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„Bis 2050 wird halb Europa de facto bankrott sein"

Finanzexperte und Bestsellerautor Marc Friedrich sieht die EZB in der Sackgasse und die europäische Währungsunion am Abgrund. An der Börse erwartet er jedoch noch eine letzte, finale Party. Bis dahin kauft er Bitcoin, Diamanten, Gold und Wald. Rohstoffaktien rät er überzugewichten.

BÖRSEamSonntag: Herr Friedrich, haben Sie Angst um Ihr Geld?

Marc Friedrich: Nein.

Warum nicht?


Weil ich mich seit Jahren mit dem Thema Geld und Finanzen auseinandersetze, weil ich schon in Argentinien einen Staatsbankrott miterlebt habe, und weil ich diese Entwicklungen, die wir gerade erleben, diese Verwerfungen, diese Zeitenwende erwartet habe und dementsprechend vorbereitet bin, sowohl mental als auch monetär.

Das heißt?

Ich habe in durch die Natur und die Mathematik limitierte Werte investiert, die bei einem Fiat-Geldsystem in ihrem Wert steigen, weil sie limitiert und dezentral sind. Ich bin breit diversifiziert aufgestellt. In meinem Portfolio liegen Wald, Diamanten, Bitcoin, Gold und natürlich auch Aktien.

Viele Privatanleger haben nicht Ihre Erfahrung und dürften angesichts der aktuellen Herausforderungen eine Menge Angst um ihr Geld haben. Können sie bei den astronomischen Energiepreisen, der hohen Inflation und den wackelnden Aktien- sowie Immobilienmärkten gerade nur hilflos dabei zu sehen, wie das eigene Vermögen und der eigene Wohlstand schwinden?

Wenn man nichts macht, klar. Solange es noch möglich ist, würde ich Geld aus dem Bankenkreislauf ziehen und beispielsweise Gold kaufen. Ich würde grundsätzlich in inflationsgeschützte und limitierte Investments gehen. Edelmetalle, Edelsteine, Wald. Bei Immobilien würde ich gerade abwarten. Dann würde ich natürlich in Bitcoin investieren, der bei den aktuellen Kursen unter 20.000 Dollar wieder interessante Einstiegsmöglichkeiten anbietet. Darüber hinaus empfehle ich Rohstoffaktien, besonders fossile Energien, sowie Aktien generell. Anleger sollten aber antizyklisch und häppchenweise in die Korrektur reinkaufen.

In den letzten Monaten wäre es gar nicht so schlecht gewesen, nichts zu machen. Aktien, Gold, und allen voran der Bitcoin haben deutliche Kursverluste zu verzeichnen.


Ich würde jetzt antizyklisch kaufen. Wenn die Tagesschau oder die Süddeutsche Zeitung schreiben ‚Bitcoin ist tot‘, dann weiß ich, dass die Zeit zum Kauf gekommen ist. Es gibt bei Bitcoin immer wieder diese Zyklen mit Bullen- und Bärenmarkt. Die sind sehr ausgeprägt, weil der Bitcoin sehr liquide ist. Entsprechend wird in einer Situation wie der jetzigen natürlich zunächst Bitcoin abverkauft, bevor man eine Immobilie ins Schaufenster stellt. Zudem zeigt die Statistik: Wer Bitcoin mindestens vier Jahre gehalten hat, war am Ende immer im Plus. Selbst wer ganz skeptisch ist, sollte deshalb 500 Euro in Bitcoin investieren. Wenn es schief geht, kann man einmal weniger in den Urlaub fahren. Wenn es gut geht, kann man sich aber vielleicht sogar ein Haus von seinem Bitcoin kaufen.

Dennoch sind es gerade vor allem die defensiven Werte aus den Bereichen  Telekommunikation, Energie, Pharma oder Versicherungen, die an der Börse punkten. Gewinnt gerade derjenige an der Börse, der maximal bieder anlegt?

Ja, Value wird Growth erst einmal ersetzen. Das hatte ich bereits in meinem letzten Buch so prognostiziert. Klassische Value-Aktien werden erst einmal besser laufen, als die Aktien aus der Tech-Bubble, die Luft ablassen muss. Ich würde Value gerade übergewichten.

