichenen Haushalt, doch allen kam irgendwann der kollektive Lobbyismus des Geldausgebens in die Quere. Doch Schäuble ist aus besonderem Holz. Er will beweisen, dass Politik sich Autorität durch Konsequenz erwerben kann.
Wolfgang Schäuble ist gerade 72 Jahre alt geworden, er ist seit 1972 bereits Mitglied des Bundestags und damit dienstältester Abgeordneter in der Geschichte der Bundesrepublik. Er war Kanzleramtschef, Innenminister, Fraktionschef, Fast-Kanzler. 1990 wurde er Opfer eines Attentates und ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Kurzum: Er ist in Erfolgen wie Verwundungen der erfahrenste Politfuchs Berlins. Den linken Freibier-Ansturm auf seinen Haushalt wird er abwehren, um Haushaltskonsolidierung und Schuldenbremse zu verteidigen. Auch wenn es wieder einmal einsam werden wird um den Eisernen, den gefühlten Kanzler des Geldes.
Wolfgang Schäuble ist "Person der Woche" in Wolfram Weimers Kommentar für n-tv.de.
14.10.2014 | 09:29