Jens Spahn: Sein Ministerium soll Masken im Wert von mehreren Millionen Euro bestellt und nie abegholt haben.



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Corona-Masken: Lieferfirma verklagt Gesundheitsminister Spahn

Ein Düsseldorfer Logistikunternehmen orderte zu Beginn der ersten Coronawelle in Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium Gesichtsschutzmasken in China. Doch noch nach Beginn der zweiten Welle wurde die Ware weder abgeholt noch bezahlt. Jetzt wird Klage eingereicht. Und FDP-Politikerin Hessel will von der Bundesregierung wissen, wie teuer diese Panne für den Steuerzahler wird.

Inmitten der zweiten Corona-Welle sitzen mittelständische Lieferanten auf Rechnungen über gewaltige Millionen-Beträge für Atemschutzmasken, die bereits zu Beginn der ersten Welle vom Bundesgesundheitsministerium bestellt worden sind. Betroffen davon ist auch die Düsseldorfer Firma ILTS-Forwarding-Trans & Trade GmbH. Geschäftsführerin Handan Celebi fordert vom Ministerium 87,4 Millionen Euro für 24 Millionen Masken aus China, die im März auf vertraglicher Grundlage in China bestellt und im April geliefert wurden. „Aufgrund von Platzmangel“ habe das Ministerium aber 98 Prozent der Ware bislang abgewiesen, so dass die Ware seitdem gelagert werden muss. Von insgesamt 70 Lkws mit den in Kisten verpackten Masken sei in Berlin nur ein einziges Fahrzeug entladen und alle anderen zurückgeschickt worden. Dabei habe sie sich bei ihrer Bestellung streng an eine Ausschreibung und Vereinbarung mit dem Ministerium gehalten. „So kann man nicht zusammenarbeiten“, sagt Celebi, „ich muss mich in meinen Geschäften doch auch an Verträge halten.“ Es gebe auch keinerlei Kommunikation seitens des Ministeriums oder der von diesem eingeschalteten Unternehmensberatung EY.

Bis heute habe das Bundesgesundheitsministerium die Ware „weder abgenommen noch bezahlt“, bestätigt der von dem Düsseldorfer Unternehmen betraute Rechtsanwalt Christian Lüpke im Gespräch. Sämtliche Nachfragen liefen ins Leere. „Darum reichen wir jetzt Klage ein“, kündigt Lüpke gegenüber TheEuropean an. An dem Prozess sind aufgrund des Prozessgegners und des Streitwerts mehrere Kanzleien beteiligt.

Zu dem Fall, über den im September bereits der SWR berichtete, hat jetzt die FDP-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die unserem Portal exklusiv vorliegt. Konkret geht es um „Kosten von Vertragspflichtverletzungen der Bundesregierung für den Steuerzahler“.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Hessel, Vorsitzende des Finanzausschusses, kritisiert gegenüber TheEuropean das von Jens Spahn (CDU) geführte Bundesministerium scharf: „Ein solches Verhalten in einer Notsituation schwächt das Vertrauen von Unternehmen in den Staat als verlässlicher Vertragspartner. Das kann dazu führen, dass beim nächsten Mal sich die Unternehmen sagen: Die Regierung bezahlt die Ware nicht, also liefere ich nichts mehr. Und wenn wir dann wirklich Masken oder auch anderes medizinisches Material schnell und zuverlässig brauchen, gibt es niemand, der liefern will.”

In der Tat: Laut der klagenden Firma ILTS werden sich die Gerichtskosten allein für sie auf rund 300.000 Euro belaufen. Hinzu kommen Anwaltskosten in fünf- bis sechsstelliger Größenordnung. Derweil versichert die Bundesregierung immer wieder, man werde insbesondere den Mittelstand in diesen schwierigen Zeiten stützen. Handan Celebi merkt davon nichts.

Darum wollen Hesssel und ihre Fraktionskollegen in der vierseitigen Anfrage von der Bundesregierung wissen, warum die bestellte Ware, die ein Mindesthaltbarkeitsdatum von zwei Jahren hat, „bisher weder abgenommen noch bezahlt“ worden sei und ob das Ministerium „Vertragsverletzungen, Sachmängel etc. geltend“ mache. Gefragt wird, ob in letzterem Fall der Düsseldorfer Firma als Vertragspartner „das Recht zur zweiten Andienung eingeräumt“ worden sei.

Zudem soll die Bundesregierung Auskunft geben, ob es weitere Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit bestellten Atemschutzmasken oder sonstige Schutzausrüstungen gebe und wie hoch der Streitwert dabei sei. Gefragt wird auch nach der Höhe eventueller Verzugszinsen, den bisherigen und noch erwarteten Prozesskosten und eventuellen Schadenersatzzahlungen an die Lieferanten. Und schließlich: „Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen ihre Zahlungsverweigerung dem Vertragspartner die Existenzgrundlage entzogen hätte?“

Dazu nochmals Finanzpolitikerin Hessel: „Die Klagen von Unternehmen, die öffentliche Aufträge ausführen, häufen sich schon seit Jahren: die Öffentliche Hand bezahlt ihre Rechnungen sehr, sehr spät und viele Unternehmen gehen daran kaputt, weil sie in Vorleistung gehen müssen.“ Die Abgeordnete für Nürnberg und Mittelfranken appellierte, in einer „Ausnahmesituation wie jetzt sollte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und schnell bezahlen“. Denn: „Wenn man in einer Situation, in der die Wirtschaft eh schon am Boden liegt, den Zulieferern keinen andere Wahl lässt, als ihr Geld über die Gerichte einzuklagen, zeigt das, wie weit diese Regierung sich von der Wirtschaft entfernt hat, die auch jetzt dafür sorgt, dass wir – im Gegensatz zu vielen anderen Ländern – immer noch gut versorgt sind: Von Masken über Lebensmittel bis zu Notfallausrüstungen bei Krankenhäusern.“ Das Verhalten des Ministeriums sei „für den Steuerzahler sehr teuer:“, weil durch Prozesskosten und fällige Verzugszinsen die Masken „ja nicht billiger, sondern unverhältnismäßig teurer” werden, so Hessel.

Laut FDP waren oder sind mindestens 57 Klagen gegen die Bundesregierung im Streitwert von rund 380 Mio. Euro anhängig. Und Unternehmerin Handan Celebi berichtet, sie höre immer wieder aus Kliniken oder Arztpraxen, dass es dort weiterhin an Atemschutzmasken fehle. „Es gibt genug Vorrat, es muss nur bezahlt und abgeholt werden“, so Celebi. Das Bundesgesundheitsministerium reagierte auf eine Anfrage von TheEuropean nicht.

09.11.2020 | 16:53

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