Jetzt immer noch? Es gab ja schon bedeutende Umschichtungen.

Kurzfristig wird es bestimmt mal eine Gegenbewegung geben. Aber langfristig wird Value Tech in dieser Dekade schlagen, vor allem weil der Rohstoffsuperzyklus jetzt da ist. Ohne Kupfer, ohne Zinn, ohne Gold oder Silber gibt es keine Blockchain, keine E-Mobilität keine künstliche Intelligenz.

Bei welchen Rohstoffen sehen Sie die größten Potenziale?


Eigentlich bei allen. Zinn finde ich sehr spannend. Ohne Zinn gibt es keine Halbleiter. Kupfer als eines der wichtigsten Industriemetalle gilt es ebenso zu beobachten. Silber sehe ich massiv unterbewertet. An Uran glaube ich, weil ich eine Renaissance der Atomkraft erwarte. Kohle und Gas sind hinsichtlich der aktuellen Energiekrise sowieso attraktiv.

Sehen Sie abgesehen von Rohstoff-Aktien noch in anderen Branchen Einstiegsmöglichkeiten?

Der ganze Sektor der Erneuerbaren Energien wird allein schon durch die milliardenschwere Subventionierung der Politik interessant. Generell gilt: wenn die Notenbanken wieder eine Kehrtwende machen, dann würde ich all in gehen, in Tech-Aktien, Biotech, Bitcoin. Alles was risikobehaftet ist, aber Wachstum verspricht, geht dann wieder durch die Decke. Dann geht die Party richtig los.

Erwarten Sie das?

Nicht jetzt, aber 2023 vielleicht. Irgendwann wird der Druck zu groß, die drohende Rezession zu stark, die Arbeitslosigkeit zu hoch. Dann wird die EZB wie auch die Fed sagen, jetzt müssen wir nicht mehr die Inflation sondern den Abschwung bekämpfen. Dann wird es wieder Zinssenkungen und Quantitative Easing geben. Es wird eine finale Party an den Märkten geben. Das ist dann aber auch die letzte.

Aktuell herrscht alles andere als Partystimmung. Besonders mit Blick auf den deutschen und europäischen Aktienmarkt sind vielen Experten skeptisch. Müssen sich Anleger jetzt internationaler aufstellen?

Ja, unbedingt. Für Deutschland und Europa bin ich short. Nicht nur wegen der Inkompetenz der Politik und der EU, sondern vor allem auch wegen der Demographie. In den nächsten zehn Jahren wird Deutschland sechs Millionen Arbeitsplätze nicht mehr besetzen können. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung in Italien oder Spanien halbieren. Da wird das ganze System zusammenkrachen. Das hat niemand auf dem Schirm. Bis 2050 wird halb Europa de facto bankrott sein. Das ist die tickende Zeitbombe im Hintergrund. Die Gemengelage sieht negativ aus, deshalb rate ich defensiv zu investieren. Und man sollte sich auf das schlimmste Szenario vorbereiten, in der Hoffnung, dass es nicht eintritt.

Wäre ein ETF auf den MSCI World dafür noch die richtige Wahl?

Ich würde keinen ETF auf den MSCI World mehr kaufen, das ist mir zu breit gestreut. Vor allem auch aufgrund des Klumpenrisikos durch das Übergewicht an wenigen, großen US-Tech-Aktien. Es geht tatsächlich jetzt um Stock-Picking, Fonds-Picking, ETF-Picking. Es gibt beispielsweise einen Oil & Gas ETF von iShares, der hat sich super entwickelt, während die ETFs auf die großen Indizes zuletzt natürlich nicht gut liefen.

Das liegt an den rasant steigenden Energiepreisen. Infolge dessen könnte die deutsche Wirtschaft im Winter in eine Rezession abgleiten. Damit rechnet inzwischen auch das Institut für Weltwirtschaft. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing behauptet, sie sei gar nicht mehr abzuwenden. Ist dieser Pessimismus an den Märkten schon ausreichend eingepreist?

