(Bild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas)



Karrierealle Jobs


Unternehmer mit Stoßseufzer: Gott sei Dank, das schlimmste ist verhindert

Eines ist eine Sekunde nach 18 Uhr klar geworden: Rot-rot-grün gibt es nicht. Damit geht bei den Unternehmen und an der Börse die Arbeit weiter. Fünf Punkte sind es jetzt, auf die die Wirtschaft achtet. Für Post und Telekom wird es spannend.

Für Unternehmer und Anleger war die Spannung am Wahlabend eine Sekunde nach 18 Uhr vorbei: Für rot-rot-grün reicht es nicht. Das ist die Nachricht des Abends. Und das lässt diejenigen, die die Wirtschaft im Blick haben, einen Stoßseufzer gen Himmel schicken. Gott sei Dank, das schlimmste ist verhindert. Es wird keine Schuldenunion in Europa geben, es wird weiter um einen ausgeglichenen Haushalt gerungen, es wird keine Enteignungen von Wohnungsunternehmen geben – und ja, es kommt vielleicht sogar eine Rente, die mit Aktien gefüttert wird, es kommt ein Wandel, der den Klimaschutz noch stärker nach vorne treibt, und es werden neue Akzente bei Mobilität und Digitalisierung gesetzt.

Ökonomen hatten es in den vergangenen Tagen noch einmal ausgelotet. Ihr Ergebnis: Wenn es eine Dreierkoalition geben wird, an der die Linke nicht beteiligt ist, dann ist die Entscheidung, wer sie führt, zweitrangig. Laschet oder Scholz? Darauf komme es nicht an, war die Haltung. Fünf Punkte sind es jetzt, worauf Unternehmen und Märkte achten.

Erstens: Staatshaushalt

Mit einem Kanzler Olaf Scholz oder einem Kanzler Armin Laschet, denen ein Finanzminister Christian Lindner an der Seite steht, sind zusätzliche Staatsschulden auf keinen Fall ein Selbstläufer. Ob die schwarze Null als Ziel bleibt, steht zwar in Frage. Aber einen Schub bei den Staatschulden wird es nicht geben. Deutschland wird nicht umschwenken zu den Anhängern einer ultralockeren Geldpolitik. Für die Börse sind das keine neuen Impulse, denn das wichtigste Land in Europa wird nicht grundsätzlich von seiner Linie abweichen. Staatsanleihen werden nicht teurer, die Umlaufrendite wird sich nicht erhöhen, und das, was an Phantasie über eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU herumgeistert, dürfte bei der nächsten Regierung in Deutschland weiter nicht auf Gegenliebe stoßen. Für die noch immer vom Staat maßgeblich kontrollierten Unternehmen, wie Post, Telekom aber auch VW und Lufthansa könnte es spannend werden: Die FDP will diese Staatsanteile lieber heute als morgen loswerden. Ein von ihr geführtes Finanzministerium dürfte den Verkauf vorantreiben.

Zweitens: Rente

Allen Beteiligten an der nächsten Regierung ist klar, dass die Rente, so wie sie konstruiert ist, keine Zukunft mehr hat. Ausgesprochen haben das in der vergangenen Legislaturperiode aber nur die Oppositionsparteien. Zwei davon, Grüne und Liberale, werden nun voraussichtlich in der Regierung sitzen und müssen darum ringen, welche Lösung das System krisenfest macht. Beide sind sich im Kern sogar in einem einig: Es braucht mehr private Initiative zum Aufbau einer ausreichenden Altersvorsorge. Und: Aktien sind dafür ein probates Mittel. Armin Laschet müssten sie davon weniger überzeugen als Olaf Scholz. Aber auch der SPD-Kandidat hat eingeräumt, dass er das Aktiensparen für eine vernünftige Sache hält - auch wenn er persönlich nicht dabei ist.

Drittens: Steuern

Hier sind die Fronten am härtesten. Die FDP dürfte nach den glasklaren Äußerungen ihres Chefs Lindner bei einer Koalition nicht mitmachen, wenn Steuererhöhungen auf der Agenda stehen. SPD und Grüne sehen das anders und treten zumindest für Steuererhöhungen für besonders Vermögende ein. Ein mögliche Kompromisslinie könnte darin liegen, den Solidaritätszuschlag so, wie es die FDP fordert, komplett zu streichen. Bisher bezahlen ihn nur noch Gutverdiener. Wenn die jetzt an dieser Stelle entlastet würden, könnten sie an anderer Stelle belastet werden, ohne dass sie unterm Strich zusätzliche Steuer bezahlen müssten. Alle Parteien hätten das Gesicht gewahrt.

Viertens: Mobilität

Die CO2-Abgabe wird steigen, der öffentliche Fernverkehr darf sich über mehr Förderung freuen und die Elektromobilität wird ausgebaut – das ist in jeder Koalition gesetzt. Unternehmen, die in den entsprechenden Branchen sind, werden – je nachdem – profitieren oder verlieren. Allerdings wird es um Nunacen gehen: Eine Ampelkoalition wird auch mit Verboten arbeiten, selbst wenn das die Liberalen schmerzt. Sie werden allerdings bei den Schlüsselressorts in Sachen Mobilität, dem Umwelt- und dem Verkehrsministerium, sicher nicht zum Zuge kommen. Heißt der Anführer der nächsten Koalition dagegen Armin Laschet, so wird es eine angebotsorientierte Mobilitäts- und Umweltpolitik geben. Die Jamaika-Koalition dürfte mehr auf Anreize statt auf Verbote setzen. Eines allerdings dürfte sicher sein: Mit der freien Fahrt auf Autobahnen ist in absehbarer Zeit vorbei. Die Grünen werden in welcher Koalition auch immer, die Verkehrswende vorantreiben und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen gehört dazu.

Fünftens: Digitalisierung

Die Beteiligung von FDP und Grünen wird der Digitalisierung einen Schub verleihen. Vor allem in Behörden dürfte das Faxgerät in den Keller wandern und der Laptop an jedem Platz zur Standardausrüstung gehören. Dafür haben sich FDP und Grüne in der Opposition stark gemacht und als die jüngeren Parteien auch glaubhaft positioniert. Ein Ministerium, dass die Digitalisierung im Namen trägt und auch voranbringt, dürfte für beide Parteien Gegenstand von Verhandlungen werden – und beide Parteien müssen sich daran messen lassen, ob das dann auch zum Erfolg führt.

Zwei Themen treiben die Wirtschaft darüber hinaus um: Viele erinnern sich an die vergangene Wahl, wo ebenfalls um Dreierkoalitionen gerungen wurde. Dann zog sich die FDP aus den Verhandlungen zurück, und es kam doch zur großen Koalition. Das sollte sich nicht wiederholen, weil dann ein „weiter so“ das wahrscheinlichste wäre. Und: Allen ist klar, dass die Regierungsbildung nicht einfach wird. Das bedeutet: Ein paar Wochen, möglicherweise sogar Monate, kann es dauern, bis sich die nächsten Koalitionspartner zusammengefunden haben. Die Phase der Unsicherheit wird dauern. Und Unsicherheit ist das, was Anleger am meisten hassen.


Oliver Stock

26.09.2021 | 20:22

Artikel teilen: