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So holt China zum Angriff auf das Internet aus

China will die führende Digital-Weltmacht werden. Dazu will Staatspräsident Xi Jingping nichts weniger, als ein eigenes Internet erschaffen. Ein Internet, in dem westliche Werte wie Freiheit und Privatsphäre nicht vorkommen. Um dies zu erreichen, investiert China bereits seit mehreren Jahren strategisch in Afrika. Der Westen hat scheinbar noch gar nicht die Vorstellungskraft, die wachsende Gefahr zu erkennen.

Es ist für den westlichen Bürger heute selbstverständlich, dass im Internet Landesgrenzen bedeutungslos sind und wir uns frei informieren können. Traditionell schauen wir dagegen mit einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis auf Länder wie China, in denen das Internet unserer Entwicklung vermeintlich hinterherhinkt. Wir unterschätzen dabei, dass China seinen eigenen Weg gehen will und sein eigenes Internet aktiv nach den Vorstellungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) gestaltet. Das Ziel ist, ein eigenes chinesisch dominiertes weltweites Internet zu schaffen, doch abgegrenzt vom Westen. Hierzu wurde schon im Jahr 1998 das Projekt “Golden Shield” ins Leben gerufen. Unter Leitung des Ministeriums für Staatssicherheit der Volksrepublik wurde es im Jahr 2003 zum ersten Mal in Betrieb genommen.

Golden Shield ist in seinen Funktionen mit einer privaten Firewall vergleichbar. Es blockiert nach definierten Regeln bestimmte Datenpakete, bevor sie vom Internet in das lokale Netzwerk gelangen können. So können IP-Adressen, Domainnamen, URLs oder Datenpakete, die definierte Stichworte enthalten, geblockt werden. Private Firewalls halten Viren und Malware fern, China unliebsame Inhalte. Das sind etwa ausländische Soziale Medien oder unzensierte Presse. Metaphorisch ausgedrückt hat China eine mächtige – diesmal digitale – Mauer gebaut. Vor der Mauer gilt die westliche Informationsfreiheit, hinter der Mauer bestimmt Chinas Golden-Shield-Algorithmus die Informationsversorgung.

Der Westen begeht noch immer den Fehler, dieses Internet als einen wesensgleichen, nur eben fehlerbehafteten Verwandten des “wahren” Internets anzusehen. Zu lange hat er entweder aus Ignoranz oder Erfolgsverwöhntheit an der Vorstellung festgehalten, dass sein kulturelles Fundament des Internets unverrückbar und universal gelten und sich ganz natürlich durchsetzen wird. China positioniert sich aber immer stärker, um dies als Fehleinschätzung zu entlarven. Eine zentrale Rolle wird dabei aus geostrategischer Sicht der afrikanische Kontinent spielen.

Technologisch hat China bereits eine rasante Aufholjagd hinter sich. Die Zeiten, in denen chinesische Hardware als leistungsarme billige Alternativen, die weit hinter den Produkten von Apple, Samsung und Sony, rangieren, sind vorbei. Huawei, Honor, Xiaomi, Vivo und OnePlus stellen wettbewerbsfähige Smartphones und Laptops für den Consumer- und Businessbereich her. Zudem hat die chinesische Führung in der Bevölkerung über Jahrzehnte ein positives Technologieklima forciert und gleichzeitig analoge Abläufe drastisch reduziert. Gelegenheit für Technologieverdruss gibt es für chinesische Bürger – zumindest in den Städten – nicht. Dort lässt sich das ganze Leben durch Apps organisieren, vom Busticket über die Lebensmittellieferung bis zur Fahrzeugzulassung.

Das Technologierepertoire Chinas endet jedoch nicht bei digitalen Endgeräten, sondern wird durch digitale Netzwerkinfrastruktur aus heimischer Produktion komplettiert. Die 5G-Debatte um die Rolle des Netzwerkausrüsters Huawei aus den Jahren 2018 und 2019 hat offengelegt, dass ausschließlich die USA und China relevante Unternehmen in diesem Technologiesektor haben. Doch digitale Infrastruktur bestimmt die Geschwindigkeit und damit den Nutzen des Internets. In einem Land mit einem langsamen oder schlecht verfügbaren Internet, sind keine KI,- Streaming- und schon gar keine Virtual Reality-Angebote möglich. Nur moderne Netzwerkinfrastruktur wird das explodierende Datenvolumen bewältigen. So geht beispielsweise Cisco Systems davon aus, dass sich der monatliche, weltweite Internettraffic im Jahr 2022 auf durchschnittlich 396 Exabyte (1 Exabyte = 1 Mrd. Gigabyte) belaufen wird. Im Vergleich zum Jahr 2016 ist das mehr als eine Vervierfachung.

Nachdem China die maßgeblichen Technologien der Digitalisierung beherrscht und mit dem Golden Shield auch seine Internetnutzer machtpolitisch und kulturell kontrollieren kann, exportiert es dieses Gesamtpaket seit mehreren Jahren aggressiv auf den afrikanischen Kontinent. Dort erhofft es sich einen Zuwachs seines digitalen und wirtschaftlichen Agitationsraums, getrennt vom westlichen digitalen Binnenmarkt.