Teilweise. Aber dieses Mal haben wir nicht eine Bankenkrise wie 2008, sondern eine globale Wirtschaftskrise durch gestörte Lieferketten, Corona-Lockdowns, die Energiekrise, oder auch die Immobilienblase in China. Wir werden eine heftige globale Rezession erleben. Wir sehen das bereits an den steigenden Insolvenzen. Zuerst kippen die Unternehmen um, die schon Probleme hatten, später dann aber auch diejenigen, die eigentlich gesund sind. Ich hatte erst ein Gespräch mit einem Kunden, der eine Bäckerei in Niedersachsen hat, der statt 37.000 auf einmal 200.000 Euro für Energie zahlen muss. Das ist nicht umsetzbar. Und Politik und Notenbanken tun alles, um das Problem nicht zu lösen, sondern zu verschärfen.

An der EZB lassen sie grundsätzlich kein gutes Haar...


Die EZB ist auf der einen Seite Insolvenzverwalter, auf der anderen Seite versucht sie das Feuer zu löschen, das sie selbst jahrelang gelegt hat. Wir haben jetzt mit plus 0,75 Prozent die höchste Zinserhöhung in der Geschichte der EZB gesehen. Damit liegt der Leitzins nun bei 1,25 Prozent. Die Inflationsrate liegt in der Eurozone aber bei 9,1 Prozent. Das macht keinen Sinn. Die EZB müsste die Zinsen noch viel stärker erhöhen, steckt aber in dem Dilemma, dass so die Schulden in den südlichen Euroländern explodieren und diese de facto bankrott gehen würden. Dann müsste die EZB wieder Staatsanleihen kaufen. Die EZB kann also eigentlich gar nichts machen. Wir erleben deshalb ein Spiel auf Zeit, eine großangelegte Insolvenzverschiebung.

Was würden Sie tun, wenn Sie EZB-Präsident wären?

Zurücktreten. Nein, Spaß beiseite. Ich glaube nicht, dass es innerhalb des jetzigen Systems noch eine Lösung gibt. Wir haben den Point of No-return längst überschritten. Das bestätigen mir auch viele Insider. Ich habe einige Bekannte, die bei der Bundesbank oder der EZB arbeiten. Wenn man da mal bei einem Glas Bier oder Wein zusammensitzt, wird Tacheles geredet. Sie sagen selbst, dass  dieses Spiel gerade nicht mehr zu gewinnen sei und man schlicht versuche die Mathematik zu überlisten. Aber das geht nicht. Zwei plus zwei ist vier und nicht fünf.

Und was würden Sie nun machen?


Ich würde den Euro abwickeln. Der Euro wird nie funktionieren, weil die Volkswirtschaften im Euroraum einfach zu unterschiedlich sind, sich zu ambivalent verhalten. Wir haben eine Fiskalunion, eine politische Union und eine Währungsunion, die seit Jahren auf der Intensivstation liegt und ständig wiederbelebt werden muss.

Was würden Sie Christine Lagarde in einem Vieraugengespräch gern mal sagen?

Ich versuche ja seit Jahren mit der EZB offiziell in Kontakt zu treten und Interviews zu machen. Die werden immer aus fadenscheinigen Gründen abgesagt. Ich würde mir wünschen, dass man sich einfach mal ehrlich macht und die Fakten auf den Tisch legt. Wäre es nicht eigentlich sinnvoller den Euro zu beenden? Denn der Euro eint nicht Europa, was ja eigentlich sein hehres Ziel war, sondern er spaltet Europa zwischen arm und reich, zwischen Süden und Norden. Und das tut der europäischen Idee nicht gut. Die Leute merken langsam, dass das Versprechen nicht aufgeht. Hier sollten wir gemeinsam Lösungen finden. Es gibt immer Lösungen, nichts ist alternativlos, das ist eine riesige Lüge, die uns da aufgetischt wird. Ich würde mit Frau Lagarde sehr gern besprechen wollen, wie es möglich ist, Europa, den schönsten Kontinent der Welt, wieder zusammenzubringen, anstatt zu spalten.

Das Gespräch führte Oliver Götz

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15.09.2022 | 15:11

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