Kurz-Nachfolger Schallenberg: „Es gibt eine Kraft des Faktischen“
Alexander Schallenberg übernimmt das Amt des Kanzlers von Sebastian Kurz. Vor wenigen Tagen erst hatte er sich dem WirtschaftsKurier zum Gespräch getroffen. Erlebt haben wir einen Diplomaten vom Scheitel bis zu Sohle, der sich nicht lange mit Vorreden aufhält, sondern vor allem eines ist: ein Pragmatiker durch und durch.
Regierungen kommen, Regierungen gehen, manch ein Minister bleibt bestehen und am Ende dreht sich die Sache so, dass es für ihn besonders gut läuft: Alexander Schallenberg ist so einer. In Deutschland hieße der Sohn einer Diplomatenfamilie „von“ Schallenberg. Aber die Österreicher sind in manchem sehr gründlich, sie haben mit dem Adel das „von“ gleich mit abgeschafft. Alexander Schallenberg also, 52jähriger ehemaliger Außenminister und seit einigen Stunden neuer Kanzler von Österreich war vorher der einzige Minister, der es aus der Zwischenregierung vor Sebastian Kurz in die schwarz-grüne Regierung von Kanzler Kurz geschafft hatte. Er war so etwas wie der „elder statesman“ in jenem Küchenkabinett, das der Ex-Kanzler um sich geschart hatte. Jetzt ist er selbst an die Spitze dieses Kabinetts gerückt. Wer ist Alexander Schallenberg?
Vor allem ein Pragmatiker. Einer der guckt, was geht, und mit wem etwas geht. „Es gibt eine Kraft des Faktischen“, sagt Schallenberg im Gespräch mit dem WirtschaftsKurier. Als Außenminister habe er sich die Welt nicht aussuchen können. Als Kanzler kann er es genauso wenig. „Das ist vielleicht gerade intellektuell für die Grünen eine Herausforderung“, fügt er mit einem kleinen Seitenhieb auf den Koalitionspartner in Österreich hinzu. Er erinnert daran, dass die grüne Partei in seinem Land einmal den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien gefordert hat. „Das ist vielleicht ein legitimer Ansatz“, sagt Schallenberg. Nur zu Ende gedacht bedeute das: „Am Schluss bleiben nur noch die Schweiz und Liechtenstein.“ Es gebe im Job eines Politikers ein gerütteltes Maß an Pragmatismus. Als Außenminister hat er das mit seinen ständig wechselnden Verhandlungspartnern erlebt, als Kanzler wird er es nun auch in der Innenpolitik so handhaben müssen.
Schallenbergs praktische Weltanschauung beruht darauf, dass er die Welt auch wirklich angeschaut hat. Als Kind hat er mit den Eltern mal in Paris, mal in Neu Dehli gelebt, je nachdem, wohin es den Vater als Botschafter seines Landes gerade verschlug. Der Jurist ging später ans Europa-Kolleg nach Brügge und erkor die europäische Integration zu seinem Spezialgebiet. Er sieht sie als „Huckelpiste mit Schlaglöchern, manche sind halt sehr, sehr tief. Aber wir sehen die Straße“, sagt er. Vom Pressesprecher der Außenministerin stieg er auf und übernahm die europapolitische Abteilung in Sebastian Kurz‘ Kanzleramt. Als sein Chef das erste Mal zurücktrat, wurde Schallenberg Außenminister. Und als Kurz dann wieder ins Kanzleramt einzog, beließen es die beiden Männer bei ihrer Form der Gewaltenteilung: Der eine baute die Bühne für den anderen, jedenfalls die außenpolitische. Und Schallenberg hatte stets soviel Loyalität im Blut, dass er, wenn die Bühne gebaut war, dem Chef den Vortritt ließ.
Dabei formte er seine eigenen ganz praktischen Ansichten. Afghanistan? „Hat das Potenzial zu einem sicherheitspolitischen, schwarzen Loch zu werden.“ Die Beziehung zu den USA? „Das transatlantische Verhältnis steht noch immer im Mittelpunkt unserer Außenpolitik.“ Der Brexit? „Wir müssen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Großbritannien hat die EU verlassen, aber nicht Europa.“ Und er kannte seine eigenen Grenzen: Außenpolitik eigne sich nicht als Thema für Wahlkämpfe. Den Menschen gehe es um Miete, Gesundheit, Bildung, „das brennt den Leuten unter den Nägeln. Und das ist auch richtig so.“ Manche Diplomaten bedauerten das, allerdings währt das Bedauern oft nur so lange, bis doch ein außenpolitisches Thema ganz nach oben koche. Dann merkten die lieben Kollegen, dass es seine unangenehmen Seiten haben kann, im Fokus zu stehen.
Schallenberg weiß auch, wie das ist: Als sein Land in der Pandemie die Grenzen schloss, hagelte es Kritik. „Das machen wir nicht nochmal“, sagt Schallenberg inzwischen. „Wir sind bei einer Impfquote von 60 bis 70 Prozent. Wir müssen die letzten 15 bis 20 Prozent auch noch schaffen. Der Rest wird es nicht machen. Es gibt auch keine Impfpflicht, jeder muss das frei entscheiden. Aber dass wir sozusagen eine Pandemie der Ungeimpften haben und deswegen in einen Lockdown gehen, das wäre demokratiepolitisch sehr erstaunlich.“ Er hätte auch „undemokratisch“ sagen können, aber das wäre nicht die hohe Schule der Diplomatie.
Und die kann er jetzt brauchen: mit einem gefallenen Kanzler im Rücken, der jahrelang sein Mentor war, der jetzt mächtiger Fraktionsvorsitzender der größten Partei im Lande ist und der immer noch so etwas wie Gefolgschaft von Schallenberg erwarten dürfte. Und mit einem Koalitionspartner an der Seite, den Grünen, die ihm dann die Partnerschaft kündigen werden, wenn er sich als allzu treuer Vasall des zurückgetretenen Kanzlers entpuppt. Dazwischen einen eignen Kurs zu steuern wird an Schallenbergs Kunst der Diplomatie höchste Ansprüche stellen.
Oliver Stock
11.10.2021 | 10:12