(Bild: picture alliance / Christophe Gateau)



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100 Milliarden für die Rüstung – woher sie kommen, was sie nützen, und was passiert, wenn sie aufgebraucht sind

Der Bundestag will den Weg frei machen für das größte Rüstungsprogramm, das Deutschland je geplant hat. Doch im Detail sind viele Fragen ungeklärt. Und auf die brennendste Frage, wird sich erst spät eine Antwort finden: Bedeutet mehr geld wirklich auch eine bessere Fähigkeit zur Verteidigung?

Es wird eines der teuersten und wichtigsten Projekte, die sich Deutschland vornimmt: Der Deutsche Bundestag berät am Mittwoch über das geplante „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Milliarden Euro. Mit einer Hau-Ruck-Aktion soll die Bundeswehr so hochgerüstet werden, dass sie im Rahmen der Nato besser in der Lage ist, Deutschland zu verteidigen. Das, was jahrzehntelang unter SPD wie CDU geführten Regierungen und Verteidigungsministern versäumt wurde, soll mit diesem Kraftakt nachgeholt werden. Doch schon der Titel ist irreführend: Das Vermögen besteht aus Schulden, die der Bund zusätzlich aufnehmen will, um die Bundeswehr besser auszustatten. Der Titel ist nicht die einzige Tücke. Im Detail wirft das Projekt fünf Kernfragen auf:

Woher kommt das Geld?


Der Bund wird sich das Geld bei Banken und Investoren leihen. Laut dem Entwurf zum „Bundeswehrsondervermögensgesetz“, darf es ausschließlich zur „Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ eingesetzt werden. Was aus dem Sondervermögen angeschafft wird, soll Jahr für Jahr in einem eigenen Wirtschaftsplan aufgelistet werden, über den der Bundestag berät. Der Wirtschaftsplan für 2022 ist bereits in Arbeit. Hier entzündet sich die Kritik von CDU-Oppositionschef Friedrich Merz: Er verlangt, dass die Opposition in diese Arbeit einbezogen wird, ansonsten würde die Union den Plan im Bundestag nicht gutheißen.

Muss das Grundgesetz geändert werden?

Ohne die größte Oppositionspartei kann der 100-Milliarden-Plan nicht umgesetzt werden, denn die Ausgaben sind so gewaltig, dass dazu das Grundgesetz geändert und eine entsprechende Zweidrittelmehrheit im Parlament hergestellt werden muss. Es geht um Artikel 87a des Grundgesetzes. Er lautet bisher: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.“ Ein neuer Absatz soll nun „den Bund zur Errichtung eines Sondervermögens mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und Ertüchtigung der Streitkräfte“ ermächtigen. Weiter heißt es im Regierungsentwurf: „Diese Kreditermächtigung wird von den Kreditobergrenzen der Schuldenregel ausgenommen.“

Auch hieran entzündet sich Kritik: Denn tatsächlich bildet der Finanzminister damit einen Schattenhaushalt. Die Schuldenbremse würde es nur erlauben, in Notsituationen zusätzliche Ausgaben zu finanzieren. Die Bundeswehr ist aber politisch gewollt über Jahre hinaus unterfinanziert gewesen. Von einer plötzlichen Notsituation kann also keine Rede sein. Der Finanzminister ist deswegen auf die Grundgesetzänderung angewiesen, die ihm die Umgehung der Schuldenbremse gestattet. Er hat auch noch keine Vorstellung, wie das Geld jemals zurückgezahlt werden soll. „Die Tilgung der aufgenommenen Kredite soll nach vollständiger Inanspruchnahme der Kreditermächtigungen innerhalb eines „angemessenen Zeitraums“ erfolgen, heißt es dazu vage im Gesetzentwurf.

Was soll mit dem Geld bezahlt werden?

Der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn hat jüngst in einem Interview mit der „Welt“ seine Vorstellungen darüber ausgebreitet, wozu die Milliarden genutzt werden sollen. Die Bundewehr, so sagt er, wolle innerhalb von drei Jahren eine Division mit etwa 15 000 Frauen und Männern vollständig einsatzbereit – das heißt: ausgebildet und ausgestattet - der Nato zur Verfügung stellen können. Dies soll Schritt für Schritt, das heißt Brigade für Brigade geschehen. Eine Brigade hat 5000 Soldaten. Zorn hat in den vergangenen Tagen im Kanzleramt detailliert erklärt, was gebraucht wird. „Priorität haben Führungsfähigkeit und schnelle Sichtbarkeit des Materials in der Truppe.“ Er warnte: „Heute nur noch in Panzerverbänden zu denken, greift zu kurz. Wir brauchen diese weiterhin, der Krieg der Zukunft wird nicht nur noch im Cyberraum stattfinden. Aber auch Luftwaffe und Marine haben eine ungeheure Bedeutung.“ Dringend gebraucht werde Munition. „Wir haben aus den eigenen Beständen nur überschaubare Mengen (an die Ukraine) abgeben können, weil unsere Depots keineswegs voll sind. Insofern ist die Lösung, dass die Ukraine bei Rüstungsfirmen selber kauft, der richtige Ansatz. Der Investitionsbedarf liegt weiter bei 20 Milliarden Euro bis 2032. Dieser Aufbau der Vorräte, den wir der NATO zugesichert haben, wird mit dem Sondervermögen fortgeführt.“

Heißt mehr Geld automatisch eine bessere Verteidigungsfähigkeit?

Nein. Die gesamte Struktur der Bundewehr leidet unter Rahmenbedingungen, die ihre Leistungsfähigkeit einschränken. Das beginnt bei der Planung. Experten, wie der Generalinspekteur kritisieren, dass „viel zu viel Wunschdenken“ in Projekte hinein dekliniert werde. „Wir neigen dazu, marktverfügbare Produkte nach deutschen Vorstellungen umzubauen.“ Er nennt zahlreiche Projekte, vom Marine-Kampfboot, das anderswo problemlos eingesetzt werde, aber bei der Bundeswehr eine aufwendige Sonderausstattung brauche, bis hin zum Rucksack, der selbst entwickelt werden sollte, bis der Inspekteur entschied, 220 000 in olivgrün auf dem freien Markt zu kaufen. Dazu kommt ein EU-Vergaberecht für Großaufträge, dass sich in der Praxis als zeitaufwendig erweist und von den es nun mehr Ausnahmen geben soll.

Was passiert, wenn das Geld aufgebraucht ist?

Die 100 Milliarden zusätzlich verteilen sich voraussichtlich auf fünf Jahre. Und dann? Bundeskanzler Olaf Scholz hatte in seiner Regierungserklärung nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine angekündigt: „Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren." Damit hat ein altbekanntes Thema weiterhin das Zeug zum Debatten-Dauerbrenner: das Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Auf zwei Gipfeln (2002 und 2014) hatten die Mitglieder des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses versprochen, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung auszugeben. Dank des erwähnten Sondervermögens wird Deutschland das Ziel in den kommenden Jahren erreichen. Aber was passiert danach? Der Verteidigungshaushalt müsste von rund 50 auf 70 Milliarden Euro jährlich angehoben werden. Genau das hat Scholz aber bislang nicht angekündigt. Auch hieran entzündet sich die Kritik der Opposition.                                                                    

Oliver Stock

27.04.2022 | 14:15

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