Karrierealle Jobs


Wirtschaft von neuem Nahles-Plan entsetzt

Die Regulierung von Zeitarbeit und Werksverträgen stößt auf harsche Kritik. Auch die Gewerkschaften sind irritiert. Die Neuregelung könnte einen Drehtüreffekt provozieren.

Die Rente mit 63 und die Mütterrente hat sie eingeführt; ihr gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde wurde Gesetz. Änderungswünsche der Wirtschaft, die unter den bürokratischen Lasten des Mindestlohns stöhnt, hat Nahles bislang abgeschmettert. Stattdessen plant die Arbeitsministerin als nächstes Projekt, den „Missbrauch“ bei der Zeitarbeit zu bekämpfen. Nicht nur Arbeitgeber sind in Sorge. Gewerkschaften fürchten, dass ihre Tarifverträge ausgehebelt werden.

Die Unternehmen brauchen Zeitarbeiter, um flexibel auf Auftragsspitzen zu reagieren. Für Arbeitslose dient der Job als Zeitarbeiter oft als Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung: Jede dritte offene Stelle der Arbeitsagenturen ist eine Zeitarbeitsstelle. Die Furcht in der Wirtschaft ist groß, dass der Jobmotor Zeitarbeit von der regulierungswütigen Ministerin abgewürgt wird.„Die Zeitarbeit hat zwei nicht zu ersetzende Funktionen auf dem Arbeitsmarkt. Zum einen ist sie Beschäftigungsmotor. Zum anderen gibt sie Unternehmen die notwendige Flexibilität“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer der „Wirtschafts-Woche“. „Im Rahmen von Werk- und Dienstverträgen eingesetzte Arbeitnehmer sind keine Arbeitnehmer zweiter Klasse.“ Gesetzliche Regelungen seien deshalb „überflüssig“.

Noch viel mehr Bürokratie

Zeitarbeitnehmer sollen nach den Plänen von Nahles künftig maximal 18 Monate entliehen werden dürfen und nach neun Monaten das gleiche Gehalt wie Stamm-Mitarbeiter erhalten. Gegen beides regt sich Widerstand in der Branche: „Wir müssten für die Lohnkalkulation jede noch so kleine soziale Wohltat des Kundenunternehmens recherchieren, bewerten und in den Lohn aufnehmen. Der Verwaltungswahnsinn von Mindestlohn und Minijobs wäre dagegen nur eine Petitesse“, sagte Dieter Traub, Geschäftsführer von Orizon, einem der größten deutschen Zeitarbeitsunternehmen.

Unterstützung für Nahles’ Pläne kommt vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Es haben sich Praktiken verfestigt, die wir nicht akzeptieren können“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der „WirtschaftsWoche“. „Es gibt Unternehmen, in denen die Zahl der Leiharbeiter seit Jahren die der Festangestellten übersteigt. Mit Auftragsspitzen hat das nichts mehr zu tun.“

Im Gewerkschaftslager sind aber nicht alle glücklich dar­über, dass der Gesetzgeber neue Regelungen vorschreiben will – ist es doch die Aufgabe einer Gewerkschaft, dies auszuhandeln. So hat die IG Metall schon vor Jahren mit den Arbeitgebern der Zeitarbeitsbranche und der Metall-Elektroindustrie Tarifverträge abgeschlossen, die genau diese Arbeitsbedingungen regeln. Ähnliche Vereinbarungen mit den Zeitarbeitsfirmen hat auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie getroffen. Die Industriegewerkschaften müssen nun fürchten, dass eine gesetzliche Regelung ihre Tarifverträge aushebelt. Die 145 000 Leiharbeiter in der Metallindustrie würden sich bei einer gesetzlichen Regelung schlechterstellen – denn die von der IG Metall mühsam erkämpften Branchenzuschläge für die Zeitarbeiter wären dann hinfällig.

Viele Leiharbeiter sind in der IG Metall

Mit einer groß angelegten Kampagne gegen die Leiharbeit hat die IG Metall 80 000 neue Mitglieder unter den Zeitarbeitern gewonnen. Diese will sie nun nicht verlieren. „Wir sind verpflichtet, die Arbeitsverhältnisse dieser Mitglieder tariflich abzusichern und positiv zu gestalten. Wir wollen dies nicht allein dem Gesetzgeber oder gar einer freien Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse überlassen“, heißt es in einem Positionspapier des IG-Metall-Vorstands.

Zumal die Lage der Leiharbeiter durch die Neuregelung eher verschlechtert als verbessert würde, wie die Gewerkschafter fürchten. Sie warnen vor einem Drehtüreffekt: Durch die Neun-Monats-Regel werde ein System des „rollierenden Austauschs“ einzelner Beschäftigter geradezu provoziert, kritisiert die Gewerkschaft. Sobald die neun Monate erreicht sind, wird der Zeitarbeiter durch einen neuen ersetzt. Erschwerend kommt hinzu, dass nur jeder vierte Leiharbeiter überhaupt länger als neun Monate beim selben Arbeitgeber beschäftigt ist und in den Genuss des gleichen Lohns wie die Stammbelegschaft kommen würde. Rund die Hälfte der Zeitarbeiter kommt gerade einmal auf drei Monate Einsatzzeit.

„Wir erwarten von dem Gesetzgeber, dass eine gesetzliche Neuregelung Anreize für die Arbeitgeber bietet, die bestehenden Tarifverträge beizubehalten beziehungsweise auf neuer rechtlicher Basis neue Tarifverträge zu schließen“, fordert die Gewerkschaft. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten Raum für „tarifautonome und betriebliche Gestaltung lassen“. Die IG Metall fordert damit im Prinzip das Gleiche wie der Arbeitgeberverband Gesamtmetall: Die Metallarbeitgeber dringen in einer Stellungnahme zur geplanten Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ebenfalls auf Tariföffnungsklauseln, um die bestehenden Branchenregelungen zu erhalten.

Zeitarbeit ist gerade in der Metallindustrie weit verbreitet. Nach Angaben des Arbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linkspartei sind im Tätigkeitsfeld Metallerzeugung und -bearbeitung sowie Metallbau 11,2 % der Beschäftigten Leiharbeiter – also mehr als jeder Zehnte. Leiharbeiter in der Metallerzeugung verdienen nur rund 58 % des Durchschnitts, werden aber oft auch nur als Hilfskraft eingesetzt.

11.07.2015 | 12:11

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