
Um die Geschichte hinter der Nachhaltigkeitsregulierung zu verstehen, muss man beim Green Deal der EU anfangen. (Foto: shutterstock)

Ev Bangemann ist beim Beratungsunternehmen EY für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich und -bewertet die bürokratischen Erleichterungen für viele Unternehmen bei den EU-Regeln für Reporting-Pflichten.
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„Viele Betriebe haben auf eine solche Reform gewartet“
Interview
EY-Expertin Ev Bangemann über die EU-Reform der Berichterstattungspflichten zu Nachhaltigkeit und welche Chancen Unternehmen haben, die sich freiwillig doch drum kümmern.
Wirtschaftskurier: Frau Bangemann, um die Geschichte hinter der Nachhaltigkeitsregulierung zu verstehen, muss man beim Green Deal der EU anfangen, oder?
Ev Bangemann: Absolut. Damals wurde ein sehr ambitionierter Transformationsplan beschlossen, weil festgestellt wurde, dass das freiwillige Handeln der Unternehmen nicht ausreichend ist. Und in der Folge des EU Green Deals ist in sehr kurzer Zeit sehr viel reguliert worden. Das hat eine große Anzahl an Kritikern auf den Plan gerufen, die zu Recht darauf hingewiesen haben, dass das zu einer hohen bürokratischen Belastung führt und Unternehmen im internationalen Wettbewerb behindert.
Die die EU mit der Omnibus--Verordnung zurückdrehen will. Wie bewerten Sie den Schritt?
Ev Bangemann: Die Omnibus-Verordnung ist wichtig, um Bürokratie abzubauen. Viele Unternehmen haben auf eine solche Reform gewartet, die die Verwaltung erleichtert. Dadurch können sie sich wieder stärker auf das Kerngeschäft konzentrieren. Dabei bleibt es jedoch absolut wichtig, das richtige Maß an Bürokratieabbau zu finden, ohne dabei die erwartete Wertstiftung für europäische Unternehmen aus der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit aus den Augen zu verlieren.
Was ist geplant?
Ev Bangemann: Die Erleichterungen betreffen hauptsächlich kleinere und mittlere Unternehmen, die von den umfangreichen Meldepflichten und bürokratischen Auflagen oftmals überfordert sind. Durch die Verordnung sollen nun Berichtspflichten vereinfacht oder sogar abgeschafft werden. Und die Hoffnung ist, dass das natürlich dann die kleineren Firmen erheblich entlastet.
Wie genau sehen die Vereinfachungen für Betriebe aus?
Ev Bangemann: Die Omnibus-Verordnung besteht insbesondere aus zwei Änderungsrichtlinien: Die erste Richtlinie verschiebt die Berichterstattungspflichten nach CSRD, der Corporate Sustainability Reporting Directive, für Unternehmen, die erstmals für das Geschäftsjahr 2025 beziehungsweise 2026 hätten berichten müssen, um zwei Jahre. Das sind die Unternehmen der sogenannten zweiten und dritten Welle – also große, nichtkapitalmarktorientierte und kleinere kapitalmarktorientierte Unternehmen –, die dann für 2027 statt 2025 beziehungsweise 2028 statt 2026 berichten müssten. Gleichzeitig wird die Anwendung des Europäischen Lieferkettengesetzes – die sogenannte CS3D – für Unternehmen der ersten CS3D Welle um ein Jahr auf Juli 2028 verschoben. Hinsichtlich der CSRD ändert sich für die Unternehmen der ersten Welle nichts.
Und die zweite Richtlinie?
Ev Bangemann: Die beschäftigt sich mit inhaltlichen Änderungen und dem persönlichen Anwendungsbereich und wird die CSRD-Wellen, die ich vorher genannt habe, abschaffen, sodass die CSRD nur noch für große Unternehmen gelten soll mit 25 Millionen Euro Bilanzsumme oder 50 Millionen Euro Umsatzerlösen sowie mehr als 1000 Mitarbeitenden. Die geplante Einführung der Schwelle von 1000 Mitarbeitenden stellt einen erheblichen Unterschied zu den bisherigen Größenkriterien im HGB dar. Zusätzlich soll es zu einer Vereinfachung der Nachhaltigkeitsstandards (European Sustainability Reporting Standards ESRS) kommen. Und – das ist besonders für die kleineren Unternehmen wichtig – es soll ein sogenannter Value Chain Cap aufgenommen werden.
Was steckt hinter dem Value Chain Cap?
Ev Bangemann: Darin sollen Mindestanforderungen für kleinere Unternehmen definiert werden, die sich in der Wertschöpfungskette der zur CSRD-Berichterstattung verpflichteten Unternehmen befinden. Er regelt, was diese Unternehmen anhand eines neuen Standards an Informationen zur Verfügung stellen müssen.
Wo stehen wir im Prozess gerade?
Ev Bangemann: Die erste Richtlinie bezüglich Anwendungszeitraum hat die erste Hürde genommen. Im Parlament wurde beschlossen, diesen sogenannten Stop-the-Clock-Vorschlag zu genehmigen. Wir warten jetzt noch ab, dass der EU-Rat zustimmt. Im zweiten Quartal werden Vereinfachungen zur EU-Taxonomie dazukommen, die dann vom 1. Januar 2026 an gelten. Und ganz entscheidend für die inhaltlichen Vereinfachungen ist die laufende Überarbeitung der ESRS, die schon bis zum 31. Oktober erwartet werden. Das ist eine ganze Menge.
Und bis wann ist das in Deutschland in nationales Recht umgewandelt?
Ev Bangemann: Das wage ich nicht vorherzusagen. Deutschland und beispielsweise die Niederlande haben ja die bisherige CSRD noch gar nicht in lokales Recht überführt. Die Rechtssituation ist sehr komplex und auch ein Stück weit unsicher. Gleichwohl erwarten wir, dass die Europäische Kommission nochmal auf die Länder zugehen wird, welche die CSRD bisher nicht umgesetzt haben, um dringend für Rechtssicherheit zu sorgen. Zudem sehen wir im Koalitionsvertrag, dass Omnibus unterstützt wird und bspw. auch unser nationales Lieferkettengesetz unmittelbar entfallen und dann später durch das Europäische Lieferkettengesetz ersetzt werden soll.
All die Regulierung ist für ein Haus wie EY schon gut fürs Geschäft, oder?
Ev Bangemann: Jede neue Vorschrift erfordert bei den Betrieben einen Zusatzaufwand. Und den kann ein Unternehmen in der Regel nicht allein stemmen. Das würde sich auch nur bedingt lohnen, weil der Aufwand in der Regel einmalig ist. Und deshalb nehmen Unternehmen gerne Beraterhilfe in Anspruch. Das ist eine Grundlage unseres Beratergeschäfts – bei Änderungen der Regulatorik ist unsere Kompetenz in aller Regel gefragt.
Ich bin gespannt auf das Aber.
Ev Bangemann: Man könnte natürlich meinen, dass wir ein Interesse daran haben, Vereinfachungen zu verhindern. Aber dem ist nicht so. Berater und Prüfer haben genauso alles zum ersten Mal durchlebt und mussten in Ausbildung investieren. Wir hätten uns gewünscht, dass die aktuelle Regulatorik erst einmal eine echte Chance erhält. Nicht damit wir viel Geschäft damit machen können, sondern damit Unternehmen sowie Berater und Prüfer sich das ausführlich anschauen und fundiert vorschlagen können, wie auch eine gute Vereinfachung aussehen könnte.
Was sollten Unternehmen tun, die nicht berichten müssen, aber womöglich berichten wollen?
Ev Bangemann: Aus meiner Sicht hat jedes verantwortungsbewusste Unternehmen ein Interesse an seinem Fortbestand und der positiven Weiterentwicklung. Das setzt voraus, dass finanzielle Risiken frühzeitig erkannt werden. Dann macht es wenig Sinn, es darauf ankommen zu lassen, dass Einkaufspreise überraschend steigen, weil zum Beispiel die Ernte durch Unwetter oder Insektensterben einbricht. Oder eine Versicherung Policen kündigt, weil der Standort für das Unternehmen des Zulieferers aus deren Sicht nicht mehr wirtschaftlich versicherbar ist.
Und solche Risiken werden durch die Berichte frühzeitig transparent und durch ein funktionsfähiges Risikomanagement eingegrenzt?
Ev Bangemann: Nur damit können Unternehmen, egal welcher Größenordnung und vielleicht gerade im Mittelstand, generationenübergreifend für die Zukunft gesichert werden.
Inwiefern haben Unternehmen, die auch freiwillig Transparenz zeigen, Finanzierungsvorteile am Markt?
Ev Bangemann: Das ist eine logische Konsequenz. Banken, Ratingagenturen oder Private Equity haben eigene Kriterien entwickelt, die sich auch an ESG-Kriterien orientieren, um Risiken zu identifizieren. Wir sind in der EU auch nicht allein: China, Indien, Australien, Japan und viele andere Länder in der Welt haben ja ebenfalls Regelungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung oder sind dabei, diese einzuführen. Die Finanzindustrie will einschätzen, wie hoch ihr Risiko ist. Und daran orientieren sich auch die Kosten.
Wenn sich ein Betrieb entscheidet, eine Nachhaltigkeitsberichterstattung mehr oder weniger freiwillig zu machen, gibt es den sogenannten VSME-Standard. Sollten sich Betriebe an dem orientieren?
Ev Bangemann: Ich persönlich halte den Standard für sehr zielführend und wir empfehlen ihn auch in Diskussionen, besonders im Mittelstand. Ein überzeugendes Argument ist, dass Firmen nicht über 1000 Datenpunkte, die die ESRS unter Umständen erwarten würden, sondern weniger als 100 Datenpunkte erheben müssen. Das sind im Wesentlichen Datenpunkte im Umweltbereich, wo es heute das größte Wissen und die größte Konkretisierung gibt. Wer die angeben kann, hat einen Vorteil, wenn er mit großen kapitalmarktorientierten Unternehmen zusammenarbeitet. Denn die wiederum müssen Informationen von ihren Zulieferern in der Lieferkette einbeziehen. Da ist es wichtig für mittelständische Unternehmen, darauf vorbereitet zu sein, um auch weiterhin als Zulieferer sicher gelistet zu werden und gute Konditionen zu erhalten. Und gleichzeitig führt das Unternehmen noch das Mindestmaß an Risikomanagement ein.
Das Gespräch führte Thorsten Giersch.
Ev Bangemann ist beim Beratungsunternehmen EY für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich und -bewertet die bürokratischen Erleichterungen für viele Unternehmen bei den EU-Regeln für Reporting-Pflichten.
01.05.2025 | 07:08