Ein Vorhaben, das nicht nur strategisch sinnvoll, sondern momentan auch erfolgversprechend ist. Gerade bei digitalen Geschäftsmodellen ist eine kritische Marktgröße unabdingbar, um Geschäftsmodelle ausreichend skalieren zu können. China besitzt bereits einen potentiellen digitalen Wirtschaftsraum mit 1,38 Mrd. Menschen, die das Internet nicht nach westlichem Standard und in englischer Sprache nutzen, sondern nach den chinesischen Sprachen und Regeln. Zum Vergleich: Das gesamte „westliche“ Internet, der amerikanische Kontinent, Europa, Australien und kleinere Teile Asiens, ergeben aktuell einen potentiellen Markt von rund 2 Mrd. Menschen.

Afrika ist für China daher ein beinahe perfekter Markt, um das Internet nach seinen eigenen kulturellen Vorstellungen zu vergrößern und den Westen zu deklassieren: Es hat derzeit 1,3 Milliarden Einwohner und ist der am schnellsten wachsende Kontinent der Erde. Im Jahr 2020 lag die Fertilität bei 4,4 Kindern pro Frau. Bis 2050 wird sich die Bevölkerung voraussichtlich verdoppelt haben. Raum für Wachstum im Digitalen ist vorhanden. Laut Internet World Stats verfügen bisher nur 46,7% der afrikanischen Bevölkerung über einen Internetzugang. Damit liegt Afrika nach wie vor weit hinter Asien (59,6%) und Nordamerika (89,9%). Doch interessant sind gerade die unbesetzten Märkte, wo man statt angreifen nur zugreifen muss.

Momentan ist der afrikanische Binnenmarkt zugegeben nicht besonders kaufkräftig. In der westlichen Welt liegt die Kaufkraft zwischen 10.000 und 65.000 US-Dollar, im Median bei rund 40.000 US-Dollar pro Jahr und Kopf. In China dagegen bei rund 11.000 US-Dollar, in Afrika eher bei 1.000 bis 2.000 US-Dollar. Allerdings eignen sich gerade die aufholbereiten Schwellenländer Afrikas mit ihrer jungen Bevölkerung hervorragend für digitale Geschäftsmodelle, deren Leistungen günstig angeboten und dann nahezu ohne zusätzliche Kosten skaliert werden können. Wer noch nicht viel hat, der will noch viel haben und wo keine alten Strukturen überkommen werden müssen, lassen sich schnell eigene Standards setzen. So können in vielen afrikanischen Ländern mehrere Zwischenschritte der technologischen Entwicklung übersprungen werden. Statt auf die Kupfer- und dann die Glasfaserleitung zu warten, wird gleich ein Funkmast aufgestellt. Statt erst eine Bank zu gründen und deren App zu verwenden, wird gleich ein Fintech mit einer digitalen Währung genutzt. Schließlich ist in manchen Teilen Afrikas schon der Besitz von Bargeld ein Sicherheitsrisiko. Afrika lässt sich so quasi von „Null auf Hundert“ digitalisieren.

Genau dort setzt China an, indem es erst Infrastruktur, dann Anwendungen und damit auch seine eigene Version des Internets exportiert: Angola, Ghana, Nigeria, Kamerun, Kongo, Äthiopien, Sudan, China hat in all diesen Ländern in die digitale Infrastruktur investiert und den Westen schon seit 2012 als größter Direktinvestor des Kontinents überholt. Logischerweise etabliert China beim Bau dieser Infrastruktur auch gleich seine eigenen Standards mit Hard- und Softwareprodukten – praktischerweise kann so der Golden Shield sehr leicht gleichzeitig implementiert werden.

So ist China im Begriff, hinter dem Golden Shield ein größeres, wirtschaftlich attraktives, leistungsfähiges und so geopolitisch hochattraktives Internet zu kreieren. Dieses hat gute Chancen, das westliche Internet abzuhängen, denn wirtschaftliche Aktion ist der echte Treiber des Fortschritts im Internet.

China hat im Digitalen so einen eigenen Soft-Power-Weg beschritten, Afrika zu „kolonialisieren.“ Wer in Afrika Wohlstand durch Arbeitsplätze und Chancen auf (digitale) Teilhabe mit schnelleren und besseren Anwendungen schafft, dem werden vorerst keine weiteren Fragen über den Zugang zu Twitter, What´s App & Co gestellt. China kann, mit dem Katalysator der wirtschaftlichen Entwicklung, seinen Politik- und Kulturexport effizient vorantreiben. Die Erfahrungen politisch motivierter Investitionsprogramme, wie in Nachkriegsdeutschland, Japan und Südkorea, zeigen, wie aussichtsreich diese Strategie ist. Mit wirtschaftlichem Erfolg geht kulturelle Dominanz einher. Das kulturelle Erbe umfasst im Fall Chinas z.B. ein grundsätzlich anderes Beziehungsverständnis zwischen Staat und Bürger oder auch eine ganz andere Definition „guter“ und „böser“ Staaten und Konflikte.

Durch eine Dominanz im Digitalen würde China erreichen, dass sich die Welt in zwei große Internet-Lager teilt, jedes mit seiner eigenen Sprache, Technologie, Kultur und Weltanschauung. Der Startschuss für einen echten geopolitischen Wettstreit der Systeme im Digitalen ist bereits gefallen. Der Westen muss jetzt beginnen aufzuholen und seine Interessen ebenso klar verfolgen, will er nicht bald auf einem „alten und lahmen“ Internet sitzen.

Von Christian Hübenthal und Christian Schultz

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22.09.2021 | 09:10

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